Ein bewegender blick in die Wuppertaler Stadtgeschichte | Das Bandwebermuseum in der ehemaligen Gold-Zack Fabrik

Wuppertal wäre ohne Textilindustrie undenkbar. Auch wenn heute nur noch an wenigen Stellen offensichtlich wird, dass Wuppertal einst eine blühende Industriemetropole war, verstecken sich in zahlreichen Hinterhöfen und Backsteingebäuden auch heute noch historische Schmuckstücke und Überbleibsel des letzten Jahrhunderts. So auch im Mirker Quartier z.B. in den heutigen Wiesenwerken. Im einstigen Gold-Zack Gebäude wurden jahrzehntelang die ikonischen Gummibänder mit goldenem Zackenmuster gewebt, die auch heute nicht unbekannt sind. In einer Etage der ehemaligen Produktion befindet sich seit Anfang 2020 jedoch das Bandwebermuseum, in dem 100 Jahre Industrie- und somit auch Stadtgeschichte zum Leben erweckt wurden. Wir haben uns mit einer der Initiator*innen Irmlind Pesch getroffen, um mehr über die Geschichte des Museums und die Ausstellung zu erfahren.

Irmlind Pesch ist gebürtige Braunschweigerin, doch bereits vor geraumer Zeit landete sie aus beruflichen Gründen im beschaulichen Wuppertal und arbeitete 43 Jahre ihres Lebens als Lehrerin an der Friedrich-Bayer-Realschule. Sie ist ehrenamtliches Gründungsmitglied und langjährige erste Vorsitzende des „Fördervereins Bandwebermuseum“ und hat sich im Zuge dessen über die Jahrzehnte unglaublich detailliertes Wissen über die verschiedenen Arbeitsabläufe angeeignet, das sie gerne teilt.

Das Bandwebermuseum war nie geplant. Doch als Irmlind Pesch und ihre Kollegin Margret Kaiser 1988 von einem alten Bandweber das Angebot erhielten, einen funktionierenden Schachten-Webstuhl geschenkt zu bekommen, wurde der Grundstein gesetzt. Nach Gesprächen mit der Schulleitung und Kolleg*innen entschieden sie sich, die Schenkung anzunehmen und den Webstuhl in einem leeren Klassenzimmer aufzustellen. Nur wenige Monate später erfolgte dann im April 1989 die Eröffnung des Museums innerhalb der Friedrich-Bayer-Realschule und hier sollte es auch über 30 Jahre bleiben. Im Juni 2019 mussten Pesch und der stetig wachsende Kreis von weiteren Ehrenamtler*innen die Klassenräume jedoch aufgrund von Platzmangel räumen. In Absprache mit der Stadt Wuppertal zog das Museum 2019 in die ehemaligen Gold-Zack Werke, wo es im Januar 2020 eröffnete und trotz einer nur kurz darauffolgenden Pandemie auch heute noch als Dependance des „Museum Industriekultur“ existiert. Dieser erfreuliche Umstand ist Produkt einer Vielzahl von Händen und Köpfen, die sich im Verlaufe der letzten 35 Jahre in die Geschichte des Bandwebermuseums einschrieben. Seien es die Ehrenamtler*innen und Studierenden, die Führungen organisieren oder die ehemaligen Bandweber*innen, die die Maschinen auch heute noch am Laufen halten.

Das Bandwebermuseum ermöglicht heute einen lebendigen Einblick in über 100 Jahre Bandweberindustrie. Anfangspunkt der Ausstellung ist dabei eine stilechte Hausbandweberstube, in der die Besucher*innen am eigenen Leib erfahren können, wie die Menschen vor über 100 Jahren im heutigen Wuppertal lebten. Neben einem kleinen Holzofen, einem hölzernen Schrank und einem Tisch mit drei Stühlen ist der mit Blümchentapete eingekleidete Raum vor allem von dem Schachten-Webstuhl und den dazugehörigen Maschinen und Werkzeugen bestimmt. Werkstatt und Wohnraum sind damals untrennbar miteinander verwoben und eine strikte Trennung zwischen Berufs- und Familienleben undenkbar. Kein Wunder, denn damals halfen alle Familienmitglieder bei der Produktion der Textilien. Während die Erwachsenen am Webstuhl arbeiteten und sich um den Betrieb kümmerten, halfen ihnen ihre Kinder bereits ab drei Jahren mit einfachen Tätigkeiten bei der Fertigung der Bänder. Der hier ausgestellte Schachten-Webstuhl kam am 24. Dezember 1907 in die Familie des Vorbesitzers und wurde hier über 80 Jahre betrieben, bevor er in die Hände von Pesch und den anderen Ehrenamtler*innen übergeben wurde. In seinen besten Zeiten webte die Maschine wöchentlich bis zu 100 Meter Band pro Arbeitsstelle und produzierte damit den Lebensunterhalt der Familie. Doch die spezifische Einstellung der Maschine dauerte je nach Komplexität des zu webenden Bandes mit zwei geschulten Personen 1-3 Wochen, wobei die Zeit der Einstellung nicht bezahlt wurde. Das erklärt unter anderem die enormen Arbeitszeiten und die heute zu Recht verbotene Kinderarbeit, die zur damaligen Zeit jedoch üblich war. Wie auch alle anderen Maschinen im Museum, ist erfreulicherweise auch dieser Webstuhl funktionstüchtig. Als Pesch den Webstuhl für uns zum Leben erweckt, bebt der Boden und es wird deutlich, in was für einer Atmosphäre die Wuppertaler*innen, die damals wohlgemerkt noch keine waren, lebten. Der ohrenbetäubende Lärm der Maschine, die Takt für Takt, die Fäden zu Bändern werden lässt, ist allgegenwärtig.

Im benachbarten Raum stellt das Bandwebermuseum weitere Webstühle und Flechtmaschinen aus. Darunter auch ein „halber“ funktionstüchtiger und historischer Jacquardwebstuhl, der vom Vorbesitzer aus Platzgründen von der mit einem Beil und einer Säge halbiert wurde. Einst standen 40 dieser Webstühle in doppelter Länge auf der Etage der Gold-Zack Fabrik und produzierten die berühmt-berüchtigten Gummibänder mit den goldenen Zackenmustern. Der Jacquardwebstuhl arbeitet mit sogenannten Lochkarten, die es der Maschine ermöglichen, binären Code auf gelochten Karten in komplexe Webmuster zu übersetzen. Er wurde von dem gleichnamigen französischen Erfinder und Sohn eines Webers Joseph-Marie Jacquard 1805 entwickelt und schnell zum industriellen Standard für gemusterte Textilien, weil sie jeden Kettfaden einzeln ansteuern können, statt lediglich ganze Gruppen von Fäden. Zahlreiche der ausgestellten Kunstwerke und Textilien konnten mithilfe dieser Technik mit wesentlich geringerem Aufwand produziert werden. Aber auch eine weitaus modernere Maschine in Form eines Hightech-Nadel-Automaten sind Teil des Museums. Mit ähnlichen können etwa Zubehörteile für schusssichere Westen oder Spanngurte hergestellt werden können.

Schon bevor es überhaupt denkbar gewesen wäre, dass das Bandwebermuseum in die ehemalige Gold-Zack Fabrik ziehen würde, sammelten die Ehrenamtler*innen immer mehr Ausstellungsstücke, die Bezüge zu Gold-Zack hatten. Den krönenden Abschluss der Sammlung stellt ein ehemaliger Werbeaufsteller dar, auf dem eine Person zu sehen ist, die durch einen Mechanismus an einem großen Gummiband der Firma mit den ikonischen goldenen Zacken zieht. Pesch erzählt, dass auf der Rückseite des Ausstellers steht, dass dieser nach Nutzung stets zurück in die Gold-Zack Werke zu bringen ist. Nach über 70 Jahren hat er es vor kurzem nun zurückgeschafft und steht jetzt an Ort und Stelle.

Ohne Orte der Stadtgeschichte, wie das Bandwebermuseum und die ehrenamtliche Arbeitskraft der Engagierten würde das einstige Industriehandwerk Wuppertals schon längst verschwunden sein. Abseits der vielen historischen Maschinen und Ausstellungsstücke, die bereits dem Zerfall oder der Verschrottung zum Opfer fielen, ginge damit nicht nur ein spezifisches Wissen verloren, sondern vor allem auch ein Stück der Identität der Talstadt, die so eng mit dem Handwerk des Webens verbunden ist. Wenn ihr selbst mehr über das Handwerk der Bandweber*innen erfahren wollt und das Rattern der Maschinen am eigenen Leib spüren wollt, könnt ihr dem Bandwebermuseum an jedem Donnerstag und 1. und 3. Sonntag im Monat einen Besuch abstatten. Weitere Informationen findest du hier [HOMEPAGE BANDWEBERMUSEUM].

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