VielWERT | Das Sozialkaufhaus in der Diakoniekirche
Seitdem die Diakonie Wuppertal 2023 bekannt gab, dass sie die Diakoniekirche/Kreuzkirche zukünftig verkaufen möchte, um die enormen Betriebskosten sozialen Zwecken zuzuführen, wurde es erst einmal ruhig um das Gebäude. Doch seit einigen Wochen tut sich etwas. Am 18. März zog das Sozialkaufhaus „VielWERT“ der Diakonie Wuppertal in die Kirche ein und wird hier bis spätestens Anfang 2025 vorübergehend ein neues Zuhause finden. Ich habe mich mit Claudia Salaf, Leiterin des Sozialkaufhauses „VielWERT“, Marion Grünhage, Geschäftsführerin der Diakonie Wuppertal Soziale Teilhabe gGmbH, Bereichsleiter Torsten Angenendt und Thomas Bartsch, Geschäftsführer der Diakonie Wuppertal gGmbH, für ein Interview in der Diakoniekirche getroffen, um mehr über das Projekt zu erfahren.
Ein Sozialkaufhaus in einer Kirche? Das scheint in erster Linie ziemlich ungewöhnlich und auch an die Kulisse muss man sich erst einmal gewöhnen. Vor den bunten Glasfenstern steht nun eine Reihe von Spielzeugen – darüber baumelt ein Holzkreuz – und die Kirchenbänke wichen Regalen und Tischen, auf denen nun allerlei Kleidung, Bücher, Dekoartikel und Geschirr präsentiert werden. Aber VielWERT ist mehr als eine seltsame Szenerie. VielWERT ist ein Sozialkaufhaus, das in Wuppertal seit über 30 Jahren Menschen den Zugang zu einem vielfältigen Angebot an erschwinglichen und gut erhaltenen Second-Hand-Waren ermöglicht. Und das lange bevor Nachhaltigkeit auf gesellschaftlicher Ebene eine solche Relevanz zuteilwurde und wir stetig mit der andauernden Klimakrise konfrontiert werden. Der Name ist dabei Programm. Denn Wert ist als etwas sehr Abstraktes zu verstehen. Je nachdem, wen man fragt, wird der gleiche Gegenstand für andere wertvoller sein, als für andere. Gegenstände, die für den*die eine*n wertlos geworden sind, werden hier wieder mit Wert versehen, indem sie erneut einem Zweck zugeführt und somit für Andere zugänglich werden. Das Angebot des Sozialkaufhauses ist explizit an alle Menschen ungeachtet ihres sozioökonomischen Hintergrundes gerichtet. Hier kaufen Empfänger*innen von Sozialhilfen ebenso ein wie Studierende, Auszubildende und Erwerbstätige aller Couleur.
Das Sortiment des Sozialkaufhauses gleicht dem eines „normalen“ Kaufhauses. Hier finden Kund*innen gebrauchte Kleidung, Accessoires, Spielzeuge, Dekorationsartikel, Geschirr, einige Elektroartikel, Bücher, CDs, Möbel und gelegentlich ganze Küchenzeilen zu erschwinglichen Preisen. Während einige kleinere Gegenstände von Kund*innen persönlich zum Kaufhaus gebracht und gespendet werden, bietet das Sozialkaufhaus auf Anfrage auch kostenlose Transporte und -abholungen einzelner Möbel oder ganze Haushaltsauflösungen zu kostengünstigen Preisen an. Solange die Gegenstände nicht zu stark beschädigt sind und einen guten Eindruck machen bzw. funktionstüchtig sind, kann ihnen im Sozialkaufhaus ein weiteres Leben ermöglicht werden. Kleinere Mängel werden von den Mitarbeiter*innen selbst behoben. Sind die Mängel jedoch zu groß, behalten sich die Mitarbeiter*innen des Kaufhauses auch das Recht vor, die Möbel nicht abzuholen bzw. nicht anzunehmen – schließlich ist VielWERT keine Sperrmülldeponie, sondern ein Sozialkaufhaus.
Aber das Projekt schreibt nicht nur den angebotenen Gegenständen viel Wert zu. Denn auch für die bis zu 25 Menschen, die hier arbeiten, ist damit ein Wert verbunden. Im Sozialkaufhaus sind vorrangig Menschen tätig, die eine lange Geschichte der Erwerbslosigkeit hinter sich haben und sich auf Basis des Angebots des Jobcenters für eine Teilnahme im Angebot der Diakonie als sogenannte „Arbeitsgelegenheit“ entscheiden. Langjährige Erwerbslosigkeit ist dabei oftmals ein einschneidendes Erlebnis in der individuellen Biografie der Teilnehmer*innen, aus der zum Teil auch soziale Isolation aufgrund von Armut und fehlende Routinen resultieren. Der Wiedereinstieg in das Erwerbsleben wird dadurch häufig erschwert. VielWERT wirkt als berufliche Reintegrationsmaßnahme und verschreibt sich dem Angebot, die Mitarbeiter*innen in einem zusätzlichen Arbeitsumfeld für den beruflichen Wiedereinstieg zu qualifizieren. So werden die Mitarbeiter*innen dabei begleitet die eigene Rolle im Team, eine gelungene Alltagsstruktur, Zuverlässigkeit und Selbstwirksamkeit wiederzuentdecken. Hier können die Mitarbeiter*innen sich in den verschiedenen Bereichen des Sozialkaufhauses ausprobieren und grundlegende Fähigkeiten, wie das Reparieren und Verkaufen von Gegenständen, die Handhabe von Verkaufs- und Warenlogistikprozessen und den Umgang mit Kund*innen erwerben. Die Mitarbeiter*innen entscheiden in den einzelnen Bereichen dann aktiv mit, wie Gegenstände bepreist werden könnten, ob sich eine Reparatur überhaupt lohnt, wie die Abholungen geplant werden können, etc. Die Maßnahmen sind allesamt auf 6 Monate befristet, können aber unter Umständen auch verlängert werden. Innerhalb dieses Zeitraumes werden die Teilnehmer*innen durch die Diakonie Wuppertal bei der Jobsuche unterstützt und begleitet.
Abseits des Interviews zeigt das Projekt für mich ganz exemplarisch auf, dass Teilsein und Teilhabe nicht gleichbedeutend sind. Obwohl wir alle Teil der gleichen Gesellschaft sind, so entscheiden schlussendlich doch diverse Parameter darüber, inwiefern wir uns als wirkmächtigen Teil eben jener Gesellschaft wahrnehmen und engagieren können. Nichts ist voraussetzungslos, auch wenn das neoliberale Paradigma, indem wir alle vermeintlich unseres eigenen Glückes Schmied*in seien, dies impliziert. Innerhalb unserer Gesellschaft wird Teilhabe maßgeblich über das Prinzip der Lohnarbeit ermöglicht. Sie strukturiert unseren Alltag, erlaubt es uns Geld zu verdienen und damit den Zugang zu notwendigen Mitteln zu bekommen, um ein selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Leben zu führen. VielWERT wirkt an dieser Schlüsselstelle und unterstützt eben jene, die aus diversen Gründen durch die Raster gesellschaftlicher Mechanismen fallen – sowohl in Bezug auf Arbeit, als auch in Bezug auf den Zugang zu lebensnotwendigen Mitteln.
Der Standortwechsel des Sozialkaufhauses ist allerdings nur vorübergehend, obwohl das Angebot in der Diakoniekirche, laut Claudia Salaf, sehr gut angenommen wird und die Anzahl der Kund*innen stetig steigt. Nachdem das Projekt vor über 30 Jahren in der Bandstraße ins Leben gerufen wurde, zog es in ein Gebäude in Barmen und nun wieder zurück ins Quartier. Nun soll VielWERT allerdings langfristig in einem zentralen Gebäude der Diakonie am Hofkamp 62 sesshaft werden. Solange die Diakonie Wuppertal noch auf Baugenehmigungen für Umbauarbeiten und die Fertigstellung der Umsetzung wartet, ist das Sozialkaufhaus vorübergehend in die Räumlichkeiten der Diakoniekirche umgezogen. Spätestens Anfang 2025 soll es dann endgültig an den Hofkamp ziehen. Laut Marion Grünhage hat die Zwischennutzung der Diakoniekirche keinerlei Auswirkung auf das Verkaufsvorhaben der Diakonie Wuppertal. Ganz im Gegenteil berichtet Grünhage, dass es einen ernsthaften Interessenten gibt, der auch trotz der vorübergehenden Nutzung weiterhin am Kaufvorhaben festhält.
Egal ob ihr selbst auf der Suche nach einer neuen Küchenzeile für die WG, einem neuen Lieblingspullover oder Spielzeug für den nächsten Kindergeburtstag seid oder nach dem Ausmisten ein paar Gegenstände gefunden habt, die für andere mehr Wert haben als für euch – VielWERT ist auf jeden Fall eine Anlaufstelle, die einen Besuch wert ist. Das Sozialkaufhaus hat Montag bis Donnerstag von 08:00-16:30 Uhr und Freitag von 08:00-14:15 Uhr geöffnet. Die Mitarbeiter*innen von VielWERT freuen sich über eure Spenden, bitten jedoch darum, diese vorab telefonisch (Tel. 0202 / 49 61 69 – 23) anzukündigen. Hier findet ihr außerdem weitere Informationen [HOMEPAGE DIAKONIE].