Auf einen Besuch | 10 Jahre Hebebühne im Quartier Mirke

Vielen der Bewohner*innen und Besucher*innen des Quartier Mirke ist der weiß gekachelte Bau zwischen der Mirker Straße und der Nordbahntrasse ein Rätsel. Große Fenster, von dessen Rahmen der Putz abspringt, lassen tief in die Räumlichkeiten des Gebäudes blicken. Mal Abstellkammer, mal Parkplatz für skurrile motorisierte Gefährte, mal Filmkulisse, mal Kulturort und des öfteren eine Kunstinstallation. Die Rede ist von der „Hebebühne“. Ort des nachbarschaftlichen Wirkens, des Austausches im Quartier und der lebendigen Kunst. Am 15. Juni feiert die ehemalige Tankstelle zehn jähriges Bestehen. Eine Zahl die dazu einlädt mehr über die Menschen hinter der Fassade zu erfahren und das Tun und Wirken der Ehrenamtler*innen in den Vordergrund zu rücken. Mit dieser Intuition trafen wir uns mit dreien der ehrenamtlichen Akteur*innen der „Hebebühne“ und interviewte sie zu dem Thema: Zehn Jahre Hebebühne.

die Hebebühne | Foto von Wolf Sondermann

Der Sommer kehrt im Quartier ein. An diesem Tag ist es sonnig, die Temperaturen steigen über zwanzig Grad und wer kann rettet sich so oft wie  nur möglich in den Schatten. Während ich im Schatten des Holunderstrauchs vor der Hebebühne sitze und die Atmosphäre des Moments aufgreife, schwitzt Wolf in der Sonne und erschafft die wunderbaren Bilder die du in diesem Artikel findest. In der ehemaligen Werkhalle nebenan wird fleißig ein Film gedreht. Die Stimmung ist ausgelassen – es wird viel gelacht und geplaudert. Nachdem alle Beteiligten vor Wolfs Kamera standen, suchen wir uns einen Platz für das Interview. Wir werden fündig im benachbarten Garten von Jacob und Leonie.

Hier sitze ich nun, im Schatten eines Kirschenbaums zwischen Nordbahntrasse und Mirker Straße, mit Jacob Economou (43), Leonie Altendorf (37), Mira Sasse (32) und Rio (0).
Jacob ist bereits seit Gründung Teil der Hebebühne. Er kümmert sich um alle grafischen Arbeiten die anfallen, organisiert Veranstaltungen und pflegt die Nachbarschaft – er selbst nennt das „Mädchen für Alles“. Auch Leonie ist Gründungsmitglied, Powerfrau und stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Hebebühne e.V.. Mira kümmert sich um alle Baustellen rund um das Thema Kunst in der Hebebühne. Seit 5 Jahren betreut sie ausstellende Künstler*innen bei der Umsetzung ihrer Ausstellung, kuratiert und stellt das künstlerische Programm der Hebebühne zusammen.

die halbe Truppe | Foto von Wolf Sondermann

„Es darf hier viel passieren und entstehen. Und genau das, macht das Ganze auch reizvoll und spannend!“ so Leonie Altendorf.

Was genau ist denn eigentlich diese Hebebühne? Ganz bestimmt nicht das was der Namen sagt. Aber die ehemalige Nutzung des Gebäudes diente als Inspiration für die Namensgebung. Bevor die Hebebühne vor zehn Jahren ein Ort für Kunst und Kultur wurde, war das Gebäude einmal eine Tankstelle. Ein Freund der ehrenamtlich Aktiven, die damals bloß Nachbarn waren, pachtete das Gebäude und handelte hier für zwei Jahre ganz klassisch mit Autos. Nachdem er das Projekt hinter sich brachte stellte er das Gebäude und die umliegende Fläche gemeinsam mit Freunden und Freundes Freunden in den Dienst des Kollektivs. Das Phänomen Hebebühne wurde geboren. Anfangs Ort des freundschaftlichen Zusammenkommens und des bis spät in die Nacht Feierns. Den Nachbar*innen zu Liebe wurde dies schnell beendet. Was macht man wenn man einen Raum zur Verfügung hat, bevor man überhaupt ein Konzept entwickeln konnte? Richtig, man setzt sich an einen Tisch, spinnt rum und macht einfach!
Inspiriert durch die Arbeiten anderer Vereine und Zusammenschlüsse von Kreativen etablierte die Freundesgruppe über Jahre das Tun und Machen der heutigen Hebebühne. Wohl merklich zu einer Zeit, in der die Nordbahntrasse noch ein Traum der wenigen Radfahrer*innen im Tal darstellte und der ehemalige Bahnhof Mirke, heute Utopiastadt, noch Ruine ohne Aussicht auf Utopie darstellte. Das Quartier selbst erfreute sich zu dieser Zeit längst nicht der Beliebtheit, wie es heute der Fall ist.

Jacob Economou | Foto von Wolf Sondermann

Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Hebebühne ganz lapidar gesagt ein Kunst- und Kulturverein. Klingt irgendwie langweiliger als es ist! Die Hebebühne ist offen für allen (Un)Sinn den man in einer ehemaligen Tankstelle verorten kann. Mal ganz ernst und düster, mal ganz schräg und bunt! Sie dient als Plattform, Fundament, Anlaufpunkt und Präsentationsfläche für Kunst und Kultur. Mit diesem Konzept schafft die Hebebühne es immer wieder einen Ort des Austausches zu schaffen.

Der Schwerpunkt des kulturellen Angebots der Hebebühne liegt in der Förderung der bildenden Kunst. Aber über die Jahre fanden hier auch Veranstaltungen statt, die so garnicht in das alteingesessene Konzept von Kunst- und Kultur passt. So erprobte das „Craft Beer Kiosk“, vor der Eröffnung des eigenen Ladens im Luisenviertel, hier in Form von Bierverköstigungen ihr Geschäftsmodell, das Gay BBQ entstand hier im kleinen Kreise, das Medienprojekt drehte hier die ein oder andere Szene und schmiss einen Fernseher vom Dach und auch der Autowäschekalendar, in dem halbnackte „Normalo-Männer“ in lustiger Unterwäsche vor alten Autos posieren keimte hier auf. Was ein Konzept! Genau dieses Konzept, welches irgendwie eines und keines ist, wird sowohl von Quartiersbewohner*innen und Wuppertaler*innen als auch frei Schnauze nach den Interessen der Vereinsmitglieder aufgebaut. Angetrieben durch den Erfolg der Hebebühne fragen inzwischen auch deutschlandweit immer mehr Künstler*innen die Räumlichkeiten als Ausstellungsfläche an.

Mira Sasse | Foto von Wolf Sondermann

Größere und umfassendere Projekte hat die Hebebühne in den letzten Jahren so einige etabliert. So zum Beispiel das Projekt „Flügge“. Wie der Name vielleicht schließen lässt, dreht sich dieses Projekt rund um die Förderung junger Künstler*innen die kurz vor ihrem ersten Flug stehen. In enger, ungezwungener Zusammenarbeit werden die ausstellenden Künstler*innen persönlich auf ihrem Weg begleitet. Das Ganze aus Liebe zur Kunst und mit der Möglichkeit noch nicht etablierten Künstler*innen einen Weg zu ebnen. Die Hebebühne an sich stellt dabei eine spielerische Hürde dar. Der sehr spezielle Raum, der so ganz und garnicht einer weißen Wand gleicht, lädt dazu ein zu experimentieren und die Verbindung zwischen Raum und Kunst wirken zu lassen.
Mit dieser Thematik beschäftigt sich das Projekt „Offline“ expliziter. Geboren wurde das Projekt aus der Nichtnutzung der Räumlichkeiten in den Wintermonaten. Da die Hebebühne selbst nicht beheizt ist, macht eine ganzjährige Nutzung wenig Sinn. Statt die Räumlichkeiten deswegen leer und dunkel zu belassen, entwickelten die Akteur*innen das Format „Offline“. Das Konzept der Veranstaltung beschäftigt sich mit der Thematik „Kunst im verschlossenen Raum“. Mit einer deutschlandweiten Ausschreibung werden Kunstschaffende dazu eingeladen ein Konzept für eine Ausstellung einzureichen, die nicht betretbar ist. Damit wird die Hebebühne zu einem verglasten Raum ohne Tür – eine Ausstellung ohne Öffnungszeiten. Jährlich setzen, monatlich wechselnd, vier Aussteller*innen ihre Konzepte in die Tat um und erfinden somit die Hebebühne, Monat für Monat, neu. Leonie berichtet, dass gerade die Anwohner*innen der Mirker Straße sich sehr über diese Errungenschaft freuen. Wer hat schon nicht gerne, statt eines düsteren Gebäudes, ein illuminiertes Kunstobjekt vor der Haustür?

Supaknut | Foto von Wolf Sondermann

Aber auch im Sommer geht hier so einiges. Seit nun schon 8 Jahren behaust die Hebebühne das Projekt „SUPAGOLF“ des Bastlers und Schauspielers Knut Heimann, liebevoll auch „Supaknut“ genannt. Wenn einer Minigolf neu erfunden hat, dann ist es dieser Typ!
Der leidenschaftlicher Bastler und Werkler verwirklicht sich von Jahr zu Jahr immer wieder durch den Bau seiner außergewöhnlichen Minigolfbahnen. Statt mit einem Golfschläger spielt man das Ganze, wie könnte es auch anders sein, mit einem ausgemusterten Hockeyschläger. Damit befördert man den Golfball über Stock und über Stein ins Loch. Was der Bahn im Wege steht, wird einfach in die Bahn integriert. So ist es keine Seltenheit, dass auch mal der Utopiastadt Garten oder das Flachdach der Hebebühne zum Teil der außergewöhnlichen Minigolfbahnen wird. Wettbewerb? Kennt diese Sportart nicht. Das erklärt wahrscheinlich warum „SUPAGOLF“ bisher noch kein Teil der olympischen Spiele wurde. Jacob berichtet, dass das jährliche Event immer wieder frischen Wind in die Hebebühne bringt. Ganze Familien, in verschiedensten Konstellationen, werden dann Teil der Hebebühne und lernen das gesellige Beisammensein auf eine ganz bestimmte Art und Weise kennen.

Ein weiterer außergewöhnlicher Programmpunkt in der Geschichte der Hebebühne ist die Talkshow des quartierbekannten David J. Becher. Unter dem Titel „Das dem der liebe J. sein Wuppertal“ verwandelte sich die ehemalige Tankstelle elf mal in einen Veranstaltungsort für diese etwas andere Talkshow. Der heimliche Bürgermeister Utopiastadts und heutiger Bürgermeister der Wuppertaler Nächte startete in der Hebebühne seine Wuppertaler Karriere als engagierter Nachbar, berichtet Jacob. Geboren durch den Zufall in Kooperation mit ein wenig Wahnsinn und Schabernack entstand somit ein Format, dass in den letzten Jahren immer wieder den räumlichen Rahmen der Hebebühne sprengte. In der Werkhalle der Hebebühne fand nicht nur ein eng gequetschtes Publikum und ein Moderator in Form von David J. Becher Platz, sondern außerdem eine Bühne inklusive Band und Kamerateam – eng aber gemütlich. Im Rahmen des zehn jährigen Jubiläums der Hebebühne wird dieses Format erneut, in Form des „Mirker Fernsehgartens“ aufleben!

Wolfgang Philippi | Foto von Wolf Sondermann

„In die Zukunft planen ist nicht so unser Ding!“ so Mira Sasse.

Auf die Frage wo Jacob, Leonie und Mira die Hebebühne in den nächsten zehn Jahren sehen, ernte ich große, fragende Augen. Mira antwortet: „In die Zukunft planen ist nicht so unser Ding!“. Die Ehrenamtler*innen der Hebebühne lassen die Zeit auf sich zukommen und das funktionierte in den vergangenen zehn Jahren auch ganz gut. Nachdem Utopiastadt die Fläche auf der die Hebebühne steht zum vergangenen Jahreswechsel kaufte, ist auch die weitere Nutzung der Hebebühne gesichert. Aber man könne ja mal ein wenig rumspinnen. „Vielleicht ist die Hebebühne in zehn Jahren ja zweistöckig? Oder der Vorplatz dient als Landebahn für E-Ufos?“ so Mira. Der Hebebühne wäre es zuzutrauen!

In den vergangenen zehn Jahren wurde die Hebebühne zu einem etablierten Teil des Quartier Mirke. Abgesehen davon, dass einige der aktivsten Ehrenamtler*innen selbst in unmittelbarer Nachbarschaft zur ehemaligen Tankstelle leben, ist die Hebebühne selbst das Produkt der Nachbarschaft und des Zusammenkommens. Leonie erzählt ganz begeistert von einer Dame die im Haus gegenüber der Hebebühne lebt. Sie macht die Ehrenamtler*innen darauf aufmerksam, dass die Blumenkübel vor der ehemaligen Tankstelle oftmals sehr trostlos und ungepflegt aussehen. Seit dem kümmert sie sich selbst darum, dass die Blumenkübel stets durch leuchtenden Blumenprachten erstrahlen und somit den Passant*innen den Tag verschönert. Es sind die kleinen Anekdoten, die die Hebebühne zu dem machen was sie ist. Aber Jacob räumt auch ein, dass sie mehr tun könnten um die Hebebühne weiter in das Quartier zu integrieren. Oftmals trauen sich  Menschen nicht in die Hebebühne, da die Suche nach regelmäßigen Öffnungszeiten hier auf ein pures Nichts trifft. Jacob hingegen betont, dass die Hebebühne immer dann geöffnet ist, wenn die Türen offen stehen. Einfach vorbeikommen und mitmachen. Es kann so einfach sein! Wer sich hineintraut und Teil des Teams hinter der Hebebühne wird, der wird es lieben. Die zwischenmenschliche Beziehung innerhalb des Teams ist einfach herzlich. Man unterstützt sich gegenseitig bei der Umsetzung von Projekten, erfindet gemeinsam, beseitigt Hürden und schafft somit einen Ort der es den Wuppertaler*innen ermöglicht Kultur auf eine besonders ungezwungenen Art und Weise zu genießen. Ein Ort der Selbstverwirklichung, den Wuppertal so dringend und eigentlich noch viel öfter bräuchte – ganz ohne sinnlose Gentrifizierung des Quartiers. Mit Mut und Willen zum Unperfekten.

Leonie Altendorf | Foto von Wolf Sondermann

Auch wenn diese Zeilen niemals den Anspruch erfüllen könnten, das Tun und Wirken der Hebebühne in seiner Gesamtheit abzubilden, so ist es doch ein Versuch wert. Es wird klar, dass die Hebebühne von ihrer Spontanität, und dem Tatendrang der Menschen die diese Ort prägen, lebt. Ein experimenteller Raum für noch nicht Erfundenes. Ein Ort des Mitmachens und der Mitgestaltung durch nachbarschaftliche Partizipation. Hier trifft Alles auf Vieles. Mal gewollt, mal ungewollt, mal geplant und mal weniger geplant. Das schöne daran ist, dass diese Varietät gewünscht und gelebt wird. In der letzten Dekade ist sie zu weit mehr geworden als eine bloße Tankstelle oder ein Zusammenschluss von Freunden. Sie ist ein wirklicher Gewinn für das Quartier – mit Liebe und Mut zur Sache.
Die Hebebühne lädt am 15. Juni 2019 zum gemeinsamen Feiern und Revue passieren lassen der vergangenen zehn Jahre ein. Bildlich gesprochen wird dieser Tag ein großer Stuhlkreis der mit Bekannten, Freunden, Wegbegleiter*innen und dessen Beiträgen zu dem Phänomen „Hebebühne“ besetzt wird. 10 Jahre ehrenamtliches Engagement, 10 Jahre Tankstelle mal anders, 10 Jahre Hebebühne im Quartier Mirke.

Im Namen des Quartiers wünschen wir alles Gute zum 10. Geburtstag. Auf  viele weitere Jahrzehnte!

die Hebebühne | Foto von Wolf Sondermann

Mehr Informationen über das Schaffen der Hebebühne findest du hier auf der Homepage, der Facebookseite, und auf der Instagramseite der Hebebühne. Außerdem ist der Hebebühne e.V. immer auf der Suche nach aktiven und passiven Mitgliedern!

2 Kommentare

  • danke, wolf und mosche!!!
    da ist ja allerhand zusammen gekommen ; )

  • Thomas Karbowski

    Gut zu wissen, dass das Gebäude einmal eine Tankstelle war, bevor die Hebebühne vor zehn Jahren ein Ort für Kunst und Kultur wurde. Mein Onkel möchte sich eine Hebebühne zu bautechnischen Zwecken anschaffen. Er hätte sich nicht vorstellen können, aus einer Tankstelle eine Hebebühne zu kreieren.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.