STADTENTWICKLUNGSSALON | Solidarische Mirke gegen Rassismus

In letzter Instanz zielt jede Bemühung der Stadt- und Quartiersentwicklung auf die Steigerung der Lebensqualität für die Bewohner*innen ab. Als zukunftsgerichtetes Vorhaben muss sie sich dabei entlang von vielfältigen gesellschaftlichen Strukturen und Realitäten ausformulieren und diversen Ansprüche, die sich zum Teil widersprechen, gerecht werden. Allzu oft bleiben dabei gerade die Perspektiven marginalisierter Gruppen, die z.B. von Rassismus betroffen sind, auf der Strecke. Doch vor einigen Monaten ist im Quartier ein Funke entfacht worden, der dazu geführt hat, dies nun zu ändern und zur Konzeption des 12. Stadtentwicklungssalons beigetragen hat. Unter dem Titel „Solidarische Mirke gegen Rassismus“ trafen sich am 25. April ca. 20 Teilnehmer*innen im Projektbüro der Wiesenwerke, um darüber zu sprechen, wie sich das Quartier solidarisch gegen Rassismus organisieren kann.

Anlass für diesen Stadtentwicklungssalon war ein rassistischer Übergriff im Quartier, der Wellen schlug. Über diverse Emailverteiler und Gruppen gelangte die Gischt dieser Welle bis zum 52. Forum:Mirke im Autonomen Zentrum, in dessen Rahmen für einen Stadtentwicklungssalon zum Umgang mit derartigen Vorfällen im Quartier plädiert wurde. Der 12. Stadtentwicklungssalon beschäftigt sich daher mit der Frage, wie sich das Quartier gegen Rassismus organisieren und engagieren kann. Was ist dafür notwendig? Wie können vorhandene Strukturen genutzt und sensibilisiert werden?

Rund 20 Teilnehmer*innen kommen an diesem Abend im kürzlich sanierten Projektbüro der Wiesenwerke zusammen. An den Wänden hängen technische Zeichnungen und Stoffe aus der Sonderausstellung des Bandwebermuseums. Leonie Altendorf führt als Gastgeberin in den Abend ein. Die Gemeinwohlmanagerin der Wiesenwerke ist nicht nur selbst Bewohnerin des Quartiers, sondern auch als Organisationsmitglied im Forum:Mirke aktiv. Die Moderation der Veranstaltung übernehmen Sina und Dominik von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus. Das Projekt der „Wuppertaler Initiative für Demokratie und Toleranz (e.V.)“ [LINK] hat langjährige Erfahrung im Umgang mit Rassismus und Rechtsextremismus und unterstützt Initiativen und Strukturen in ganz Nordrhein-Westfalen kostenlos bei der Auseinandersetzung mit diesen Phänomenen und Einstellungen. Die Mobile Beratung steht beratend zur Seite, analysiert gemeinsam mit den Beratungsnehmenden die Situation und will durch Hilfe zur Selbsthilfe Handlungssicherheit schaffen. In der einleitenden Vorstellungsrunde stellen sich bekannte und neue Gesichter vor. Erwartungsgemäß sind die Teilnehmenden überwiegend weiß-gelesen und nach eigenen Angaben nicht direkt von Rassismus betroffen.

Der aktive Teil des Abends beginnt mit einer Sammlung von Orten und Akteur*innen im Quartier, die eine Rolle in der Bekämpfung von Rassismus im Quartier spielen könnten. Dabei wird schnell klar, dass die meisten herkömmlichen Anlaufstellen „nur“ potenzielle Anlaufstellen sind, die zwar ein antirassistisches Selbstverständnis haben oder Integrationsarbeit leisten, aber bisher keine aktiven Angebote gegen Rassismus und seine Auswüchse anbieten. Die Gründe dafür sind vielfältig – dazu später mehr. Was bleibt, ist eine unvollständige Liste von Akteur*innen, die der Vernetzung und des Aktionismus bedürfen, um gemeinsam Strukturen aufzubauen, die präventiv und reaktiv auf Rassismus reagieren können. Beim Zusammentragen stellt sich jedoch immer wieder die Frage, ob ein solches Netzwerk nicht über die Grenzen des Stadtteils hinaus geknüpft werden müsste. Schließlich reduzieren sich migrantisierte Communities nicht auf kartierte Stadträume und auch Rassismus macht nicht an diesen Grenzen halt. Darüber hinaus stellen sich Fragen der Herangehensweise. Rassismus ist kein Phänomen, das unabhängig von den Bedingungen existiert, unter denen es sich manifestiert. Soll sich das Engagement im Quartier auf den Versuch konzentrieren, das Grundproblem zu beseitigen oder sich eher auf die Prävention und Nachsorge rassistischer Vorfälle beschränken? Eine Wechselspiel, das nicht aus den Augen verloren werden darf, dessen Machbarkeit sich aber radikal an den zur Verfügung stehenden Mitteln bemisst.

Rassismus ist ein Phänomen, das weit über das individuelle Handeln hinaus bis in die Strukturen des gesellschaftlichen Seins reicht. Betroffene erleben Rassismus zwar auch durch Äußerungen und Handlungen Einzelner, aber Rassismus auf diese Interaktionen zu reduzieren, wird dem Problem nicht gerecht. So vielfältig wie Rassismus an sich ist, so vielfältig ist auch der Aktivismus dagegen. Initiativen wie „Decolonize Wuppertal“ [LINK] setzen sich z.B. mit der andauernden historischen Verstrickung der Gegenwart mit der Kolonialzeit auseinander, Initiativen wie „N-Wort Stoppen“ [LINK] beschäftigen sich unter anderem mit Rassismus in Sprechakten, Orte wie die „Antidiskriminierungsstelle Wuppertal“ [LINK] widmen sich der Unterstützung von Betroffenen und der Prävention rassistischer Übergriffe und andere Orte, wie z.B. die „Alte Feuerwache“ [LINK] leisten wichtige interkulturelle Kultur- und Sozialarbeit, die Kindern und Jugendlichen frühzeitig antirassistische Werte vermittelt. Die Ansätze sind vielfältig und tragen in ihrer Gesamtheit zur strukturellen Bekämpfung von Rassismus bei.

Doch wie kann eine so lose Konstellation wie das Quartier mit Rassismus umgehen? Um den Versuch einer Antwort auf diese Frage zu wagen, sammeln die Teilnehmer*innen gemeinsam Ideen für mögliche Interventionsmöglichkeiten. Die Liste ist lang und reicht von der materiellen Raumgestaltung in Form des Ausbaus von safer spaces und Identifikationsräumen (z.B. durch interkulturelle dekoloniale Bildung oder den Ausbau von Meldestrukturen in Schulen) über die Herstellung von Sichtbarkeit für Betroffene durch die Einbindung betroffener Akteur*innen bis hin zur Etablierung von Awareness-Konzepten und -Strukturen, die eine intersektionale Perspektive einnehmen und sich verschränkende Diskriminierungsformen mitdenken.

Darauf aufbauend werden notwendige Schritte zur Umsetzung der Ideen erarbeitet. Dazu gehört die Etablierung und Unterstützung von interkulturellen Orten und Veranstaltungen, die dem Austausch und Teilen von Wissen und Ressourcen dienen und das Erreichen von betroffenen Multiplikator*innen, die für sich und ihre eigenen Strukturen sprechen können. Darüber hinaus sollen Sensibilisierungsstrukturen verbreitet werden, die antifaschistisches und rassismuskritisches Bewusstsein stärken und damit Zivilcourage fördern, mit deren Hilfe Übergriffe verhindert werden können. Im Kern geht es aber bei allen angedachten Schritten um die Notwendigkeit der weiteren Vernetzung. Grundsätzlich wird immer wieder deutlich, dass es im Quartier vor allem an materiellen Ressourcen mangelt, mit Hilfe derer z.B. betroffene Expert*innen für ihre Mitarbeit entlohnt, Handreichungen gedruckt, Workshops und Veranstaltungen konzipiert und durchgeführt werden können. Grundsätzlich gibt es Fördertöpfe, mit denen finanzielle Mittel akquiriert werden könnten, aber die Antragstellung und Mittelvergabe ist arbeits- und zeitintensiv. Daran anschließend stellt sich das Problem des Ehrenamts. Viele Akteur*innen des Quartiers, die sich zu einem großen Teil auch ehrenamtlich engagieren, sind bereits durch das bisherige Engagement ausgelastet. Die notwendige Etablierung von konkreten Vernetzungsprozessen, in denen gemeinsam mit diversen Akteur*innen Konzepte ausgearbeitet und Strukturen geschaffen werden können, wird dadurch erschwert.

In einer abschließenden Reduktion werden folgende Schritte konkretisiert, die nicht mit festgelegten Methoden zu verwechseln sind. Sie sind vielmehr vorläufige Ergebnisse des Abends und können in der weiteren Arbeit aufgegriffen oder verworfen werden. Die Teilnehmer*innen einigen sich auf die Möglichkeit einer Erhebung der Bedarfe von Betroffenen im Quartier, die ggf. wissenschaftlich, aber rassismuskritisch durch Masterstudierende der BUW durchgeführt werden könnte. Darüber hinaus werden die Erstellung von Handreichungen zur Sensibilisierung im Quartier, die auf Veranstaltungen verteilt werden sollen, dezidierte Vernetzungstreffen von quartiersinternen und einzelnen externen Akteur*innen sowie die Initiierung einer antirassistischen „Werbekampagne“ zur Stärkung der Haltung des Quartiers gegenüber Rassismus diskutiert. Welcher dieser Vorschläge umgesetzt wird, bleibt offen.

Wie nicht anders zu erwarten, bleibt der Abend lediglich der Startschuss für einen hoffentlich lang andauernden Prozess. Wie er reifen wird, ob er bestehen bleibt oder nicht, obliegt den einzelnen Akteur*innen, ihren Kapazitäten und Prioritäten. Klar ist jedoch bereits am Ende des Abends, dass zu einem weiteren Treffen eingeladen werden soll, zu dem z.B. auch Mitarbeiter*innen der Antidiskriminierungsstelle der Stadt Wuppertal und rassismuskritische Akteur*innen aus dem Stadtgebiet eingeladen werden sollen und dass die Wiesenwerke auch weiterhin ihre Räumlichkeiten zur Verfügung stellen werden. Die zurückhaltende Beteiligung des Quartiers lässt Raum für Spekulationen. Schließlich gab es bisher noch keinen Stadtentwicklungssalon, der mit einer derart geringen Beteiligung aufwarten konnte – woher diese Zurückhaltung rührt, bleibt vorerst der Interpretation des*der Einzelnen überlassen. 

Wie kann eine solidarische Mirke aussehen, die sich im Kampf gegen Rassismus verbündet? Die Antwort auf diese Frage ist Zukunftsmusik. Aber der 12. Stadtentwicklungssalon konnte trotz der geringen Teilnehmer*innenzahl bereits eine erste Skizze einer anderen Zukunft entwerfen. In dieser Zukunft ist Rassismus nicht verschwunden. Aber Nichtbetroffene haben sich im Quartier solidarisch mit den Betroffenen organisiert und verschiedene Schritte eingeleitet, um sorgende Strukturen aufzubauen und den Kampf gegen Rassismus weiter zu tragen. Bis aus dieser Skizze ein Gemälde wird, wird Zeit vergehen. Wie schnell diese vergeht und wie das Bild konkret aussehen wird, hängt von den Menschen ab, die es gemeinsam vollenden. Wichtig dabei ist, dass sich die Akteur*innen im Stadtteil an den realen Gegebenheiten orientieren. Es ist ein Einfaches sich eine heile Welt vorzustellen und auf dem weißen Blatt Papier einen Weg zu ihrer Umsetzung zu planen. Doch die gesellschaftliche Realität gleicht keinem Blankopapier. Es ist daher von größter Bedeutung, den erstrebenswerten Weg gemeinsam mit Menschen zu konzipieren, die alltäglich daran gehindert werden ihn zu bestreiten. Mehr Informationen über die Wiesenwerke oder die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus findest du hier [WIESENWERKE] und hier [MOBILE BERATUNG].

Fotos von Judith Kolodziej (@siebterfebrurar)

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