Wiesenwerke | ehemalige Gold-Zack-Fabrik wird zum gemeinwohlorientierten Stadtentwicklungsprojekt
Wuppertal ist historisch betrachtet vor allem für seine blühende Textilindustrie bekannt. Auch wenn diese Phase der Stadtgeschichte oftmals romantisiert wird, sind dessen Spuren heute höchstens noch im Brillerviertel und den heruntergekommenen Industriekomplexen an der Wupper zu erkennen. Zurück blieb eine Stadt, die den Strukturwandel verpasste und in Schulden versank. Doch seit Jahren nehmen die Wuppertaler*innen ihre Stadt selbst in die Hand und realisieren Orte, die sich ihren Bedürfnissen widmen. Das Mirker Quartier ist dabei besonders zentral, weil viele Akteur*innen sich hier versammeln und gemeinsam wichtige Prozesse anstoßen und umsetzen. Seit dem 01. Juli 2022 ist nun ein*e weitere*r Akteur*in Teil dieser Prozesse: die „Wiesenwerke“ in der ehemaligen Gold-Zack-Fabrik (Wiesenstraße 118/120). Wir haben uns mit Silvia Harth, Leonie Altendorf und Helin Keles von der „Montag Stiftung Urbane Räume“ getroffen, um mehr über ihr Vorhaben und die Visionen dahinter zu erfahren.
Silvia Harth arbeitet bereits seit 1 1/2 Jahren als Projektentwicklerin bei der „Montag Stiftung Urbane Räume“ und ist Geschäftsführerin der „Urbane Nachbarschaft Mirke gGmbH“. Leonie Altendorf ist Anwohnerin und Akteurin im Mirker Quartier. Sie ist Teil des Organisationsteams des Forum:Mirke und seit November 2022 Gemeinwohlmanagerin der Wiesenwerke. Helin Keles arbeitet seit Januar 2023 als Office-Managerin vor Ort und ist außerdem für die Immobilienverwaltung zuständig.
Die ehemalige Gold-Zack-Fabrik ist seit langer Zeit das Zuhause von diversen Projekten, die gemeinsam unter einem Dach koexistieren. Darunter z. B. das Bandwebermuseum, das TalTonTheater, das Fanprojekt Wuppertal, die Boulderhalle, das Café des Bahnhof Blo und Handwerksbetriebe. Doch als die Stadt 2019 bekannt gab, dass sie das Gold-Zack-Gebäude nicht mehr halten könne, begann die Zukunft zahlreicher Mieter*innen zu bröckeln. Zu oft hat der Verkauf von städtischen Gebäuden an die höchstbietende Person eine massive Steigerung der Mietpreise mit sich gezogen und somit das Ende bestehender Mietverhältnisse bedeutet. Das Forum:Mirke solidarisierte sich damals mit den Bestandsmieter*innen und gemeinsam forderten sie einen kontrollierten Verkaufsprozess. Das ehemalige Fabrikgebäude sollte auch zukünftig ein Raum bleiben, an dem vielfältige Akteur*innen gemeinsam unter einem Dach leben und gemeinsam einen Teil zur Entwicklung des Quartiers beitragen können – aber dafür brauchte es Kapital. Auf der Suche nach einer Lösung trafen die Beteiligten auf die „Montag Stiftung Urbane Räume“ , die bereits im Osten der Stadt den „BOB Campus“ [quartier-mirke.de] realisierte und ein ähnliches Anliegen wie die Mieter*innen verfolgte. Im Rahmen des 9. Stadtentwicklungssalons [quartier-mirke.de] lud das Forum:Mirke im November 2021 mit den Mieter*innen und der Stiftung ein, um gemeinsam mit Interessierten und anderen Akteur*innen über die Zukunft des Gebäudes zu sprechen. Nach wirtschaftlicher und baulicher Planung und Verhandlungen mit der Stadt Wuppertal und den Mieter*innen wurde am 14. Juli 2022 dann schlussendlich der symbolische Schlüssel durch den Oberbürgermeister übergeben. Neben der KoFabrik in Bochum, der Nachbarschaft Samtweberei in Krefeld, dem Bürgerpark FreiFeld in Halle an der Saale, dem HonsWerk in Remscheid und dem BOB Campus in Wuppertal Oberbarmen wird seitdem ein weiteres Projekt unter den gleichen Leitzielen von der Stiftung entwickelt: die Wiesenwerke im Mirker Quartier.
Das ehemalige Fabrikgebäude samt Waschbetonanbau ist damit vorerst vor willkürlichen Investor*innen gerettet. In den kommenden Jahren sollen in dem ehemaligen Industriekomplex gemeinwohlorientierte Möglichkeitsräume eröffnet werden, die den Quartiersbewohner*innen die Chance bieten, sich selbst zu verwirklichen und an gesellschaftlichen Prozessen teilzuhaben – quasi eine Fabrik für Gemeinwohl. Die Bestandsmieter*innen können somit auch weiterhin Teil des Hauses bleiben und gemeinsam an der Entwicklung von gemeinwohlorientierten Angeboten in ihren Räumlichkeiten mitwirken. Zum jetzigen Zeitpunkt sind ca. 50 % der Flächen an die bestehenden Mieter*innen vergeben – einige von ihnen planen sich räumlich auszuweiten. Die restlichen Mietflächen sollen zu erschwinglichen Quadratmeterpreisen vermietet werden. Welche konkreten Angebote aus den Wiesenwerken und den hausinternen Kooperationen in Zukunft hervorgehen ist bis jetzt noch nicht konkret abzusehen. Warum? Weil die Wiesenwerke ein Projekt sind, dass in einem kooperativen Prozess mit Mieter*innen, Nachbar*innen, lokalen Akteur*innen, Wissenschaft, Politik und Stadtverwaltung entwickelt werden soll. Dafür braucht es Möglichkeitsräume und Leerstellen, die in einem kollektiven Prozess gefüllt werden können. In Zukunft sollen die Wiesenwerke so zu einem gemeinsamen Ort der Arbeit, der Kultur, der Bewegung und des nachbarschaftlichen Zusammenlebens heranwachsen. Als Gemeinwohlmanagerin hofft Leonie darauf, durch verschiedene Kooperationen mit den Mieter*innen, lokalen Akteur*innen und Anwohner*innen quartiersübergreifende Fäden spinnen zu können, die ein großes Netz an Angeboten für die Bewohner*innen des Quartiers und ihre diversen Anliegen eröffnen.
Wie auch die anderen Projekte der „Montag Stiftung Urbane Räume“ werden die Wiesenwerke mithilfe des „Initialkapital-Prinzips“ [montag-stiftungen.de] realisiert. Zentral dafür ist das sogenannte Erbbaurecht, wodurch die Stiftung das Gebäude kauft und die umliegende Fläche für 66 Jahre, zzgl. einer optionalen Verlängerung um 33 Jahre, von der Stadt zur Verfügung gestellt bekommt. Darüber hinaus hat die „Urbane Nachbarschaft Mirke gGmbH“ das Vorrecht auf eine Erneuerung des Erbbaurechts. Das ist vorerst aber Zukunftsmusik. 30 % des Kaufpreises der Gold-Zack-Fabrik wurden über das Stiftungskapital und ein Großteil des Fremdkapitals mit marktüblichen Konditionen finanziert. Momentan erfolgt die Umsetzung des Konzepts durch eine neu gegründete Projektgesellschaft, die mit 1,7 Millionen Euro von der Stiftung unterstützt wird – im Fall der Wiesenwerke die „Urbane Nachbarschaft Mirke gGmbH“. Das kleine „g“ am Anfang der gGmbH steht dafür, dass die Urbane Nachbarschaft nur gemeinwohlorientierte Handlungen im Rahmen des Projekts tätigen darf und markiert somit einen essenziellen Bestandteil des Konzepts. Die gemeinsame Entwicklung der Immobilie soll den Bewohner*innen des Quartiers durch neue Räume auch neue Chancen eröffnen und durch die Quartiersrendite etwas an das Quartier zurückgeben.
Auf lange Sicht soll das Projekt allerdings nicht alleine in der Hand der „Montag Stiftung Urbane Räume“ verbleiben. Bewohner*innen und Akteur*innen aus dem Quartier sind dazu eingeladen, sich einzubringen und gemeinsam zukünftige Projekte im Quartier zu entwickeln. Somit könnten sie die gemeinwohlorientierte Stadtteilarbeit langfristig selbstständig weiterführen und dabei durch die Einnahmen aus der Grundstücksbewirtschaftung unterstützt werden – die sogenannte Quartiersrendite. Überschüsse fließen in den Stadtteil zurück und bilden für Akteur*innen vor Ort die Basis für ihr gemeinwohlorientiertes Engagement. So soll langfristig nicht nur eine Community rund um die Wiesenwerke entstehen, sondern auch selbstverwaltete Freiräume für Nachbar*innenschaft und Gemeinwohl geschaffen werden.
Bevor die Wiesenwerke so weit sind, wird noch einiges an Arbeit auf Silvia, Leonie und Helin zukommen. Gerade wollen sie das Quartier besser kennenlernen und Teil dessen werden – schließlich sollen die Wiesenwerke kein Elfenbeinturm werden, sondern für die Quartiersbewohner*innen und ihre Belange offen stehen. Die Wiesenwerke verstehen sich dabei als Ergänzung, die sich in bestehende Strukturen integrieren und Lücken auffüllen will. Leonie profitiert in ihrer Arbeit als Gemeinwohlmanagerin laut eigener Aussage sehr von dem bestehenden Erfahrungsschatz im Quartier. Sie legt aber auch Wert darauf, dass es nicht beim einseitigen Wissensabruf bleibt, sondern ein wechselseitiger Prozesse des Austauschs mit den anderen Akteur*innen und Nachbar*innen entsteht. Dabei ist der andauernde Trialog zwischen dem TransZent und Wuppertal Institut, der Stadtverwaltung und Stadtentwicklungsakteur*innen an der Nordbahntrasse in Form von der Alten Feuerwache, Utopiastadt, Wiesenwerke und dem Living Lab als Akteur*innen ein wichtiger Baustein.
Die Sanierung des Gebäudes soll so schnell wie möglich starten. Zurzeit wird der Bauantrag finalisiert, aber einige nicht genehmigungspflichtige Maßnahmen im Ausbau des zukünftigen Projektbüros sind bereits gestartet. Die angedachten baulichen Maßnahmen an den Außenanlagen sollen hingegen durch Mittel der Städtebauförderung finanziert und in den kommenden Jahren realisiert werden. Die Pläne dafür befinden sich noch in der Entwicklung, umfassen aber in jedem Fall eine Wegverbindung zwischen Nordbahntrasse und Wiesenstraße und einen Hanggarten. Leonie verrät uns bereits einen ersten Termin, an dem das Quartier eingeladen ist, mit zu planen. Am Freitag, den 12. Mai 2023 wird der erste Teil des Workshops zur Entwicklung der Außenanlagen stattfinden: Interessierte und Quartiersbewohner*innen sind eingeladen, gemeinsam erste Ideen für eine zukünftige Nutzung der Außenflächen zu entwickeln, Wünsche und Vorstellungen zu äußern und das Projekt kennenzulernen.
Dank der „Montag Stiftung Urbane Räume“ und dem Engagement der Bestandsmieter*innen konnte die ehemalige Gold-Zack-Fabrik vor einem willkürlichen Verkauf gerettet werden. Aber die Übernahme des Gebäudes ist weit mehr als ein Akt der Rettung – es ist ein Startschuss für das Knüpfen neuer Fäden, das Erdenken neuer Ideen und die Realisierung neuer Projekte. Vielleicht trifft sich die Nachbar*innenschaft dann schon bald auf den neuen Außenflächen der Wiesenwerke, um ins Gespräch zu kommen, die Sonne zu genießen und das gemeinwohlorientierte Projekte von Morgen zu erarbeiten. Bis dahin ist es allerdings noch ein langer Weg, auf dem viele Fragen beantwortet und Entscheidungen getroffen werden müssen. Aber wir alle wissen: Gut Ding will Weile haben. Wir freuen uns auf das Ergebnis! Wenn ihr mehr über das Projekt erfahren wollt, findet ihr hier [wiesenwerke.de] mehr Informationen und hier [instagram.com] den Instagram-Kanal des Projekts. Des Weiteren solltet ihr euch unbedingt den Workshop am 12. Mai im Kalender ankreuzen, um die Wiesenwerke persönlich kennenzulernen und mitzugestalten.
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