PLASTIKTÜTE | Eingetütet zwischen Nostalgie und Warnung

Die Hebebühne geht wieder online. Nachdem der Kunst- und Kulturverein in den letzten Monaten offline schaltete und die Hebebühne als lebendige Installation diverser Künstler*innen inszenieren ließ, läutet der Verein nun die Saison ein. Den Anfang macht SupaKnut Heimann mit seiner Installation „PLASTIKTÜTE“ und schafft so nicht nur zweitweise einen Blickfänger im Quartier, sondern möchte auch Raum für gesellschaftliche Kritik öffnen. Wir haben uns das ganze mal aus der Nähe angeschaut und nachgefragt was es mit der „eingetüteten“ Hebebühne so auf sich hat. Spoiler: eine Menge voller Menge!

SupaKnut Heimann als Batman | Foto von Wolf Sondermann

SupaKnut Heimann, ist quartiersbekannt. Als Teil des Wuppertaler Vollplaybacktheaters steht er auf den Bühnen des Landes. Als einer von zwei Initiatoren von SupaGolf konzipiert er seit über einem Jahrzehnt die außergewöhnlichsten Golf-Labyrinthe der Republik. Und als Privatperson sammelt er anscheinend Plastiktüten.

Und das inzwischen seit über 20 Jahren. Angefangen hat das alles mit einer Tüte voller Tüten. Ein Konzept, das es wohl in jedem zweiten Haushalt gibt und dafür sorgen soll, dass die wiederverwendbaren Plastiktüten nicht zur Einwegtüte verkommen. Als SupaKnut eine solche Tüte voller Tüten im Rahmen der Auflösung der Wohnung seiner Eltern fand, löste das in ihm irgendetwas zwischen Wut, Bewunderung und Nostalgie aus. Denn statt die Tüte einfach in die gelbe Tonne zu verfrachten, füllte er sie weiter, weiter und weiter, bis aus einer Tüte viele Tüten voller Tüten wurden. Zwanzig Jahre später entpuppt sich seine kritische Sammelleidenschaft, wie er es nennt, als „Designatlas einer sterbenden Innenstadt“. Denn für SupaKnut sind die Tüten nicht bloß Mittel zum Zweck, sondern Indizien belebter Einkaufsstraßen. Ihre Existenzen erzählen vom Kommen und Gehen der einzigartigen Ladenlokale der Wuppertaler Innenstädte, wie auch von zeitgenössischen Trends und Designformeln. Zeitgleich verdeckt ihr minderer Wert oftmals die Arbeit und Ideen, die hinter ihrem Design und dessen Herstellung stecken. Auch wenn sie heute immer öfter aus kompostierbarem Plastik hergestellt sind, oder Zeichen wie den Blauen Engel tragen, so bleiben sie doch ein Hauch von Nichts, die für 10 Pfennig oder 20 Cent den*die Besitzer*in wechseln. Dass sie danach in einer Tüte voller Tüten landet, und diese Tüte vielleicht sogar SupaKnut Heimann gehört, ist ein Segen – denn allzu oft findet sie den direkten Weg in die gelbe Tonne. Was danach mit ihr passiert? Who cares? Aus den Augen, aus dem Sinn. Das macht die Plastiktüte zu einem Relikt einer sich wandelnden Wirtschaft und somit auch zu einem Zeichen für eine sich wandelnde Gesellschaft.

SupaKnut greift diesen Wandel also in einer dreifachen Kritik auf, die sich in 20 Jahre Plastiktütengeschichte an der Hebebühne hängend materialisieren. Neben der Kritik an einem bestehenden System, das den lokalen Einzelhandel mit einem Schwertschlag zum Tode verurteilt, und der Unsichtbarmachung von ganzen Arbeitsbranchen, die zur Herstellung der Tüten beitragen, ist da diese zutiefst verflachte Debatte über das Recycling. SupaKnut möchte nicht bloß Aufzeigen, dass hier etwas maßgeblich falsch läuft. Er möchte darüber hinaus einen Impuls setzen, sich mit der Thematik des Recyclings zu beschäftigen. Denn auch auf dem heutigen Stand der Technik wird ein Großteil des recycelbaren Plastiks gar nicht diesem Zwecke zugeführt, weil es schlichtweg teurer ist, als neues Plastik zu produzieren. Müll ist in Deutschland zu preiswert, Recycling zu teuer und Plastikneuware wiederum zu billig. Egal wie viele Blaue Engel oder Aufschriften mit „umweltneutral“ oder „biologisch abbaubar“ die Tüte bekleiden, wenn sie nicht nach bestem Wissen recycelt und wiederverwendet wird, bleibt sie eine unnütze, aber seiende Plastiktüte. Gerade im Hinblick auf den menschengemachten Klimawandel und den unendlich tiefen Abhang, auf den die Gesellschaft mit ihrer bisherigen Produktionsweise zusteuert, ist die „eingetütete“ Hebebühne schaurig schön. 

„Die Plastiktüte ist ein Massenprodukt, also muss sie auch in Massen ausgestellt werden!“

SupaKnut Heimann

Die Christo-Anekdote ist kaum verkennbar. Doch sie ist nicht bloß ein Vermerk, sondern künstlerisches Mittel. Plastiktüten sind Massenprodukte, die zu Tausenden produziert werden. SupaKnut wollte seine gesammelten Plastiktüten daher nicht in entfremdeten Rahmen vereinzeln und sie als bloßes Kunstobjekt glorifizieren. Durch die schiere Masse und die überwältigende Vielfalt wird „Plastiktüte“ erst zu der Ausstellung, die Kritik und Kunst, Nostalgie und Mahnung miteinander verbindet. Über 400 mannigfaltige Tragebehältnisse prangern deshalb Reihe in Reihe auf der Front der Hebebühne.

Inzwischen scheint das Phänomen der Tüte voller Tüten wohl ein Relikt des Gestrigen zu sein. Abgelöst durch den Beutel voller Beutel dümpeln die Plastiktüten aber dennoch in der Welt herum – SupaKnut Heimann würde sie wohl als materialisierte Geschichte verstehen. Denn sie sind eben nicht bloß Müll, sondern auch Dinge, die Geschichten erzählen. Unter den vielen Tüten mit typischem Wiedererkennungswert verstecken sich auch so einige Sonderexemplare. Etwa die Tüte, in der SupaKnuts Mutter ihre Beinprothese kaufte – Format x-tra lang. Neben ganz persönlichen Erinnerungen, wie z.B. einer Tüte der ehemaligen Supermarktkette „Groka“, mit der ein 6-jähriger SupaKnut zum einkaufen geschickt wurde, offenbart die Ausstellung aber auch solche, die ganze Generationen in Nostalgie schwelgen lassen. So zum Beispiel eine knallrote Tüte des Ladens „Karl vom Kothen“ in der zahlreiche Wuppertaler*innen ihre ersten Platten gekauft haben dürften. Letztendlich bleibt von dieser kurzweiligen Ausstellung doch nur ein Beutel voller Ironie. SupaKnut lässt diese dinghaft werden, indem er sie in mahnender Dialektik mit der Überschrift „Plastiktüte“ auf einen leuchtend orangenen Stoffbeutel drucken lässt. Die Zukunft der Plastiktüte liegt im Stoffbeutel – nehmt ihn gefälligst zum Einkaufen mit!

Plastiktüte | Foto von Wolf Sondermann

Um die Widersprüche mal auf den Punkt zu bringen, hier noch eine abschließende Kaufempfehlung: Es gibt noch Exemplare der Plastiktütenbeutel. Wenn ihr für 10€ einen kaufen wollt, oder mehr über die Hebebühne erfahren wollt, dann schaut mal auf der Homepage (Homepage der Hebebühne) vorbei und lasst ein Kommentar auf den Social Media Accounts (Instagram | Facebook) da.

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