Fahrradstraße (Neue) Friedrichstraße | Aktueller Stand und Aussichten

Wuppertal die Fahrradstadt. Das scheint für viele noch in weiter Ferne oder gar gänzlich unrealistisch zu klingen – doch es geht voran. Die Nordbahntrasse brachte die Fahrradenthusiast*innen Wuppertals zum Vorschein, doch vielerorts mangelt es noch an infrastrukturellen Verbindungen für den Fahrradverkehr. Umso erfreuter reagierten Fahrradfahrende, Fußgänger*innen und Teile der Bewohnerschaft des Quartiers auf die Ankündigung des Umbaus der (Neuen) Friedrichstraße zur Fahrradstraße im Jahr 2018. Seitdem sind die Baumaßnahmen erheblich fortgeschritten. Wir haben mal geschaut, wann wir mit dem Abschluss der Arbeiten rechnen können und mit einigen Ladenbesitzer*innen über ihre zukunftsgerichteten Erwartungen und Erfahrungen gesprochen.

Die zukünftige Fahrradstraße Friedrichstraße | Foto von Wolf Sondermann

Begonnen hatte damals alles mit der notwendigen Erneuerung von Kanälen unter der (Neuen) Friedrichstraße durch die WSW. Mehrere private Akteur*innen und Initiativen, darunter auch das Forum:Mirke, hatten sich in diesem Zuge für eine aktualisierte und zeitgemäße Umstrukturierung der Verkehrsführung stark gemacht und in diesem Sinne die Etablierung einer Fahrradstraße gefordert. Diese solle sowohl die Lebensqualität im Quartier steigern, aber auch eine alternative Verkehrsroute für Fahrradfahrer*innen und Fußgänger*innen neben der Gathe darstellen. Um die Ideen und Bedürfnisse der Anwohner*innen abzufragen fand noch vor der Konzeptionierung der Fahrradstraße ein Bürgerbeteiligungsworkshop statt [Link Artikel]. Seit diesem Workshop sind inzwischen rund drei Jahre vergangen, in denen die Umsetzung des Konzepts unverkennbar fortgeschritten ist. Nach mehreren Teilsperrungen der (Neuen) Friedrichstraße soll sie Mitte 2022 fertiggestellt werden.

Aber was bringt die Fertigstellung überhaupt mit sich? Fakt ist: Im Quartier wird es nach der Fertigstellung ruhiger und geräumiger. Die Einrichtung der Fahrradstraße wird es zukünftig nur noch Anlieger*innen und Lieferant*innen erlauben, legal die Straße mit dem Auto zu nutzen. Also mehr Platz für die Fußgänger*innen und Fahrradfahrer*innen. Letzte dürfen die (Neue) Friedrichstraße dann in beide Richtungen nutzen. Das war bereits in der Vergangenheit auf einigen Teilen der Strecke möglich, allerdings nicht flächendeckend. Ein weiterer essenzieller Punkt sind die wegfallenden Autoparkplätze. Ein ewiges quartiersspaltendes Streitthema, das für eine Verkehrswende jedoch als entscheidendes Mittel verhandelt wird. Der daraus entstehende Platz und wegfallende Lärm soll vor allem die Straßen entzerren und so mehr Lebensqualität mit sich bringen. Darüber hinaus verspricht der Blick auf die bereits bestehende Fahrradstraße im Luisenviertel eine enorme Attraktivitätssteigerung für den lokalen Einzelhandel. Und wie blicken die ansäßigen Ladenbesitzer*innen auf dem Umbau? Wir haben uns mit Hanna Hüttepohl (Ladenbetreiberin von PATINA), Tom Berger (Ladenbetreiber von LeMietzArt) und Tobias Maria Freitag (Ladenbetreiber von Supercargo) getroffen und ihre Erwartungen eingefangen.

Tobias Maria Freitag, auch Tosta genannt, ist Besitzer des ersten Lastenradladens „Supercargo„. In Rufweite zur zukünftigen Fahrradstraße leistet er damit seit 2019 seinen eigenen, ganz praktischen Beitrag zur Mobilitätswende. Er nutzt sein Know-How und seine Leidenschaft, um andere Menschen für die Idee des Lastenrads zu begeistern. Das klappt seit der Eröffnung ziemlich gut. Zahlreiche Wuppertaler*innen haben in den letzten zwei Jahren die Möglichkeit wahrgenommen und sich ein Lastenrad zugelegt – Tendenz steigend. Doch was verspricht sich Tosta von der zukünftigen Fahrradstraße? Tosta war damals an der Initiierung der Fahrradstraße durch die Arbeitsgruppe „Mobile:Mirke“ beteiligt. Grundsätzlich begrüßt er die Idee einer Fahrradstraße, gerade deswegen weil sie notwendig ist um Klimaziele einzuhalten und dem Fahrradverkehr noch einmal anheizen wird. Andererseits hält sich sein Enthusiasmus aber auch in Grenzen. Schließlich ist es nur eine von vielen Straßen und ob diese denn tatsächlich auch merklich vom Autoverkehr befreit wird, müsse die Praxis der Behörden und Autofahrer*innen zeigen. Darüber hinaus macht er darauf aufmerksam, dass das Kopfsteinpflaster rund um die Diakoniekirche/Kreuzkirche falsch verlegt worden sei. Statt das abgeschliffene Kopfsteinpflaster zu einem Radweg rund um die Kirche zu pflastern, wurde es lediglich in den Straßenmündungen verlegt. Was sich hier bei gedacht wurde? Wir wissen es nicht. Auf jeden Fall bleibt das Kopfsteinpflaster damit holprig.

Hanna Hüttepohl betreibt seit sechs Jahren das Ladenlokal „Patina„. Die studierte Kommunikationsdesignerin veräußert hier ausgewählte Vintage-Möbel im liebevollen Arrangement und beglückt damit wöchentlich Sammler*innen, Interessierte und Quartiersbewohner*innen. Hinter ihrem Slogan „Unikate für den Alltag“ versteckt sich eine Philosophie, die sich gegen Wegwerf-Mobiliar und IKEA-Einheitsbrei ausspricht und für ausgewähltes Interieur mit Charakter und Charme steht. Als Koryphäe des Quartiers ist ihre Ladentheke jedoch oftmals auch Ort des Austauschs, den zahlreiche Quartiersbewohner*innen nutzen, um Nachbarschaft aktiv zu leben. Auch Hanna ist zwiegespalten. Vor allem aber ist sie entnervt von den letzten Wochen: Unter der Woche Baustelle vor ihrem Ladenlokal, an den vergangenen 10 Wochenenden Festival Stimmung bis 22 Uhr und allumfassender Parkplatzmangel durch Baustellen hier und da. Das die Störfaktoren in den letzten Wochen zusammenfielen, ist natürlich nicht beabsichtigt. Trotz alledem hätte sich Hanna eine inklusive und zeitige Einbindung der Anwohnenden gewünscht – das Quartier ist schließlich vorerst Lebensraum. Der Eindruck der letzten Wochen und Monate trübt ihr Bild auf die zukünftige Fahrradstraße. Denn eigentlich freut sie sich auf die Fertigstellung und den darauf folgenden Alltag. Die Entzerrung der Straße könne nur dazu führen, dass Fahrradfahrer*innen und Fußgänger*innen sich die Straße wieder aneignen und zu ihrem Lebensraum machen. Die Parkplatzverknappung sollte allerdings nicht dazu führen, dass Anwohner*innen, die sich keinen bezahlten Stellplatz leisten können, in Zukunft gar keine Möglichkeit mehr finden würden ihr Auto abzustellen. Hanna plädiert deshalb für einumfängliches Anwohner*innenparken im Quartier.

Tom Berger betreibt den Laden „LeMietzArt“ auf dem unteren Teil der Friedrichstraße. Der leidenschaftliche Rapper, Künstler und Kindergärtner verwirklichte sich vor einem Jahr einen Traum und schaffte gemeinsam mit einem Freund in einem Ladenlokal Raum für Kunst, Kultur und Vintage Möbel. Im Hinterhof eröffnen sie Raum für eine Hall of Fame, im Rahmen derer sich Graffiti-Sprayer*innen legal an Wänden austoben können. In Zukunft soll das Ladenlokal zu einem künstlerischen überregionalen Hotspot heranwachsen. Tom freut sich grundsätzlich auf die baldige Fertigstellung der Fahrradstraße. Er hofft aufgrund der wegfallenden Parkplätze ein wenig mehr Platz vor seinem Laden zu schaffen. Der Bürgersteig könnte dann mit einer kleinen Sitzecke erweitert werden. Andererseits fragt er sich auch, wie er zukünftige Anlieferungen in seinem Ladenlokal managen soll – einfacher würde es durch die Fahrradstraße also nicht, aber definitiv schöner und ruhiger!

Auch wenn die zukünftige Fahrradstraße nicht alle Anwohner*innen zum jetzigen Zeitpunkt eines guten Gemütes stimmt, so ist sie doch ein wichtiger Schritt in die Zukunft. Eine Zukunft, in der unser Quartier wieder mehr Raum für Leben und weniger Raum der Abstellmöglichkeit darstellt. Dieses Leben äußert sich im Einklang mit unser aller Umwelt und vor allem in seiner Orientierung an geteilten Bedarfen nach Raum für Begegnung. Andererseits schafft die Fahrradstraße auch neue Gegebenheiten mit denen sich die Quartiersbewohner*innen erst arrangieren müssen. Wir blicken mit Freude in diese Zukunft und freuen uns auf die zweite Fahrradstraße Wuppertals. Auf das ihr zukünftig viele Weitere folgen werden!

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