Talticker | Kulturelle und politische Teilhabe ermöglichen
Wuppertal ist eine Stadt, die von ihrer Vielfalt und Dynamik lebt. Trotz dessen, bleibt die Begegnung zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen häufig auf der Strecke. Die Gründe dafür sind zahlreich und gehen zumeist aus politischen und materiellen Realitäten hervor, die sich in unserer Gesellschaft widerspiegeln. Aber auch Informationslücken und konstruierte soziale Hürden verhindern, dass Menschen gleichermaßen an der Gesellschaft teilhaben können. Um diesen Mechanismen insbesondere in linken Subkulturen entgegenzuwirken, hat eine Gruppe in Wuppertal das Projekt „Talticker“ ins Leben gerufen: Ein onlinebasierter Veranstaltungskalender, der diversen linken und solidarischen Veranstaltungen in Wuppertal Sichtbarkeit verschafft. Nachdem der Talticker am 06. Dezember 2024 in der Schmitz‘ Katze offiziell eingeweiht wurde, haben wir uns mit Lara und Carina getroffen, die Teil der Organisationsgruppe sind, um mehr über die Hintergründe des Projekts und die Vision der Gruppe zu erfahren. Da die Gruppe anonym bleiben möchte, hat Judy begleitende Fotografien erarbeitet.
Lara ist in Wuppertal aufgewachsen und bereits seit geraumer Zeit in linken Kontexten involviert. Carina ist vor einem Jahr im Rahmen des Studiums nach Wuppertal gezogen und war vorher bereits in Marburg in der linken Szene aktiv. Die beiden sind Teile einer fünfköpfigen Organisationsgruppe, die sich aus Menschen zusammensetzt, die sich in differenten Lebenssituationen befinden und diversen Hintergründen entspringen.
Veranstaltungen in linken Subkulturen sind vergängliche Räume, in denen politisches Bewusstsein, geteilte Werte und Kultur miteinander verschwimmen. Wie hinlänglich bekannt, bedeutet das selten, dass alle Besucher*innen sich in Bezug auf politische Fragen tatsächlich einig sind. Doch Kultur dient in diesem Sinne zum einen als bindendes Glied und zugleich als ein Mittel, um Machtverhältnisse zu hinterfragen, kollektive Identitäten zu stärken und neue Perspektiven auf gesellschaftliche Probleme zu eröffnen. Damit Kultur ihr volles Potential entfalten kann, bedarf sie daher der Aushandlung. In Wuppertal haben in den letzten Jahren vor allem in der Elberfelder Nordstadt linke Gruppen Projekte veräumlicht, die somit auch zur linken Subkultur der Talstadt beitragen. Doch obwohl dieser Zuwachs zu begrüßen ist, geht damit auch ein Problem einher: Der Überblick über das Spektrum der Veranstaltungen geht verloren. Wer heute an welchen Veranstaltungen teilnehmen kann, wird implizit durch Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen und Orten ermöglicht, während die Gruppen auf sich verwiesen bleiben. Besonders für neuzugezogene, weniger-vernetzte oder marginalisierte Wuppertaler*innen offenbart sich darin ein grundlegendes Dilemma gesellschaftlicher Teilhabe: Wer nicht die „richtigen“ Menschen kennt oder über genügend Selbstvertrauen verfügt, bleibt von Möglichkeiten ausgeschlossen, die Stadt und ihre Szene in ihrer Gänze zu erleben und mitzugestalten. Das Projekt „Talticker“ widmet sich diesem Dilemma auf praktische Art und Weise anhand der linken Subkultur Wuppertals.
Der „Talticker“ (Kofferwort auf „Wuppertal“ und „Liveticker„) ist ein selbstorganisierter onlinebasierter Veranstaltungskalender, dessen Ziel darin besteht, Events linker Subkultur und Veranstaltungen, die mit grundlegenden Werten übereinstimmen, sichtbar zu machen. Von Demonstrationen, Vorträgen, Workshops und Lesungen bis hin zu Konzerten, Partys, Cafés und Kneipen – die Plattform bietet Raum für eine breite Palette an Angeboten. Das Besondere dabei ist, dass sowohl Einzelpersonen als auch Gruppen ihre Veranstaltungen eigenständig eintragen können. Die Veranstaltungen der laufenden Woche werden jeweils montags über einen Telegram-Kanal verbreitet, wodurch eine niederschwellige und barrierefreie Zugänglichkeit gewährleistet wird. Im Gegensatz zu etablierten Veranstaltungskalendern, die oftmals privatwirtschaftlichen Mechanismen unterliegen und Veranstalter*innen oder Kund*innen Kosten verursachen, verfolgt der Talticker keinerlei Profitziele und ist werbefrei und kostenlos. Die Idee hinter dem Projekt entstand laut Lara und Carina aus individuellen Erfahrungen der einzelnen Akteur*innen, die ein progressives linkes Weltbild teilen. Inspiriert von Initiativen wie die „Linke Landschaft Bielefeld“ tauschten sich einige von ihnen im gemeinsamen Freund*innenkreis aus und fassten den Entschluss, einen derartigen Veranstaltungskalender auch in Wuppertal ins Leben zu rufen. Im Prozess der Realisierung wuchs die Gruppe auf fünf Personen an und beschäftigte sich mit der Klärung infrastruktureller, technischer und rechtlicher Fragen, der technischen Umsetzung und der Erarbeitung eines Selbstverständnisses, bevor das Projekt im November 2024 Realität wurde.
Das Selbstverständnis ist bis zum heutigen Zeitpunkt Gegenstand einer andauernden Aushandlung. Es soll aber langfristig auf der Homepage einsehbar sein und als kritischer Referenzpunkt dienen, der es Veranstalter*innen ermöglicht, selbst zu überprüfen, ob ihre Veranstaltungen in das Repertoire des Taltickers passen. Denn, wie auf der Homepage angekündigt, behält sich die Organisationsgruppe das Recht vor, Veranstaltungen nicht zu veröffentlichen, wenn diese nicht dem Selbstverständnis der Gruppe entsprechen. Wie Carina und Lara deutlich machen, geht es dabei nicht darum, den Talticker ideologisch aufzuladen und nur ein stringentes Spektrum von Veranstaltungen an einschlägigen linken Orten zu bewerben. Stattdessen soll das Selbstverständnis und der Redaktionsmodus dazu beitragen, dass nur möglichst diskriminierungskritische und -arme Veranstaltungen veröffentlicht werden, im Rahmen derer auch marginalisierte Personen sicherer sein können. Dass dieses Prozedere aufgeht, zeigen bereits die vielfältigen Veranstaltungen, die im Rahmen der ersten zwei Monate eingetragen wurden: Hier treffen Veranstaltungen in linken Räumen, wie dem Autonomen Zentrum und der Schmitz‘ Katze auf Ringvorlesungen an der BUW, Kundgebungen gegen patriarchale Gewalt am Hauptbahnhof und Flohmärkten im K49. Deutlich wird angesichts dieses Spektrums auch, dass der Talticker nicht das Ziel verfolgt, „die“ linke Szene abzubilden, sondern vielmehr Sichtbarkeit für die Diversität der Räume und ihrer Formate zu schaffen.
Das Vorhaben des „Taltickers“ reicht damit weit über die scheinbar einfache Idee hinaus, Veranstaltungen der linken Subkultur an einem digitalen Ort zu versammeln, und ist von der Einsicht der Notwendigkeit der Veränderung angetrieben. Kern dieses Vorhabens ist die Ermöglichung gelingender Vernetzungen zwischen politischen und kulturellen Orten, Akteur*innen und Gruppen. Auf dem Weg dahin trägt der Talticker dazu bei, bestehende Barrieren zu reduzieren und Menschen damit zu befähigen, selbstbestimmt an Veranstaltungen teilzunehmen und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Zugleich trägt das Projekt dazu bei, linke Räume, die existieren und solchen, die in Zukunft existieren werden, mithilfe von Sichtbarkeit zu unterstützen, da gerade jene Räume im anhaltenden politischen Klima oftmals Gegenstand von delegitimierenden Diskursen sind und wie z.B. das Autonome Zentrum ganz akut von Verdrängung bedroht sind.
Damit Werkzeuge wie der Talticker ihr volles Potential entfalten können, bedürfen sie der Anwendung durch unsere Hände: Also tragt eure Veranstaltungen ein, nehmt an Events teil und gebt Feedback an die Organisator*innen. Wer das Projekt finanziell oder durch weitere Unterstützung fördern möchte, kann dies über Spenden für die Domainkosten oder durch das Verteilen von Plakaten und das Kaufen von Beuteln mit dem Talticker-Logo tun (in der Schmitz‘ Katze und dem AZ). Weitere Informationen dazu findet ihr entweder hier [Homepage], hier [Instagram] oder hier [Telegram].
Foto von Judith Kolodziej (@siebterfebruar)
Wort von Max-Mosche Kohlstadt (@dermosche)