TalTonTheater | Ein Schmuckstück der Wuppertaler Kulturszene

Das TalTonTheater (TTT) ist Kult. Daran kann weder im Quartier noch im Tal etwas rütteln. Seit über 16 Jahren bereichert es die freie Szene Wuppertals und seit knapp 10 Jahren ist es nun schon Bestandteil des Quartiers. Doch aus unerklärlichen Gründen haben wir dem TTT und den zahlreichen ehrenamtlichen Schauspieler*innen bisher noch keinen Besuch abgestattet. Jetzt aber ist es an der Zeit: Wolf und Mosche im TalTonTheater. Wir haben uns mit Jens Kalkhorst an einem Frühlingsabend verabredet, um mehr zu erfahren – mehr über die Geschichte des TTT, die Leidenschaft, die darin steckt und die Lust auf Schauspiel und Bühne. Also: Vorhang auf!

Jens Kalkhorst in seinem natürlichen Habitat | Foto von Wolf Sondermann

Jens Kalkhorst ist eines von vier Gründungsmitgliedern des TalTonTheaters. Der studierte Musikwissenschaftler steht bereits seit über 20 Jahren auf den diversen Bühnen des Tals und dennoch bleibt seine Liebe zum Publikum und dem Schauspiel unverblasst. Was einst als ambitioniertes Statistendasein auf den Wuppertaler Bühnen begann ist inzwischen Beruf geworden, denn Jens ist Teil des zweiköpfigen Teams, dass das Theater hauptberuflich leiten. Als künstlerische Leitung verwirklicht er Inszenierungen im TalTonTheater und lässt niedergeschriebene Zeilen zu Schauspiel werden.

Dass wir bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nie im TalTonTheater vorbeigeschaut haben, ist Wolf und mir ehrlich gesagt ein wenig peinlich. Als ich aber kurz vor Weihnachten eine Vorstellung mit einem Freund besuchte, wurde klar, dass ein Besuch unausweichlich ist. Das TalTonTheater ist inzwischen seit 10 Jahren im Quartier Zuhause und schlichtweg Kult. Wer Schauspiel und die Wuppertaler freie Szene in einem Satz erwähnen möchte, der kommt an dem kleinen Theater in der ehemaligen Gold-Zack-Fabrik einfach nicht vorbei. Aber was genau ist dieses TalTonTheater überhaupt? Das TTT ging aus einer 2004 gegründeten Theaterformation hervor. Damals wollte Jens das Stück „Hoffmann“ inszenieren, das er auf Basis der Oper „Hoffmanns Erzählungen“ selbst geschrieben hatte und scharte seine bekannten Schauspieler*innen aus der freien Szene Wuppertals um sich. Der Erfolg der ersten Inszenierung und die funktionierende zwischenmenschliche Konstellation führte dazu, dass alle Beteiligten sich eine weitere Zusammenarbeit vorstellen konnten. Und so wurde aus einer einzigen Inszenierung eine Vielzahl – kein Ende in Sicht. Selbst die Schließung des Rex-Theaters 2009, in dem das Kollektiv bis dato probte und aufführe, sollte nicht das Ende des TTT bedeuten. Stattdessen suchte die Gruppe sich ein neues Zuhause und wurde nach zwei Jahren in der ehemaligen Gold-Zack-Fabrik fündig. So wurde aus einer ehemaligen Schreinerei in zeitintensiver Handarbeit das heutige TalTonTheater und dessen unverwechselbarer Charme. 10 Jahre später sitzen wir nun hier auf den vergoldeten Couches und sprechen über das Projekt und seine Eigenheiten.

„Zu einem guten Künstler gehört der Selbstzweifel und das Selbstlob. Beides muss da sein!“

Jens Kalkhorst, künstlerische Leitung des TTT
Ein Blick ins Publikum | Foto von Wolf Sondermann

Aus der Verstetigung einer einzigen Vorstellung ging letztendlich das TalTonTheater hervor. Zwei von drei der namensgebenden Worte sind ersichtlich. Aber was hat es mit dem Ton auf sich? Jens ist nicht nur leidenschaftlicher Schauspieler und künstlerischer Leiter, sondern er studierte außerdem Musikwissenschaften. Seine Leidenschaft für die Musik floss maßgeblich in die Konzeption des TTT ein. Demnach soll insbesondere dem Ton oder der Musik in den Inszenierungen eine besondere Rolle zu Teil werden. In den Anfängen wurde diese Maxime noch sehr manisch umgesetzt, inzwischen üben sich alle Beteiligten aber in einem lockeren Umgang mit musikalischen Elementen. Doch dies ist nicht das alleinige Merkmal des TTT. Die freie Szene der Wuppertaler Schauspiellandschaft ist maßgeblich durch ihre Gegenteile charakterisiert. Auf der einen Seite sind dort Institutionen, die mit Humor und Witz eher „leichtere Kost“ auf die Bühne bringen. Auf der anderen Seite gibt es die Konstellationen, die Dramatik und überdrüssige Leidenschaft als den Inbegriff des Theaters verstehen. Das TTT möchte einen Drahtseilakt begehen und sich nicht auf eine der beiden „Richtungen“ festlegen – das scheint aufzugehen. Wie Jens berichtet, hat sich durch diese Kombination aus leichter und schwerer Kost eine Gruppe von Stammgäst*innen gebildet, die genau diese Variation mögen und sich darauf einlassen. Jens versteht diese Vielseitigkeit des TTT auch als Mittel des Kampfes gegen die Schwellenangst vor dem Theater. Denn, das darf nicht unerwähnt bleiben, Theater ist auch heute noch mit einem gewissen Stempel versehen, der diese Form der Kulturdarbietung als intellektuelles i-Tüpfelchen erscheinen lässt. Die Variation der dargebotenen Inszenierungen soll den Zuschauer*innen dazu verhelfen, sich auf die Stücke und ihre Eigenarten einzulassen und zeitgleich eine wirtschaftliche Gratwanderung zu ermöglichen. Sei es das dreistündige Ehedrama, altertümliche Sprache alla Shakespeare oder die humoristische Weihnachtskomödie. Das führt letztendlich aber auch dazu, dass die persönlich präferierten Inszenierungen nicht mit den tatsächlich umsetzbaren übereintreffen – in den allermeisten Fällen auf Grund von wirtschaftlicher Machbarkeit. Doch diesen Tod stirbt Jens gerne für den Erhalt des TTT. Und zu guter Letzt sind da noch die Menschen, die auf der Bühne stehen. Im Rahmen des TTT arbeiten in den meisten Fällen keine ausgebildeten oder studierten Schauspieler*innen – dafür ist schlicht kein Geld dar. Stattdessen versteht sich das Team rund um das TTT als diverses Ehrenamts-Ensemble, das im semi-professionellen Bereich arbeitet und den Raum des Möglichen ausschöpft.

Der Eingangsbereich des TTT | Foto von Wolf Sondermann

„Die Pandemie hat uns auf der Überholspur aus der Bahn geworfen.“

Jens Kalkhorst, künstlerische Leitung des TTT

Apropos: „Raum des Möglichen“. Die anhaltende Pandemie hat die Möglichkeiten des Theaters enorm eingeschränkt. Das Veranstaltungsverbot und die anschließenden Regelungen machten es quasi unmöglich weiter zusammenzukommen und Vorstellungen zu üben, geschweige denn sie darzubieten. In den letzten Monaten bot das TTT aber immer wieder Workshops für die ehrenamtlichen Schauspieler*innen an. Denn die Unmöglichkeit des Auftritts führt letztendlich auch dazu, dass die Schauspielerei wie eine nicht gesprochene Fremdsprache einrostet. Die Workshops ermöglichen es den Schauspieler*innen hingegen, die „Grammatik“ des Schauspiels bewusst zu halten. Mit der Unmöglichkeit der Auftritte ging aber auch eine enorme Spendenbereitschaft im Rahmen der ersten Welle einher. Letztendlich ebbte aber auch das hochgehaltene Narrativ der gesellschaftlichen Solidarität wohl oder übel ab. Die Überbrückungshilfen retteten den weiteren Erhalt des Theaters, wurden allerdings zeitgleich mit enormen Hürden versehen. Jens und die Anderen versuchten sich anfangs an diversen medialen Möglichkeiten der Aufführungen, doch Schauspiel lebt vom Live-Moment und den Gefühlen, die in der Luft herumschwirren. Beides ist nicht bzw. nur sehr schwer über einen Bildschirm zu übertragen und spätestens ab dem Moment, an dem Jens sich selbst über sein gestreamtes Ich langweilte, wusste er: das wird nichts. Ohne die Möglichkeit der Stundung der Miete würde es das TTT heute allerdings nicht mehr geben. Geschlossene Türen verunmöglichen das Öffnen des Vorhangs und das resultiert letztendlich in leeren Kassen. Leere Kassen die schwer wiegen und das Ende des TTT hätten bedeuten können. Doch der Optimismus überwiegt. Jens und die anderen machten weiter, weil sie ihre Leidenschaft für das Schauspiel und das TTT als Institution nicht aufgeben möchten. Inzwischen ist jede Darstellung ein Schritt in Richtung „weitermachen“ – zumindest, solange das Publikum das mitmacht und die Darbietungen auch besucht. Wenn die Besucher*innen auf Grund von Auflagen oder Ängsten nicht kommen, dann werden weiterhin auch die Kassen leer bleiben.

Im Interview | Foto von Wolf Sondermann

Das TTT zeigt einmal mehr, worauf der anschwellende Erfolg und die Charakterstärke des Quartiers basieren – nämlich auf den vielfältigen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen, die das Quartier als ihren Lebensraum verstehen und diesen lebenswerter gestalten wollen. Sei es durch verbesserte und nachhaltige Verkehrsinfrastruktur, soziale Projekte oder die Diversität der Kulturlandschaft. Wir sind froh, dass es eine solche Institution wie das TalTonTheater nun inzwischen seit 10 Jahren im Quartier gibt und hoffen, dass es noch weitere Jahrzehnte die Bühnen Wuppertals schmücken wird. Darüber werden die eventuell wechselnden Eigentümer*innen der ehemaligen Gold-Zack-Fabrik ebenso entscheiden, wie der weitere Verlauf der anhaltenden Pandemie. Falls du mehr über das TTT oder aktuelle Aufführungen erfahren möchtest, findest du hier den Link zur Homepage des Theaters.

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