Arbeit gegen Obdachlosigkeit | im Interview mit Klaus Krampitz
Die Wohnungsfrage stellt sich für viele Menschen in Deutschland selten in ihrer radikalsten Form – trotz der allgegenwärtigen Verknappung bezahlbaren Wohnraums. Vielleicht stellen sich einige von uns Fragen über das Umfeld oder die räumlichen Gegebenheiten ihres Wohnortes, aber nur wenige werden sich im Laufe ihres Lebens mit dem Fakt konfrontiert sehen, dass ihnen ein stabiles Dach über dem Kopf fehlt. Obdachlosigkeit ist eine der schlimmsten Formen der Armut in Deutschland und auch die Lebensrealität einiger Wuppertaler*innen. Im Quartier gibt es einen Ort, der Menschen in dieser Situation nach besten Möglichkeiten auffängt – die zentrale Beratungsstelle für wohnungs- und obdachlose Männer. Wir haben uns mit dem Leiter Klaus Krampitz verabredet, um mehr über die dort geleistete Arbeit und die Situation im Stadtgebiet zu erfahren.
Klaus Krampitz lebt in Bochum und ist seit zwei Jahren Leiter der Zentralen Beratungsstelle der Diakonie Wuppertal am Helene-Weber-Platz. Der studierte Sozialarbeiter arbeitete zuvor 23 Jahre als Streetworker und Berater mit wohnungs- und obdachlosen Personen im Wuppertaler Stadtgebiet.
Vorab ein paar Zahlen und Fakten, um die Situation in Wuppertal besser einordnen zu können: Vielen Menschen ist nicht bekannt, dass es einen grundlegenden Unterschied zwischen Wohnungs- und Obdachlosigkeit gibt. Wohnungslos ist prinzipiell jede Person, die keine Meldeadresse und demnach auch keinen festen Wohnsitz hat. Menschen, die z.B. aufgrund von einer Trennung ihre Wohnung verlieren und längerfristig bei Freund*innen oder Familie unterkommen, gelten daher bereits als wohnungslos. 2022 gab es in Wuppertal mit ca. 1400 überdurchschnittlich viele von ihnen. Obdachlos hingegen ist jede Person, die derzeitig keine Möglichkeit hat, in einer Wohnung unterzukommen und somit auf städtische Einrichtungen oder einen Schlafplatz unter freiem Himmel angewiesen ist. 2022 umfasste das in Wuppertal regelmäßig zwischen 30 und 40 draußen schlafende Personen und ca. 70-80 Personen, die in den Notunterkünften unterkommen konnten. Die Gründe für Obdachlosigkeit sind ebenso vielschichtig wie dessen Betroffene und lassen sich nicht stumpf auf Drogenabhängigkeiten oder Suchterkrankungen reduzieren. Meist zeichnet sich die Tendenz zur Obdachlosigkeit bereits in einem Prozess ab, der sich über Monate oder gar Jahre anbahnt und durch aufeinanderfolgende Schritte vollzieht. Dazu gehören z.B. Arbeitslosigkeit, instabile Freund*innenschafts- und Familienverhältnisse, Suchterkrankungen etc. Hinzu kommen oftmals weitere Marginalisierungs- und Kriminalisierungsformen, die es Betroffenen zusätzlich erschweren, aus ihrer prekären Situation auszusteigen.
Seit Anfang 2020 ist die Zentrale Beratungsstelle (ZBS) der Diakonie Wuppertal im ehemaligen Gemeindezentrum am Helene-Weber-Platz ansässig und unterstützt wohnungs- und obdachlose Männer in ihren Anliegen. Das Angebot der ZBS umfasst Beratungs- und Betreuungsangebote und bietet einen Tagesaufenthalt in Form des „Café Ludwig“ an. Hier können sich die Klient*innen an 7 Tagen in der Woche im beheizten Café aufhalten, warme Getränke und Speisen zu sich nehmen und das Internet nutzen – insbesondere in den kalten Wintermonaten eine unerlässliche Notwendigkeit. Darüber hinaus fungiert das ehemalige Gemeindezentrum als postalische Erreichbarkeitsadresse für obdach- und wohnungslose Männer. Diese ist obligatorisch, um Sozialhilfen und Post in Empfang nehmen zu können. Denn auch wenn es paradox klingen mag, sind obdach- und wohnungslose Menschen nur leistungsberechtigt, wenn sie weiterhin dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Aus diesem Grund müssen sie sich täglich vor Ort melden. Unter den gegebenen politischen Regelungen kann eine Nicht-Einhaltung dieser Regelung als „mangelnde Mitwirkung“ verklärt werden und schlimmstenfalls zur Nullkürzung der finanziellen Hilfen führen. Der endgültige Wegfall finanzieller Hilfe führt dann in den meisten Fällen zu weiteren Schicksalsschlägen. Die Arbeit, die Klaus und seinen Kolleg*innen vor Ort leisten, fungiert grundsätzlich als Bindeglied zwischen den Betroffenen und den Behörden. Dementsprechend treffen nicht nur unterschiedliche Strukturen, sondern auch Bedürfnisse, Anliegen und Dringlichkeiten aufeinander.
Betroffene erhalten in der ZBS zusätzlich Unterstützung bei der Vermittlung von Wohnungen. Zum jetzigen Zeitpunkt sind ca. 400 wohnungs-/obdachlose Männer stetig auf der Suche nach einer Wohnung. Das im Haus ansässige Projekt WOW (Wohnraumvermittlung und Begleitung für obdachlose und wohnungslose Menschen in Wuppertal) ist 2019 gestartet und vermittelte bis Ende 2022 insgesamt 290 Wohnungen. Das letzte Jahr entpuppte sich dabei allerdings als weitaus weniger erfolgreich, als die vorherigen – Grund dafür sind die Verknappung von Wohnraum und der Anstieg von Mieten. Die Ämter übernehmen nämlich nur solche Wohnungen, die unter einem gewissen Preis pro Quadratmeter liegen. Damit sind viele Wohnungen, gerade für obdachlose Personen, die auf die Hilfen des Arbeitsamtes angewiesen sind, nicht verfügbar. Doch das ist nur eines von vielen Problemen, die die Situation von wohnungs- und obdachlosen Personen verschärft.
Die anhaltende Pandemie stellte einen besonders harten Einschnitt dar. Das notwendige Ausbleiben sozialer Interaktionen bedeutete leere Innenstädte, weniger Spenden und eine Reduktion der Betten in den Notschlafstellen, um Ansteckungen zu vermeiden. Zwar wurden alternative Räumlichkeiten eröffnet, diese lagen jedoch im Osten der Stadt und sind ohne ÖPNV Ticket nur schwerlich zu erreichen. Der gegenwärtige Anstieg von Preisen durch die Inflation erschwert die Existenz auf der Straße zunehmend. Hier zeigt sich, dass Krisen implizit immer zuerst die Menschen treffen, die in prekären Lebenssituationen existieren müssen. Unter dem Stichwort „defensive Architektur“ vollziehen sich aber auch explizit materielle Einschnitte in die prekären Lebenssituationen. Hinter diesem Begriff verstecken sich bauliche Veränderungen von urbanen Orten, die öffentliche Räume unbequem gestalten, um z.B. obdachlose Personen davon abzuhalten, diese als Schlafplätze zu verwenden. Konkret zeigen sich diese Maßnahmen an Bänken, die mit „Armlehnen“ ausgestattet werden, damit Menschen sich nicht hinlegen können, oder etwa in dem Barrikadieren von Abluftschächten, die aufgrund der warmen Abluft, von obdachlosen Personen im Winter als Schlafplätze präferiert werden.
Doch es gibt einen Lichtblick: Anfang 2022 hat sich das EU-Parlament vorgenommen, (unfreiwillige) Obdachlosigkeit in allen Mitgliedsstaaten bis 2030 abzuschaffen. Grundsätzlich findet Klaus dieses Ziel ehrenwert. Er ist aber auch skeptisch bzgl. dessen Umsetzbarkeit, denn dafür braucht es hier in Deutschland vor allem Entbürokratisierung und finanzielle Investitionen in soziale Strukturen. Derzeitig scheitert die Bundesregierung bereits daran, ihre selbstauferlegten Ziele des Sozialwohnungsbaus einzuhalten und zeitgleich steigt die Anzahl der wohnungs- und obdachlosen Personen stetig an. Bis Orte wie die zentrale Beratungsstelle der Diakonie Wuppertal hoffentlich nicht mehr notwendig sind, bleibt die Beratungsstelle daher ein wichtiger Ort für das Quartier und das gesamte Stadtgebiet.
In den eigenen vier Wänden und unter Einfluss des alltäglichen Trotts kann die Situation wohnungs- und obdachloser Menschen schnell mal vergessen werden. In Klaus Büro hängen deshalb Bilder aus seiner Zeit als Streetworker, die ihn in seinem leitenden Bürojob an die Lebensrealität seiner Klient*innen erinnern sollen. Letztendlich liegt es aber auch an der Gesellschaft, dass wir prekarisierte Gruppen wie Wohnungs- und Obdachlose nicht weiterhin stigmatisieren. Klaus rät dazu, sich bei der nächsten Begegnung nach Möglichkeit ein wenig mehr Zeit zu nehmen, um in Kontakt zu treten und sich auf die Situation einzulassen. Falls ihr weiterführend unterstützen möchtet, sind Klaus und seine Kolleg*innen auf der Suche nach ehrenamtlicher Unterstützung im Betrieb des Café Ludwig [MAIL VON KLAUS]. Darüberhinaus sind monetäre Spenden für Speisen und Getränke immer willkommen. Wenn ihr mehr über die Arbeit der Zentralen Beratungsstelle am Helene-Weber-Platz erfahren wollt, schaut mal hier [HOMEPAGE DER DIAKONIE] vorbei.