Tag der offenen Tür in Utopiastadt | Zwischen Sanierung, Ehrenamt und Transparenz
Utopiastadt, der selbst ernannte „andauernde Gesellschaftskongress mit Ambitionen und Wirkungen“, ist schon seit langer Zeit eines der zivilgesellschaftlichen Vorzeigeprojekte Wuppertals. In einem produktiven Wirrwarr treffen hier Ehrenamt, Stadtentwicklung, Kunst, Kultur, Wissenschaft, konkrete Utopien und seit ein paar Jahren auch Sanierungsarbeiten im Bestand aufeinander. Letzteres war bereits zu Beginn des Projekts unumgänglich und wurde mithilfe von öffentlichen Fördergeldern der Städtebauförderung des Landes NRW und des Bundes möglich. Den Eigenanteil akquirierten die Utopist*innen zum einen durch Fördergebende, und zum anderen durch ehrenamtliche Selbsthilfe, die seit Jahren im Rahmen der wöchentlichen Workouts durchgeführt wird. Ganz schön viele Informationen für eine Einleitung? Damit bist du nicht allein. Um ein bisschen Licht ins Dunkle zu bringen, luden die Utopist*innen am 07. April zum dritten Tag der offenen Tür ein. Wir haben uns anlässlich dessen mit Amanda Steinborn, Vorstandsvorsitzende des Förderverein Utopiastadt e.V., getroffen, um ein paar Fragen zu stellen und außerdem fotografisch ein paar Eindrücke eingefangen.
Amanda Steinborn ist am Rande von Wuppertal aufgewachsen, hat der bergischen Hauptstadt für ihr Studium der Sozialen Arbeit und Jobs allerdings für einige Jahre den Rücken zugekehrt. Inzwischen ist sie wieder in der Talstadt sesshaft geworden und verwirklicht sich seitdem ehrenamtlich als Utopist*in in ihrer Rolle als Vorstandsvorsitzende des Förderverein Utopiastadt e.V.
Das mürrische Wetter der bergischen Hauptstadt zeigt sich an diesem Sonntagnachmittag von seiner weniger rauen Seite. Der Himmel ist zwar mit grauen Wolken überzogen, doch die Sonne schafft es, klaffende Löcher in die Wolkendecke zu brechen und den Besucher*innen Utopiastadts eine gemütliche Atmosphäre zu bescheren. Es ist trubelig und an diesem Tag kommt jene Atmosphäre auf, die die Wuppertaler*innen in Utopiastadt so sehr schätzen. Jeglicher Gegenstand, der als Sitzgelegenheit zweckentfremdet werden kann, ist es. Es riecht nach Waffeln und aus der Boombox schallt Musik über die Freiflächen. Ich sitze mit Amanda Steinborn auf der Terrasse vor dem Hutmacher, während eine Gruppe von circa 40 Besucher*innen angeleitet von dem baukundigen Architekten und Vorstandsbeisitzenden Tobias Grosse-Brockhoff durch das historische Gemäuer geführt wird. Grund für das gemütliche Durcheinander ist vermutlich nicht allein das warme Wetter, sondern auch der „Tag der offenen Tür“, anlässlich dessen die Utopist*innen bereits zum dritten Mal ihre Türen öffnen.
Auf den ersten Blick vielleicht ein verwunderlicher Zusammenhang. Schließlich ist es Teil des utopischen Selbstverständnisses, dass die Türen Utopiastadts zu jeder Zeit aufgestellt sind. Doch wie Amanda berichtet, ist der Tag der offenen Tür die logische Konsequenz der Erkenntnis, dass es einen Unterschied macht, eine Tür lediglich aufzuschließen, statt zusätzlich davorzustehen und hereinzubitten. Die heutige Veranstaltung ist somit als Ergebnis eines Lernprozesses zu verstehen, der Teil des Projekts ist. Und diese Erkenntnis findet bereits seit dem 1. April 2023 ihre Umsetzung. Damals fand der erste Tag der offenen Tür statt und das Wetter meinte es weniger gut mit den Utopist*innen. Es regnete in Strömen und alle zweifelten daran, dass sich überhaupt eine Seele nach Utopiastadt verirren würde, berichtet Amanda. Doch es kam anders: Besucher*innen pilgerten von ihrer Neugier angetrieben trotz des widrigen Wetters zum historischen Bahnhofsgebäude. Von dem großen Interesse überwältigt, wurde der nächste Tag der offenen Tür bereits im September 2023 veranstaltet. Heute findet der dritte Tag der offenen Tür statt und seitdem Utopiastadt sich zu einer Baustelle verwandelte, ist das Interesse der Wuppertaler*innen nach wie vor ungebrochen. Jegliche Führung ist voll besetzt und die Utopist*innen kommen im Rahmen ihrer ehrenamtlichen Engagements kaum hinterher, über den Stand der Dinge zu informieren. Der Tag der offenen Tür ist der Versuch, diese Informationslücke zu schließen und den Wuppertaler*innen das Tun und die Logik Utopiastadts näherzubringen.
Dabei reduzieren sich die Utopist*innen allerdings nicht alleine auf „die Baustelle“, denn Utopiastadt war schon immer mehr als ein Gebäude und das utopische Tun bezieht sich schon immer auf die Herstellung anderer Zukünfte. Innerhalb von drei verschiedenen Führungen werden die Besucher*innen über die Vielfalt der ansässigen „Module“, die Sanierung im laufenden Betrieb und die Entwicklung des Utopiastadt Campus informiert. „Modul“ ist das Wort, dass Utopist*innen nutzen, um die einzelnen Bereiche und Gruppen in Utopiastadt zu benennen, die wohlgemerkt nicht trennscharf sind. Amanda übernahm an diesem Tag die Führung durch diese Module und begleitete die Besucher*innen durch eine Bandbreite der folgenden Module: den Fahrradverleih, die Werkstatt bzw. die Genese der benachbarten GPA (Gepäckabfertigung), die Nähwerkstatt, den Hackerspace /dev/tal, die Mirker Schrauba, den Garten, das Fienchen, das Fotolabor, den Förderverein, die Co-Forschung das Forum:Mirke. Wobei jedes Modul einzeln von Utopist*innen vorgestellt wurde, die in diesen auch aktiv sind und sie mitgestalten. Das Motto lautet hier: Nicht über, sondern mit Utopist*innen und deren Projekten reden. Die Führung durch die Sanierung wird von Utopist*innen, wie Tobias Grosse-Brockhoff übernommen, der selbst Erfahrungen mit dem konkreten Sanierungsvorhaben sammeln konnte und auch fachkundige Fragen beantworten kann. Die zur gleichen Zeit stattfindende Führung zur Entwicklung des Utopiastadt Campus musste ausfallen, da die Besucher*innen die Führung zur Sanierung präferierten – das spricht für sich.
In Deutschland ist es fast schon Tradition, sich über die Langwierigkeit öffentlicher Bauvorhaben zu empören und manch ein*e Wuppertaler*in fragt sich schon seit geraumer Zeit, warum die Sanierungsarbeiten in Utopiastadt sich über einen so langen Zeitraum erstrecken. Woher kommt dieser Wissensdurst? Am Vortag wurde die Fassade des historischen Bahnhofsgebäudes teilweise von der schwarzen Plane befreit, die das Gebäude seit Jahren umhüllte. Darunter offenbart sich das Produkt der Arbeit der letzten Jahre in Form der sanierten Fassade, die seit Jahrzehnten nicht mehr solch einen Glanz an sich trug. Metaphorisch gesehen ist das vermutlich einer der Gründe für das Interesse. Hunderte Stunden ehrenamtlicher Arbeit wurden ungesehen hinter den Planen in das Gebäude gesteckt. Die knappen ehrenamtlichen Ressourcen erschöpften sich dabei in der Realisierung der Sanierung und weniger in der Kommunikation darüber. Amanda räumt ein, dass dadurch auch Raum für das Wachsen von Zweifel gegenüber der andauernden Sanierung „ohne sichtbares“ Ergebnis eröffnet wird, der in den Führungen durch kritische Nachfragen Ausdruck findet. Sie betont jedoch auch, dass sie sich im Rahmen der Führungen Zeit nimmt, derartige Fragen transparent zu beantworten und deutlich zu machen, dass große Teile Utopiastadts in ehrenamtlicher Arbeitszeit von Menschen organisiert werden, die selbst auch ein „normales“ Leben wie alle anderen führen. Die Führungen am Tag der offenen Tür sind als niederschwelliges Angebot zu verstehen, das es Interessierten erlaubt, mehr über das Projekt und den Rahmen der Umsetzung zu erfahren, ohne sich durch das Internet wühlen zu müssen. Dabei kommen übrigens immer wieder die gleichen Fragen und Thematiken auf – Fahrradspenden, Ungläubigkeit bezüglich des ehrenamtlichen Engagements und jede Menge spezifische Fragen zur Umsetzung der Sanierung.
Die Situation, in der sich Utopiastadt damit bereits seit Jahren befindet, ist kein Einzelfall. Zahlreiche gemeinnützige Projekte innerhalb der Stadtmacher*innenszene sind mit dem ewigen Balanceakt zwischen eigenen Ansprüchen und fehlender ehrenamtlicher Arbeitskraft konfrontiert, der durch die Abwesenheit finanzieller Ressourcen nicht gerade entschärft wird. Das Utopiastadt als „Vorzeigeprojekt“ Wuppertals überregional so viel Aufmerksamkeit erfährt, versteht Amanda gleichzeitig als Fluch und Segen. Denn damit steigt das Interesse der Bevölkerung und zugleich auch der Aufwand für Öffentlichkeitsarbeit, die schlussendlich ehrenamtlich organisiert werden muss, enorm. Amanda betont, dass es eigentlich eine*n PR-Manager*in bräuchte, um den Wissensdurst abzudecken und neue Ehrenamtler*innen zu gewinnen. Aber dafür fehlt es zum einen an Geld und zudem an Utopist*innen, die Lust auf Öffentlichkeitsarbeit haben. Schließlich basiert Ehrenamt nun mal auf Muße und Eigeninteresse und Utopist*innen kann man zum Glück nicht einfach den Hammer aus den Händen reißen, um ihn mit einer Kamera und einem Laptop zu ersetzen. Zudem sind die Ansprüche in Utopiastadt, man hätte es sich denken können, utopisch und daher muss stetig entschieden werden, welche Aspekte gerade besonders fokussiert werden müssen. In den letzten Jahren, die zudem von einer Pandemie heimgesucht wurden und nicht nur die Kosten von Baumaterialien ins Unermessliche stiegen ließen, sondern das ehrenamtliche Engagement erschwerten und ausbremsten, fokussierten sich die Utopist*innen eher auf die Sanierung, und weniger auf deren Kommunikation nach außen. Das kann man ankreiden, aber vermutlich würden es viele unter den gegebenen Umständen nicht anders machen.
Schlussendlich ist Utopiastadt eine Baustelle, wie es die Utopist*innen bereits in ihrem Jahresrückblick 2021 feststellten. Solange die Sanierung anhält, steht diese Baustelle wohl oder übel im Vordergrund. Doch diese Baustelle begrenzt sich nicht buchstäblich auf das physische Bauvorhaben, sondern umfasst auch die Baustelle, im Rahmen derer die Stadt von morgen erdacht, konkretisiert, debattiert und vielleicht einmal errichtet wird. Es wird ein Danach geben. Bekanntlich wurde Rom auch nicht an einem Tag erbaut. Der nächste Tag der offenen Tür wird am 01. September 2024 stattfinden. Wer keine Ankündigungen verpassen will, findet hier [FACEBOOK] und hier [INSTAGRAM] die Social-Media-Accounts von Utopiastadt. Geheimtipp: An jedem ersten Sonntag des Monats findet anlässlich der Mirker Matinee eine öffentliche Führung in Utopiastadt statt. Weitere Informationen dazu erhältst du hier auf der Homepage des Projekts [UTOPIASTADT]. Zudem ist Utopiastadt nach wie vor auf der Suche nach neuen Utopist*innen, die sich ehrenamtlich verwirklichen wollen. Meldet euch einfach via Mail: kontakt@verein.utopiastadt.eu.