Eine Stadt von Menschen gemacht | Solidarischer Aufbau Wuppertal

Wer in den letzten Monaten interessiert durch die Elberfelder Quartiere geschlendert ist, dem*der dürfte die Arbeit der Gruppe „Solidarischer Aufbau Wuppertal“ nicht entgangen sein. Bei den Wiesenwerken, vor dem AZ Gathe, in der Charlottenstraße und am LOCH stehen Schränke im öffentlichen Raum, die dazu einladen, Gegenstände hineinzulegen und andere herauszunehmen. Was auf den ersten Blick banal klingen mag, offenbart dabei weitaus tiefgreifendere Wirkungen als gedacht. Welche Konsequenzen erwachsen daraus, den öffentlichen Raum wahrhaftig als kollektiv selbstverwalteten Raum zu verstehen, der Solidarität und Handlung bedarf? Was passiert, wenn wir uns öffentlichen Raum „einfach“ aneignen, statt auf Bürokratie und Verwaltung zu vertrauen? All diese Fragen haben etwas mit dem Aktivismus der Gruppe „Solidarischer Aufbau Wuppertal“ zu tun, die für die sogenannten „Tauschwägen“ verantwortlich sind. In einem Interview haben wir mehr über Ihre Intentionen, ihre Schwierigkeiten und Visionen erfahren. 

Aber was genau kann man sich unter einem Tauschwagen vorstellen? Ein Tauschwagen ist ein wetterfester Schrank, der an einem rege genutzten Ort installiert wird und von den Passant*innen mit Gegenständen gefüllt wird, die sie selbst nicht mehr brauchen, allerdings zu schade sind, um sie wegzuschmeißen – Kleidung, kleinere Haushaltsgegenstände, Geschirr, Bücher. Grundsätzlich kann in einem Tauschwagen alles hinterlegt werden, was nicht gekühlt werden muss und in den Schrank passt. Zeitgleich können Passant*innen sich auch die Dinge mitnehmen, die sie selbst benötigen. Klingt trivial, ist aber folgenreich. Denn die Tauschwägen sind eben nicht nur kollektive Abstellkammern, sondern unkomplizierte und niedrigschwellige Orte der gesellschaftlichen Interaktion. Der Tausch von Gegenständen wird dabei nicht durch eine Machtdynamik vermittelt, in der etwa, wie herkömmlich, Geld gegen Gegenstände getauscht wird, oder Gegenstände auf paternalistische Weise verschenkt werden. Stattdessen findet dieser Tausch unvermittelt und hierarchiefrei statt. Die Tauschwägen helfen somit dabei, der sich reproduzierenden Wegwerfgesellschaft entgegenzutreten. Darüber hinaus erfüllen die Tauschwägen auch einen sozialen Zweck. Während Inflationsraten steigen, eine angemessen geheizte Wohnung für viele nicht mehr als reale Option existiert und Fahrkartenpreise für den öffentlichen Nahverkehr nicht erschwinglich sind, haben Menschen zumindest auf der Straße einen Ort, an dem sie notwendige Gegenstände finden können: „Wir denken, sowas ist notwendig, um 1. einen Gegenentwurf zur Wegwerfgesellschaft zu haben und 2. Leute im Viertel zusammenzubringen – Tauschwägen als Begegnungsstätte, gegen Vereinzelung und den ganzen Mist“, so das Kollektiv.

Die Tauschwägen sind Ergebnis der Arbeit des Kollektivs „Solidarischer Aufbau Wuppertal“. Eine Gruppe von verschiedenen autonomen Einzelpersonen, die sich zum Teil bereits aus anderen politischen Gruppen kennen. Sie alle kommen aus Wuppertal bzw. der näheren Umgebung und wissen um die alltäglichen Probleme der Nachbar*innenschaft und die Leben der Wuppertaler*innen. Doch nicht nur der gemeinsame Lebensort verbindet sie, sondern auch ein Gedanke, der Realität werden will: Die Idee einer solidarischen Gemeinschaft, die sich selbst verwaltet und Gegenseitigkeit und Unterstützung im alltäglichen Leben zentriert. Im Zuge ihres Aktivismus bevorzugen sie es lieber anonym zu bleiben, was wir gut verstehen – schließlich erfahren Angehörige linker Gruppen seit Jahren immer mehr Repression. Das Konzept der Gruppe ist nicht aus dem luftleeren Raum gegriffen. Der Name, die Idee, wie auch die Umsetzung ist von Genoss*innen der Osnabrücker Gruppe „Solidarischer Aufbau“ inspiriert und wird von diesen ausdrücklich unterstützt. Die ortsansässige Gruppe in Osnabrück hat dort nicht nur Tauschwägen installiert, sondern für beinahe ein Dutzend Obdachlose rollbare Schlafhütten gebaut. Doch die Genoss*innen aus Osnabrück sind in letzter Zeit immer akuter von Räumungen bedroht – ein wiederkehrendes Muster, wie sich zeigt.

Denn auch in Wuppertal sind die Tauschwägen bereits demontiert und beseitigt worden. Das Kollektiv vermutet, dass dies entweder der Stadtverwaltung zuzuschreiben ist, die sich darauf beruft, dass im öffentlichen Raum kein Platz für derartige Installationen ist, oder auf Menschen, die dem Projekt nicht zugeneigt sind. Einen Umgang mit dieser Tatsache hat die Gruppe bisher nicht finden können – vor allem weil bis dato noch kein Kontakt mit den Gruppenmitgliedern aufgenommen wurde, obwohl jeder Tauschwagen mit Kontaktdaten versehen ist. Umso glücklicher ist das Kollektiv, dass zwei der Wägen inzwischen am LOCH und an den Wiesenwerken auf Privatgelände stehen, und somit nicht geräumt werden können.

Obwohl es auf der Hand liegt, dass das Kollektiv mit seiner Arbeit vor allem eine Kritik materialisiert, betont die Gruppe vielmehr den Versuch eines alternativen Vorschlags. Indem sie die Tauschwägen einfach aufstellen, ohne den langwierigen bürokratischen Weg zu gehen oder offizielle Finanzierungen einzuholen, zeigen sie, dass andere gesellschaftliche Zustände – seien die Änderungen noch so marginal – im Hier und Jetzt realisierbar sind. Hinter der simplen Tatsache eines Tauschwagens steht dabei die Vision einer ganz anderen Gesellschaft, die mit der systematischen Gewalt, der neoliberalen Individualisierung und der scheinbar allgegenwärtigen sozialen Kälte abgeschlossen hat. In der urbanen Utopie des Kollektivs gestalten Menschen ihre Straßen und Viertel auf autonome und solidarische Weise. Bürokratische Odysseen wurden in dieser Zukunftsvision durch kreativen Freiraum ersetzt, der es Menschen ermöglicht, ihre Bedürfnisse auf die Straße zu tragen und in einem kollektiven Prozess Wege zu finden, diese zu befriedigen. Das Kollektiv ist der Auffassung, dass es zu einer solidarischeren Gesellschaft führt, „wenn Menschen Freiraum gelassen wird, solche kleinen solidarischen Projekte zu starten, zu merken, wie gut sie angenommen werden, und zu lernen, was besser gemacht werden kann“. Politiker*innen, die erst große Reden schwingen, braucht es in dieser Utopie nicht – denn die Politik wird zu einem Prozess, der von allen gemeinsam auf den Straßen gemacht wird. Oder wie das Kollektiv es betont: „Wir wünschen uns eine Gesellschaft, die selber macht und sich nicht länger auf die Oberen verlässt“. Eine Utopie, die für Konservative wohl „zu radikal“ klingen mag. Schlussendlich aber überträgt sie die Forderungen zivilgesellschaftlicher Stadtentwicklungsakteur*innen, nach Selbstbestimmung, Partizipation und Dezentrierung finanzieller Mehrwerte in einem konsequenten Prozess auf die Straße. Eine Stadt, die in einem kollektiven und solidarischen Prozess von den Menschen gemacht wird, die in ihr leben.

Falls du selbst Teil dieser Zukunft sein möchtest oder einfach nur auf dem Laufenden bleiben möchtest, kannst du die Arbeit des Kollektivs auf Instagram (Instagram) oder Telegram (Telegram) verfolgen. Auf dem Telegram-Kanal informiert die Gruppe auch über neue Projekte und lädt zum Mitmachen ein. Außerdem werden zukünftig auch wieder Menschen gesucht, die Patenschaften für die Tauschwägen übernehmen und sich darum kümmern, dass die Wägen von Müll befreit, aufgeräumt und repariert werden. Wer mehr über das Projekt der Genoss*innen aus Osnabrück erfahren möchte, kann sich hier informieren (Instagram | Telegram).

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