AZ GATHE BLEIBT | Warum das Autonome Zentrum Teil unseres Quartiers bleiben muss

Seit 20 Jahren ist das Autonome Zentrum (AZ) bereits fester Bestandteil der Gathe. Hier treffen wöchentlich Menschen aus dem ganzen Stadtgebiet zusammen, verbringen Abende miteinander, planen Veranstaltungen und realisieren sie. Doch am 6. März 2023 könnte eine Entscheidung gefällt werden, die das langfristig verunmöglicht. Denn dann stimmt der Wuppertaler Stadtrat über das Bauvorhaben der örtlichen DiTiB-Gemeinde auf der Gathe ab. Mit dieser Entscheidung ist unweigerlich auch die Zukunft des Autonomen Zentrums verbunden, das bei einer Bewilligung des Bauvorhabens weichen muss. Dieser Artikel soll aber nicht von einer Kritik an der DiTiB handeln – die gibt es bereits zur Genüge. Vielmehr soll er aufzeigen, wie tief die Geschichte des Autonomen Zentrums in der Stadtgeschichte verwurzelt ist und welche essenziellen Rollen das AZ erfüllt. Dafür haben wir uns mit Fuchs und Daniel am Tresen der Kneipe im ersten Obergeschoss getroffen und über die Eigenheiten des Hauses gesprochen.

Fuchs und Daniel im Autonomen Zentrum | Foto von Wolf Sondermann

Das Autonome Zentrum in Wuppertal hat eine lange Geschichte, die von Verdrängung und Kämpfen für Freiräume und durchzogen ist. Nach der Aufbruchsstimmung der 68er machten sich in der Jugend die Forderungen nach selbstverwalteten Räumen breit, die abseits herrschender Logiken funktionieren. 1973 kam die autonome Jugendzentrumsbewegung daher auch im kleinen Wuppertal an. Am 19. Mai 1973 gründete sich aus diesem Grund die Initiative für ein selbstverwaltetes Jugendzentrum (ISJ). Vier Monate später besetzte sie mit zahlreichen Jugendlichen eine Villa im Zooviertel. Auf die Besetzung folgte Räumung, folgte Besetzung, folgte Räumung. Erst in den 80er Jahren stellte die Stadtverwaltung dann endlich das erste Gebäude zur Verfügung und nach einigen Umzügen zog das AZ Anfang der 2000er in die Markomannenstr. 1. Seitdem gehen hier nicht nur viele Wuppertaler*innen aus zahlreichen Gründen ein und aus, sondern erhalten auch linke Träume, Ideen, Konzepte und Strukturen ein festes Dach über dem Kopf. Das AZ ist Teil der Wuppertaler Stadtgeschichte.

Das Autonome Zentrum an der Gathe hat auch meine Jugend geprägt. Hier habe ich zu meinem ersten Punk Konzert im Moshpit getanzt, das erste Mal Club Mate getrunken, Hansa Pils lieben- und die vegane Küche kennengelernt. Hier startete die erste Demonstration, für die ich auf die Straßen unserer Talstadt ging. Hier führte ich meine ersten politischen Gespräche, die von dem Traum einer gerechteren Welt für alle getränkt waren. Hier hörte ich das erste Mal von Waldbesetzungen im Hambacher Forst und den Kämpfen um autonome Regionen der Zapatista im Süden Mexikos. Diese Eindrücke trösteten mein jugendliches Herz und eröffneten mir den bleibenden Glauben daran, dass eine andere Zukunft abseits von Rechtsruck und Umweltzerstörung möglich sei. Im AZ erfuhr ich, dass ich damit nicht alleine bin. Die Leben einer Vielzahl von Wuppertaler*innen sind, zumindest in Abschnitten, mit den plakatierten und getaggten Wänden des Autonomen Zentrums verwoben. Die Gründe dafür sind ebenso vielfältig, wie die Menschen, die hier ein- und ausgehen.

Das AZ versteht sich als Ort, der von der Gemeinschaft der Menschen lebt, die sich in ihm organisieren. Jede*r von ihnen trägt seine*ihre eigenen Themen mit sich herum, erzählt anders von seinen Erfahrungen und stellt das AZ somit auch anders dar. Wie viele linke Orte, versucht auch das autonome Zentrum sich möglichst hierarchiefrei zu organisieren. Hier gibt es und soll es kein*e Chef*innen geben. Deshalb ist es den dort aktiven Menschen auch besonders wichtig, dass keine einzelnen Personen für das AZ sprechen. Alle wichtigen Entscheidungen werden im Rahmen von wöchentlichen Plena mit dem Konsensverfahren getroffen.

Inflationsdynamiken, horrende Energiepreise und steigende Lebensmittelpreise treffen uns alle. Doch besonders die Menschen, die ohnehin von Armut bedroht sind und mit wenig Geld auskommen müssen. In einer Welt, in der so viel über Geld geregelt wird, produziert sein Mangel Ausschlüsse und Unsichtbarkeit. Das Autonome Zentrum bricht mit dieser impliziten Zugangsvoraussetzung. Hier kosten die wenigsten Veranstaltungen Eintritt, die Getränkepreise sind extrem niedrig gehalten und es herrscht kein Konsumzwang, um allen einen Abend in Gesellschaft zu ermöglichen – unabhängig von der Größe ihres Geldbeutels. An jedem Mittwochabend findet zusätzlich die KüfA (Küche für Alle) statt – ein Konzept aus der Hausbesetzer*innenszene der 60er/70er Jahre. Im Rahmen dessen werden ehrenamtlich gerettete Lebensmittel verkocht und anschließend als vegane Speisen gegen Spende verteilt. Des Weiteren finden im AZ kostenlose Sportangebote statt und Bands finden hier umsonst einen schallgedämmten Ort zum Proben. Das Zusammenkommen im AZ gelingt außerdem über verschiedene Kulturveranstaltungen, die auf den Bühnen des Hauses ein Zuhause finden. Von elektronischen Tanzveranstaltungen, über Punk-Konzerte und queerfeministische Festivals, bis hin zu politischen Lesungen und Filmvorführungen. Viele dieser Veranstaltungen wären ohne diesen Ort überhaupt nicht realisierbar, weil sie in den allermeisten Fällen ökonomisch nicht tragbar wären. Aber hier können die Leute sich ausprobieren, Wagnisse eingehen und den monetären Mehrwert so gut es eben geht, an den Rand schieben. Zeitgleich versteht sich das AZ als safer space für marginalisierte Personen, an dem übergriffiges Verhalten ggü. Menschen tatsächlich auch Konsequenzen mit sich trägt. Und selbstverständlich bleibt das Autonome Zentrum daher auch ein politischer Raum, an dem neue Zukünfte erdacht werden können. Ein Ort des Aufbruchs, an dem Menschen abseits von gewaltvollen Strukturen ihre Köpfe zusammenstecken können, gemeinsam Ideen reifen lassen und alternative Praxen ausprobieren können. Dabei wäre es aber zu kurz gegriffen, diese Menschen lediglich als Träumer*innen abzutun. Viele der Aktivist*innen widmen sich in ihrem Wirken gesellschaftlichen Problematiken, denen realpolitische Akteur*innen und Diskurse oftmals zu wenig Beachtung schenken. Zum Beispiel der tödlichen Polizeigewalt, dessen letztes Opfer Georgios Zantiotis am 1. November 2021 in einer Wuppertaler Gewahrsamszelle der Polizei sterben musste. Aber auch in Bezug auf die immer wiederkehrenden Naziaufmärsche in und um Wuppertal und die sich zuspitzenden sozialen Verwerfungen, die gerade im Quartier viele Bewohner*innen besonders hart treffen. Diese Arbeit erfordert Mut, Willensstärke und Menschen, die sie gemeinsam bestreiten. Im AZ treffen Gleichgesinnte aufeinander und verbinden ihre Kämpfe gegen gesellschaftliche Missstände.

plakatiertes Treppenhaus | Foto von Wolf Sondermann

Obwohl die linke Szene in sich so divers ist, haben alle linken Orte etwas gemeinsam: Sobald Kommunalpolitiker*innen Eigentumsfragen oder Kapitalinteressen Vorfahrt gewähren, müssen linke Räume weichen – erinnern wir uns nur an die Räumung von Lützerath. Dieser Umstand scheint sich stets zu bewahrheiten. Doch das ändert nichts daran, dass es eine Schande für lokale Entscheidungsträger*innen ist, immer den Weg der Verdrängung zu wählen. Die in der Lokalpresse kürzlich wieder aufgekeimte Diskussion rund um das Bauvorhaben der vielseitig kritisierten DiTiB [Link] in Wuppertal und das Inkaufnehmen der Verdrängung des AZs begleitet die Aktivist*innen bereits seit über 13 Jahren. Damals lief der langfristige Mietvertrag aus und die Stadt bietet seit dem nur noch einjährige Verlängerungen an. Seitdem haben sie zahlreiche Aktionen unternommen, um ihr Zentrum langfristig zu retten – von Informationsveranstaltungen, Demonstrationen und Kundgebungen, über das Verfassen offener Briefe, bis hin zu individuellen Gesprächen mit Beteiligten. Selbst eine Koexistenz neben dem zukünftigen Gemeindezentrum war einst denkbar, doch dieser Kompromiss ist seitens der DiTiB nicht gewollt. Stattdessen wird das Autonome Zentrum gedanklich bereits dem Erdboden gleichgemacht und auf dessen Grundfesten mit künstlerischer Manier das eigene Vorhaben geplant – ein Palast auf Ruinen. Und das Mitten auf der Gathe, die von vielen Wuppertaler*innen und Vertreter*innen der Lokalpresse als „hartes Pflaster“, „Angstraum“ oder „kein Raum zum Wohlfühlen“ bezeichnet wird. Während städtische Investitionen in den Umbau des Döppersberg und der Innenstadt fließen, verkommt die Gathe im Diskurs zum Autobahnzubringer. Das Liebäugeln einiger Parteien mit dem Bauvorhaben der DiTiB interpretieren die Aktivist*innen des AZs deshalb auch als Versuch, die vernachlässigte Gathe ohne größere eigene Investitionen aufzuwerten. Das AZ versteht sich als fester Bestandteil der Gathe und zweifelt daran, ob die Investition von 30 Millionen Euro tatsächlich auch den Bewohner*innen der Gathe und angrenzenden Quartieren zugutekommt, die seit Jahrzehnten unter den krampfhaften Sparmaßnahmen der Stadt leiden.

Während die Bezirksvertretung Elberfeld bereits zweimal fast einstimmig (nur die SPD stimmte dafür) gegen das Bauvorhaben der DiTiB stimmte, wird nun am 06. März 2023 der Stadtrat darüber abstimmen. Nach bisherigen Gerüchten und Bekenntnissen einzelner Parteien ist dabei mit einem Votum für das Bauvorhaben und damit gegen den Verbleib des AZs zu rechnen. Anfangs versprach die Stadtspitze dem AZ noch, dass eine Räumung außer Frage stehe, solange keine alternativen Räumlichkeiten zur Verfügung stünden. Die Aktivist*innen warten jetzt bereits seit über 10 Jahren auf einen Vorschlag seitens der Stadt und sind auch weiterhin für Gespräche bereit – man muss es nur wollen.


Wie sehr kann man einen Ort nicht wollen, der doch so sehr Teil unserer Stadt und unseres Quartiers ist? Auch wenn viele Rechte, Konservative und Neoliberale dem Autonomen Zentrum bloß eine unruhestiftende Rolle zuschreiben möchten, geht dieser Akt an der Realität vorbei. Das AZ schafft einen Ort für all die emanzipatorischen Perspektiven, die in herkömmlichen Strukturen kein Gehör finden. Es bietet Raum für die Erprobung von Organisationsstrukturen, die ohne Hierarchien und Machtgefälle auskommen, Raum für durchgetanzte Nächte, interessante Filmvorführungen, Partien am Kicker, politische Gespräche bei günstigen Getränken, gemeinsame Kochaktionen, Planung von Kundgebungen gegen den nächsten Naziaufmarsch, Vernetzungstreffen, solidarische Haltungen und andere Praxen von Fürsorge. Und ja, das AZ ist auch Unruhe und erinnert uns immer wieder daran, dass unsere Art und Weise innerhalb eines rassistischen, sexistischen und kapitalistischen Systems zu leben, eine Vielzahl von Menschen und unsere Umwelt auf der Strecke lässt. Auf viele weitere Jahre Autonomes Zentrum an der Gathe!

Weitere Veranstaltungstipps:
01. März 2023 | 19 Uhr | Wie gefährlich ist die DITIB? Podiumsdiskussion zur Moschee-Erweiterung an der Gathe [LINK AZ WUPPERTAL]
06. März 2023 | 16 Uhr | Kundgebung zur Stadtratsentscheidung vor dem Rathaus Barmen [LINK AZ WUPPERTAL]
28. April – 01. Mai 2023 | 50. Jubiläum des Autonomen Zentrums in Wuppertal [LINK AZ WUPPERTAL]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.