Der Erhalt des Freibad Mirke | im Interview mit Csilla Letay und Heiner Mokroß

Pommes mit Mayo, Chlorgeruch, Kindergeschrei, Wasserplatschen. Heiße Sommertage hießen in meiner frühen Jugend: ab ins Freibad Mirke. So erging es auch vielen Generationen vor mir bis im Jahr 2010 feststand, dass das Schwimmbad bis auf Weiteres geschlossen wird. 160 Jahre Freibadskultur standen damals auf der Kippe. Der »Förderverein Pro Mirke e.V.« nahm sich diesen Vermächtnisses 2011 an und wandte sich mit einer Vision Richtung Zukunft. Zwar ist das Schwimmbecken über die Jahre ein wenig geschrumpft, doch umso vielfältiger wurde das Programm rund um das Becken durch die vielen Ehrenamtler*innen, die das Freibad Mirke fortan behauste. Gemeinsam beleben sie das Freibad Mirke und denken es neuu. Anfang September des vergangenen Jahres 2020 wurde die frohe Botschaft dann verkündet: 3 Millionen Euro Bundesfördergelder werden in Zukunft hoffentlich in das Projekt fließen und den Bürgerpark Mirke ermöglichen. Was hier in Zukunft genau passieren wird, haben wir in einem Covid-19 konformen Interview bei den Aktiven selbst erfragt.

(v.l.) Heiner Mokroß, Csilla Letay, Lucas Böhle und Hans Hoge | Foto von Wolf Sondermann

Quartier:Mirke: Wer bist du/seid ihr? Stellt euch gerne kurz persönlich vor.
Csilla Letay: Ich bin Csilla Letay und von Anfang an mit im Becken, sozusagen. Ich bin Journalistin, Texterin, Lektorin und PR- und Social-Media-Beraterin sowie im Eventbereich tätig.
Heiner Mokroß: Mein Name ist Heiner Mokroß. Ich bin 1968 mit meinen Eltern nach Wuppertal gekommen, bin im Uellendahl groß geworden, habe nach einer Laborantenausbildung in Wuppertal Chemie studiert und habe zusammen mit meiner Frau, die ebenso Chemikerin ist, ein Gutachterbüro mit umweltwissenschaftlicher Ausrichtung gegründet, das wir seit 1997 partnerschaftlich betreiben.

Quartier:Mirke: Im Rahmen eurer Arbeit durch den »Förderverein Pro Mirke e.V« habt ihr 2011 den Betrieb des Freibad Mirke übernommen. Was treibt einen dazu an, eines der ältesten Freibäder Deutschlands retten zu wollen?
Csilla Letay: Wir haben einen persönlichen Bezug zu dem Ort. Ich bin hier schon als kleines Mädchen geschwommen oder besser gesagt zunächst nicht geschwommen. Noch bevor ich das Schwimmen gelernt habe, habe ich hier geplantscht. Später bin ich über den Schwimmverein SSC Hellas noch öfter auf dem Gelände gewesen als ohnehin schon. Viele Menschen in dieser Stadt haben ihre ganz individuellen Erinnerungen und Geschichten in Verbindung mit diesem Ort. Manchmal sind es sogar die Geschichten der Familie, generationenübergreifend. Kein Wunder, das Freibad wird im Juni 2021 stolze 170 Jahre alt! Freibäder sind Orte ohne Zeit, ohne Sorgen, Freiräume purer Unbeschwertheit und ohne den Fokus auf sozialen Status. Solche Freiflächen und Freiräume gibt es mitten in der Stadt nur noch wenige. Ihnen kommt aber ein enormer sozialer Stellenwert ebenso wie eine große Bedeutung für die individuelle Entwicklung von Kindern zu. Sie sind identitätsstiftend. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass sie, wie im Fall der Mirke, Orte der Kultur und Schnittstelle zwischen Kultur und Natur sind. Und, wenn wir beim Stichwort Natur sind, sie sind auch Orte der Erholung in der Stadt. Wenn man hier die vielbefahrene Gathe und Uellendahler Straße zwei Minuten hinter sich lässt, ist man plötzlich im Grün, atmet auf. Der Ort ist eine kleine Oase, wie es sie leider im zunehmenden Kampf um urbanen Raum nur noch spärlich gibt. Das Freibad Mirke hat sich im Laufe der Jahre zu einem noch außergewöhnlicheren Ort entwickelt, als er bereits war. Kunst, Kultur, gärtnern, spielen, barfuß laufen, sich begegnen und in einem naturnahen Umfeld regenerieren und bewegen: Das gilt es zu erhalten und zu entwickeln.
Heiner Mokroß: Zur Mirke, Freibad und Menschen haben wir langjährige und diverse Bezüge. Irgendwie war klar, dass wir den liebgewordenen und für uns wertvollen Standort Freibad Mirke nicht einfach so kommentarlos verlassen und aufgeben wollten. Also haben wir beschlossen, unsere Arbeit im und am Bad auszuweiten und Menschen zu finden, die mitmachen.

Quartier:Mirke: Für diejenigen, die ihr noch nicht im Freibad empfangen konntet: Was genau habt ihr in den letzten Jahren auf dem Areal des Freibads umgesetzt?
Csilla Letay: Der Ort hat sich, wie bereits erwähnt, durch die Tätigkeiten unseres Vereins zusammen mit vielen Akteuren aus unterschiedlichen Bereichen sehr spannend entwickelt. Wir haben zum einen den Pool im Pool gebaut: Ein temporäres Becken mit 80 Quadratmetern Wasserfläche aus IBC-Tanks, mit dem wir im Sommer den Freibadspaß ermöglichen. Außerdem gab es etliche Kunst- und weitere Kulturveranstaltungen, von der Illumination des Areals in Kombi mit Ambiente-Musik und Skulpturen sowie Lichtkunst über Konzerte und Lesungen, Partys und Feste, Urban Gardening, integrative Projekte, Quartierstreffen zum Singen, Basteln, Kochen und vielem mehr, das alljährliche Feuertal-Camping oder ein Open-Air-Kino im Becken bis hin zuletzt zur Vermietung von Grillflächen mit Equipment oder dass wir den Raum für private Feiern zur Verfügung stellen, die oftmals aus Budget-Gründen sonst nicht passieren könnten.
Heiner Mokroß: Wir haben das Freibad nach den erforderlichen Vereinsgründungen in 2009 und 2011 in einer Art Notbetrieb weiter geöffnet und parallel mit vielen Menschen zusammen ein Konzept für ein grundsaniertes Freibad mit biologischer Wasseraufbereitung entwickelt und dazu umfassend neue Nutzungsmöglichkeiten entwickelt, ausprobiert und etabliert. Dazu gehören Festivals, Camping, Kino, Lesungen, Gartengruppen, Outdoor-Spiele, Theatergruppe, Musizieren, Kochen, Konzerte, Spiele, … .

Das Hauptgebäude von außen | Foto von Wolf Sondermann

Quartier:Mirke: Im Freibad Mirke haben wahrscheinlich so einige Quartiersbewohner*innen schwimmen gelernt und die wenigen unerträglich heißen Tage der Sommermonate verbracht. Wie wichtig ist ein Freibad wie das eure für Gesellschaft und Kultur in einem Quartier?
Csilla Letay: Ich bin überzeugt davon, dass Orte wie das Mirker Freibad fürs Quartier eine elementare Rolle spielen und Funktionen übernehmen, die sonst unbesetzt blieben. Aber auch quartiersübergreifend ist das Freibad eine feste Größe mit einem Einzugsgebiet mit über 56.000 Menschen. Der Klimawandel ist nur ein Aspekt von mehreren, der die immense Bedeutung von Freibädern zu Tage fördert: Mit zunehmend heißen Sommern werden unversiegelte Flächen für das Mikroklima umso relevanter.
Heiner Mokroß: Hier wird es sicherlich unterschiedliche Wahrnehmungen geben. Ein Freibad wie die Mirke bedeutet und bewirkt aber viel mehr. Dies erlebt man im Miteinander vor Ort. Und gerade jetzt unter Corona-Bedingungen zeigt sich, wie bedeutsam ein Freibad für die Menschen im Quartier sein kann. Beispielhaft seien hier das FutureNow-Festival im Sommer und die Lesung mit Alice Hasters im Herbst letzten Jahres sowie der Erster-Advents-Gottesdienst 2020 im Freibad benannt.

Quartier:Mirke: Anfang September wurde bekanntgegeben, dass ihr Fördergelder in Höhe von drei Millionen Euro für den Umbau und die Sanierung des Freibad Mirke erhalten werdet. Wie fühlt man sich, wenn man knapp zehn Jahre auf ein Ziel hinarbeitet und es dann tatsächlich greifbar wird?
Csilla Letay: Klar, erst einmal schießen tausend verschiedene Gedanken und Gefühle durch Kopf und Herz, um einen dann etwas paralysiert zurückzulassen. Die erste Fassungslosigkeit wich natürlich unbändiger Freude, darüber, dass das große Ziel nun eine reale Chance hat, darüber, dass auch all die persönlichen Entscheidungen, oft auch gegen eigene Wünsche und mit Verzicht verbunden, doch richtig waren, darüber, dass man für all die Menschen, die sich so sehr darauf freuen, so sehr auch ein Freibad mit „großem“ Wasser in der Mirke vermissen, etwas erreicht hat, aber natürlich auch mit einer gewissen Bestätigung und Erleichterung auf ganz persönlicher Ebene, dass man nicht vollkommen Banane ist. Natürlich ist damit aber nun nicht Füßehochlegen angesagt, sondern weiter die Ärmelhochkrempeln. Es wartet auf vielen Ebenen reichlich Arbeit.
Heiner Mokroß: Sehr gut, denn die Richtigkeit des Vorhabens stand für mich immer außer Zweifel. Erstaunt war wir ich jedoch, dass eine solch einmalige Anlage, die zu Engels Zeiten gegründet und durch ein außergewöhnliches Bürgerengagement betrieben wurde, lange nur so wenig Rückhalt bei den Entscheidungsträgern der Wuppertaler Politik gefunden hat. Und auch jetzt sind die Grundlagen, auf denen zivilgesellschaftliches Engagement synergetisch mit Stadtpolitik und -verwaltung zusammenarbeiten soll, noch nicht klar definiert.

Quartier:Mirke: Gemeinsam mit der Stadt Wuppertal habt ihr ein Konzept erarbeitet, das mit Hilfe der Fördergelder umgesetzt werden soll. Was genau plant ihr für die Zukunft des Freibads?
Heiner Mokroß: Das Konzept bietet Grundlagen, auf denen sportliche und kulturelle Arbeit stattfinden kann. Dies haben wir ausgewogen in die Planung der Gesamtanlage eingebracht. Die Lebendigkeit der Arbeit wird aber zusätzlich davon abhängen, wie viel Mitarbeit die Menschen aus Nachbarschaft und Quartier einbringen. Wir haben eine Art Biotop geschaffen, in dem Menschen tätig werden und vielfache Erlebnisse haben können. Auf die Entwicklung sind wir also auch ein wenig gespannt.
Csilla Letay: Das Konzept haben wir schon sehr früh im Verein ausgearbeitet und auch dann ganz faktisch in Teilen bereits gelebt. Die Stadt Wuppertal hat das Potenzial unseres Konzeptes erkannt und aufgegriffen. Das Konzept ist das Fundament, die Entwicklung wird sicherlich auch organisch durch Beteiligung und Teilhabe weitere Formen annehmen.

Bitte vor Badenutzung duschen. | Foto von Wolf Sondermann

Quartier:Mirke: In den letzten zehn Jahren habt ihr Freibadkultur neu gedacht und ganz aktiv auch gelebt. Wie viel von eurem Konzept, irgendwo zwischen Bahnenziehen und Kulturveranstaltung, wird nach der Sanierung noch da sein?
Csilla Letay: Das Konzept ist der Rahmen, gefüllt wird es, wie in den letzten Jahren auch, durch das aktive gemeinsame Leben und Gestalten. Da es sich bei den Fördermitteln um rein investive Gelder handelt, werden wir den Betrieb nach der Sanierung und dem Umbau weiterhin ehrenamtlich schultern. Natürlich müssen wir dabei unseren Betrieb wirtschaftlich ausrichten, ein Kommerzspaßbad wird die Mirke aber ganz sicher nicht werden. Dementsprechend hängt die konkrete Ausgestaltung auch vom gemeinsamen Agieren im Quartier ab. Unser Konzept fußt nicht zuletzt auf den Tatsachen, die im Laufe der Jahre auch gewachsen sind: Kultur, Gesundheit und Erholung, Begegnung, Miteinander …

Quartier:Mirke: Nach dem Feiern ist vor der Arbeit! Habt ihr schon konkrete Schritte in Richtung Umsetzung geplant? Ist es möglich, euch bei der Umsetzung unter die Arme zu greifen?
Csilla Letay: Wir freuen uns immer über Expertise, die jemand einbringen will. Es ist gut wenn möglichst viele schlaue Köpfe ebendiese zusammenstecken. Wer Experte auf einem Gebiet ist und etwas beitragen möchte, ist herzlich willkommen. Und wer einfach nur mal an einem unserer Arbeitssamstage Kalorien verbrennen möchte, auch.
Heiner Mokroß: Konkret werden wir nach Erhalt der Fördermittel mit der Gesamtanlage beginnen, bei der letztendlich der Entwurf überprüft und einzelne Bausteine des Bads und der Freizeit- oder Veranstaltungstechnik festgelegt werden. Hierbei werden wir, wie zuvor auch, Ergebnisse im Bad ausstellen und diskutieren. Parallel werden wir unseren Veranstaltungsbetrieb weiterführen. Bei der Instandhaltung und Ausführung von Veranstaltungen können wir praktische Hilfe immer gut gebrauchen. Im Bad gibt es immer etwas anzupacken, instandzusetzen oder zu verschönern.

Quartier:Mirke: Einigen Wuppertaler*innen ist es ein großes Anliegen, dass das Freibad in Zukunft sowohl symbolisch als auch infrastrukturell erreichbarer an den Rest des Quartiers angeschlossen wird. Geht es euch ähnlich und gibt es dazu bereits Pläne, die von Seiten der Stadt mit euch kommuniziert wurden?
Csilla Letay: Ich denke, wenn man ernsthaft Stadtplanung betreiben und ernsthaft eine Verkehrswende nicht nur diskutieren, sondern auch endlich umsetzen will, dann kommt man nicht umhin, solche neuen Wege wie im Fall des Freibad Mirke zu wagen. Das muss meiner Meinung nach in erster Linie erst einmal auf Quartiersebene geschehen, denn dort passiert das Leben. Dort sind die Bedarfe da. Dann muss man rauszoomen und gucken, wo was wie (besser) verknüpft werden muss, und dabei diversifiziert vorgehen. Ich mag das Dogmatische nicht, es geht eben nicht alles mit dem Fahrrad, gerade in Wuppertal, und es geht eben nicht alles mit dem Auto. Nicht für jeden oder nicht in jeder Situation ist immer die gleiche Mobilitätslösung die beste. Eine Stadt hat viele verschiedene Funktionen und Bedarfe zu bedienen. Und dahingehend muss noch sehr viel passieren, ich würde mich sehr freuen, wenn wir zusammen mit der Stadt Visionen entwickeln, ausreifen und mutig in Pläne und Vorhaben umsetzen würden.
Heiner Mokroß: Für die Menschen da zu sein, ist von zentraler Bedeutung. Dazu müssen Infrastruktur, bauliche Maßnahmen und ein einladendes Konzept synergetisch zusammenwirken. Die Sanierung des Bads wird hier ein Auslöser für weitgehende Veränderungen sein, denn unsere Anlage wird Merkmale haben, die es bisher in Wuppertal und Umgebung nicht gibt. Wegeverbindungen, Treffpunkte und Ziele von Menschen werden sich neu ausrichten und zu einer menschen- und umweltfreundlicheren Gestaltung des Stadtteils beitragen.

Foto von Wolf Sondermann

Quartier:Mirke: Wollt ihr dem Quartier sonst noch etwas mit auf den Weg geben?
Csilla Letay: Sprecht uns an, kommt vorbei, macht mit, es macht viel Spaß. Lasst uns zusammen weiter als Quartier wachsen und unsere Stadt noch lebens- und liebenswerter machen.
Heiner Mokroß: Das war eine Nachricht im Jahr 2010 vom Freibad-Förderverein Amorbach zu unserer Vereinsgründung: Es klappt alles, wenn man will und zusammenhält!

Quartier:Mirke: Vielen Dank für das Interview!

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