INSEL Kulturgarten | Kultur und Natur zusammendenken

Unser Verhältnis zur Natur ist ambivalent. Auf der einen Seite ist sie Ort der Erholung. Auf der anderen Seite ist sie Quell der Ausbeutung. Gerade in urbanen Räumen bekommen wir von diesem gespaltenen Verhältnis jedoch nicht viel mit. Natur ist dort, wo sie sein soll – umschlossen von Pflanzkübeln, eingegrenzt in zierlichen Grünstreifen. An den Orten, wo sie die einst zubetonierten Ritzen zurückerobert, wird ihr der Krieg erklärt. Aber warum eigentlich? Der „INSEL Kulturgarten“ hinter dem Café ADA widmet sich diesem zwiespältigen Verhältnis und ergründet dabei Fragen, die trotz ihres Potenzials für unser gesellschaftliches Zusammenleben auf einem geteilten Planeten oft ungestellt bleiben. Wir haben uns anlässlich der „Krautschau“ ein zweites Mal mit Dr. Uta Atzpodien und Michael Felstau getroffen, die schon seit 2021 an der Verwirklichung des „INSEL Kulturgartens“ mitwirken.

Dr. Uta Atzpodien ist freie Dramaturgin, Kuratorin und Autorin. Mit ihrem facettenreichen Wirken ist sie vielseitig in der Stadtentwicklung Wuppertals engagiert und beschäftigt sich explizit mit den Möglichkeiten der Kunst und Kultur im Hinblick auf gesellschaftliche Transformationsprozesse. Sie ist Gründungsmitglied des )) freien netz werk )) KULTUR [HOMEPAGE] und Vorstandsmitglied des INSEL e. V. [HOMEPAGE]. Michael Felstau ist für eine grüne Stadt unterwegs. So ist es nicht verwunderlich, dass er in unterschiedlichen Vereinen und Initiativen aktiv ist, die sich mit der Begrünung der Stadt beschäftigen: wie z. B. im „Förderverein Historische Parkanlagen Wuppertal e. V.“ und der „IG Wuppertals Urbane Gärten“ [HOMEPAGE]. Im Kern seines Wirkens steht dabei, das individuelle Recht auf Stadt wahrzunehmen, den öffentlichen Raum zu nutzen, diesen gemeinschaftlich grüner zu gestalten und entstehende Projekte zu vernetzen!

Der Sommer ist endlich eingekehrt und damit auch das Leben im Quartier wieder aufgeblüht. Durch die saftig-grünen Blätter schimmert das warme Sonnenlicht, während die Bewohner*innen ihre Fahrräder wieder aus den Kellern kramen und das Leben auf die Straße verfrachten. Im Hinterhof des ADA steht unter einem gefiederten Baum ein Stuhlkreis um einen niedrigen Tisch herum. Darauf liegen neben ein paar Stücken selbstgebackenen Kuchens allerlei Bücher mit Titeln wie „Pflanzengeflüster“ und „Jenseits der Blattränder“. Eine Gruppe von verschiedenen Menschen, darunter Uta und Michael, schlendert, mit Handys und Kreide gerüstet über den Platz und schärft den Blick für die Zwischenräume des versiegelten Bodens. Willkommen im „INSEL Kulturgarten“.

Der Platz, der sich hinter dem ADA befindet, wurde 2008 mithilfe von Mitteln der Städtebauförderung aufgewertet. Trotz der gutgemeinten baulichen Maßnahmen fand allerdings nie eine wirkliche Aneignung durch die Bewohner*innen des Quartiers statt – mit der Etablierung des INSEL Kulturgarten soll das geändert werden. Gemeinsam mit den Anwohner*innen und Interessierten wird dieser einst spärlich genutzte Ort zu einem artenübergreifenden Hotspot verwandelt, an dem die Unzertrennlichkeit von Kultur und Natur spürbar wird. Nachdem die Finanzierung durch das Bürgerbudget 2021 gescheitert war, wird das Projekt jetzt durch Mittel des Mirker Quartiersfonds gefördert. Mithilfe dieser Mittel wurde vor einigen Wochen dann tatsächlich der erste Schritt in Richtung Realisierung gewagt. Unter dem Kopfsteinpflaster lauert, so sagt mensch sich, der Sandstrand. Die Inselkulturgärtner*innen fanden dort jedoch fruchtbaren Boden, den sie in einen Spaltengarten verwandelten. Aus den Ritzen, Zwischenräumen und Spalten wächst seitdem eine wilde Zusammenstellung grüner Genoss*innen hervor, die das graue Pflastersteinmeer fortwährend aufbrechen. 

Im „INSEL Kulturgarten“ trifft Kultur in einem folgenreichen Prozess auf Natur. Eine ungewöhnliche Begegnung in Anbetracht dessen, dass die vorherrschende menschliche Kultur maßgeblich auf einer Zerstörung und Beherrschung der Natur basiert. Angesichts der fortschreitenden Klimakatastrophe entpuppt sich diese Isolation von Natur jedoch als Irrweg. Was passiert, wenn wir uns unserer Verirrung bewusst werden? Wenn wir nach neuen Wegen suchen? Egal wie diese Wege beschaffen sein werden, oder wohin sie uns führen – wir sollten die Sphären und Dynamiken der Natur als Inspiration verstehen, der wir uns nicht entziehen können. Wie die Pilze ihr Myzel ausstrecken und in physischen Zusammenschlüssen mit Bäumen in einem wechselseitigen Austausch einen größten Mehrwert für alle erwirken. Wie Pflanzen miteinander kooperieren und trotzdem Luft für unser Atmen produzieren. Von Pflanzen lernen? Das klingt erstmal nach einem abstrakten Vorhaben. Doch Uta und Michael berichten davon, dass dieser Lernprozess schon damit beginnt, anzuerkennen, welch verqueres Verhältnis wir aktuell zu unserer Umwelt pflegen – als würden wir über ihr stehen und nicht einfach Teil von ihr, mit ihr sein. Ein Einblick, der angesichts der Klimakatastrophe eindringlich erscheint. Vor allem aber folgt ihm die ganze Lawine an weiteren Schlussfolgerungen: Was passiert, wenn wir Diversität über menschliche Differenzkategorien hinaus denken und pflanzlicher und tierischer Biodiversität mehr Raum geben? Warum wagen wir nicht mehr Kooperation und befähigen einander? Warum handeln wir nicht so, dass wir die Reproduktion unserer weltlichen Grundlage einhalten? 

Um diese Fragen und ihre Folgen langfristig anzugehen, versammeln sich rund um den „INSEL Kulturgarten“ an jedem letzten Freitag des Monats einige Anwohner*innen, interessierte Gärtner*innen und Kunst- und Kulturschaffende, die mal mehr, mal weniger an der Realisierung des „INSEL Kulturgartens“ mitwirken – darunter z.B. auch die Wuppertaler Künstlerin Franziska Hartmann und ihre Kinder, die die Realisierung des Projekts seit seinen Anfängen begleiten. Dieses Zusammentreffen ist aber nicht bloß intellektuelles Gerede. In einer gemütlichen Runde wird an diesem Tag unter freiem Himmel selbst gebackener Kuchen gegessen, gequatscht und über die Bücher der Schweizer Biologin und Sachbuchautor*in Florianne Köchlin geredet. Köchlin schrieb Bücher, in denen sie auf eigentümliche Weise pflanzliche Welten eröffnet.

Aber auch die „Krautschau“ öffnet neue Welten. Ein bundesweites Veranstaltungsformat, im Rahmen dessen Menschen urbane Pflanzen bestimmen und durch große Kreidestifte auf dessen Existenz aufmerksam machen. Anlässlich der diesjährigen „Krautschau“ schlendern die Teilnehmenden nach Kaffee und Kuchen mit der Pflanzenbestimmungs-App „Flora Incognita“ ausgerüstet durch den „INSEL Kulturgarten“. Dabei wird schnell deutlich, dass es keinen erklärbaren Grund dafür gibt, warum wir das Stiefmütterchen beim Namen kennen, aber keine Ahnung davon haben, welche Pflanze sich aus den Rissen des Asphalts vor unserer Haustür erhebt. Pflanzen scheinen nicht gleich Pflanzen zu sein – zumindest aus menschlicher Perspektive. Einige erachten wir als wertvoll und sammeln sie als Zimmerpflanzen, dem rebellischen Unkraut hingegen erklären wir als Symbole der Unordnung, den Krieg, verbrennen es mit Flammenwerfern, zerstören es mit Gift oder zerschneiden es mit scharfen Klingen. Dieser Krieg der Ritzen beruht auf einer künstlichen Trennung, die auf Basis von allerlei Nicht-Wissen ausgetragen wird. Die Krautschau macht dies deutlich. Der „INSEL Kulturgarten“ fungiert dabei als Möglichkeitsraum, in dem dieses Nicht-Wissen sich in unzählig vielen Versuchen der Annäherung an die Mit-Welt zu einem einfühlsamen und vielschichtigen Wissen verwandelt, das sich seiner Eingebundenheit bewusst ist.

Neben diversen Veranstaltungsideen, die zukünftige letzte Freitage im Monat begleiten sollen, haben die Aktiven rund um Uta und Michael noch viele weitere Pläne, die im Rahmen des „INSEL Kulturgartens“ realisiert werden sollen. Darunter z.B. die Errichtung eines Hochbeetes mit essbaren Pflanzen inkl. Bewässerung durch Regenwasser und die Begrünung des Containers neben der Tribüne. Die Ideenliste zieht sich wesentlich weiter, doch weitere Änderungen müssen vorab erst mit dem Eigentümer der Flächen abgeklärt werden. Bisher zeigt er sich laut Uta und Michael kooperativ.

Neben den zahlreichen urbanen Gärten des Stadtgebiets fungiert der INSEL Kulturgarten bereits im Prozess seiner Hervorbringung als ein Ort des Gemeinsamen. Neben den zahlreichen urbanen Gärten des Stadtgebiets fungiert der „INSEL Kulturgarten“ bereits im Prozess seiner Hervorbringung als ein Ort des gemeinsamen Lernens. Hier wird Stadt gestaltet und zeitgleich werden neue Wege erprobt, die uns neue Zukünfte eröffnen könnten. Interessierte sind laut Uta und Michael dazu eingeladen, Teil der losen Gruppe zu werden und an einem der kommenden letzten Freitage des Monats vorbeizuschauen. Die Veranstaltungen finden immer zwischen 16 und 19 Uhr statt und sind kostenlos zugänglich. Außerdem halten Uta und Michael auch weiterhin Ausschau nach Kunstschaffenden, die etwas zum kulturellen Programm beisteuern möchten. Weitere Informationen zum INSEL Kulturgarten findest du hier [HOMEPAGE], hier [INSTAGRAM] und hier [FACEBOOK]. Außerdem findest du hier den Link zu einem weiteren Artikel zum „INSEL Kulturgarten“, den wir 2021 verfasst haben [HOMEPAGE Q:M].

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