Alfonso & Giacomo | mehr als ein Friseursalon
Das Mirker Quartier ist nicht bloß ein räumlich abgetrenntes Areal, dass durch seine benachbarten Stadtteile definiert wird. Vielmehr ist es ein Raum, der aus geteilten und konträren Geschichten hervorgeht, die die Bewohner*innen in ihrem alltäglichen Leben schreiben und lebendig werden lassen. Eine dieser Geschichten schreibt der Friseursalon von Alfonso & Giacomo in der Friedrichstraße 10. Ein kleines unscheinbares Ladenlokal, dass hinter dessen Fassade Räume des kreativen Auslebens eröffnet. Wir haben uns von Alfonso auf einen Espresso einladen lassen, um mehr über sein Leben, sein Arbeiten und seine Auffassung des Quartiers zu erfahren. Aber lest selbst!
Alfonso Gravina ist Friseurmeister, Maler und Musiker. Gemeinsam mit seinem Sohn Giacomo eröffnete er 2017 den Friseursalon in der Friedrichstraße 10 und möchte das Quartier seitdem nicht mehr missen. Als Sohn einer italienischen Gastarbeiter*innenfamilie zog er 1977 erstmals in die Nachbarschaft. Seither hat er das Quartier des Öfteren für ein paar Jahre verlassen – letztendlich führte ihn sein Weg aber immer wieder zurück.
Wir betreten das Ladenlokal. Was auf den ersten Blick klar wird: Das hier ist kein gewöhnlicher Friseursalon. Statt Unmengen an Werbung für Haarprodukte oder Bilder von frisch frisierten Menschen, sind die Wände des unscheinbaren Ladenlokals mit bunten Bildern übersäht. Sie zeigen skurrile, aber organische bunte Formen und Verläufe und lassen den Raum wie eine Galerie wirken. Im hinteren Teil des Raumes stehen drei bodentiefe Spiegel, davor je ein schwer anmutender, aber bequemer Drehstuhl. Ein Blick um die Ecke offenbart das Herzstück des Salons: eine mit Mosaiksteinen übersäte Theke und das dahinter liegende Atelier. Darin ragen zahlreiche Buntstifte der Decke entgegen, als würden sie nur so darauf warten ihrem Zweck zugeführt zu werden. An der Theke treffen wir auf Alfonso, der uns herzlich begrüßt und auf einen Espresso einlädt. Wie kommt er zu solch einem Laden? Alfonso verließ Wuppertal auf Grund einer Beziehung für rund zwei Jahre. Doch letztendlich zog es ihn zurück in seine Heimat und hier angekommen eröffnete er seinen eigenen Salon, zog um, nur um wieder umzuziehen. Am Ende seiner bisherigen Odyssee gelangte er über einen Freund an das Ladengeschäft in der Friedrichstraße 10, nur wenige Gehminuten von der Wohnung entfernt, in der er 1977 sein Leben in Deutschland begann. Alfonsos Geschichte handelt demnach nicht bloß von dem Finden eines Raumes, in dem er sich selbst verwirklichen kann, sondern auch von einer Art der Rückkehr zu sich selbst und den Orten, die ihn definieren. Er zog selbstverständlich ein und setzte damit einen Impuls auf der Friedrichstraße, der in den letzten Jahrzehnten dringend notwendig geworden war. Seitdem schreibt Alfsonso seine ganze eigene Geschichte im Quartier, die von dem Gefühl der verbundenen Nachbarschaft ebenso geprägt ist wie von dem Willen mehr zu wollen.
„Im Grunde kann ich nicht malen, aber ich habe das nicht glauben wollen.“
Alfonso Gravina im Interview
Haare schneiden und Malen? Das klingt erstmal nach einer eigentümlichen Kombination. Doch nicht nur die räumliche Kombination aus Salon und Atelier, sondern auch die kreative Nähe sind für Alfonso selbstverständlich. Am Anfang seiner Malerei war die Kugel. Er malte Kugeln über Kugeln über Kugeln, um sich ihrer Vollkommenheit zu verschreiben. Nachdem er diese meisterte, hörte er auf zu malen – Aufgabe erledigt. Erst die Nachricht von der zukünftigen Geburt seiner Zwillinge 2018 inspirierte ihn wieder zum Stift zu greifen. Eine darauf folgende schlaflose Nacht voller Freude setzte einen neuen Anfangspunkt in Alfonsos Geschichte. Seitdem malt er ununterbrochen diffuse, organische und farbenfrohe Landschaften, Formen und selbstverständlich Kugeln. Malen und Haare schneiden lassen sich in Alfonsos Kopf damit nicht von einander trennen. In einem vernetzten Miteinander existieren diese Sphären in seinem Ladenlokal gleichzeitig und nebeneinander. Alfonso selbst sieht das als essentiellen Punkt in seinem Leben. Er möchte nicht bloß dem monetären Reichtum nachhaschen, sondern sein Leben selbstbestimmt und kreativ leben. In diesem Sinne versteht er sein Ladenlokal und die Erfolgsgeschichte, die dahinter steht, implizit auch als Anreiz für eine fortschreitende Belebung der Friedrichstraße. Es braucht immer jemensch, der einen ersten Schritt wagt und zeigt, dass es funktionieren kann – Alfonso ist einer von diesen Menschen.
Sein Begehren nach einem belebten und vielfältigen Quartier speist sich aus den diversen Bildern der Vergangenheit. 1977 war das Viertel noch ein anderes. Nur wenige der Ladenlokale auf der Friedrichstraße standen damals leer. Stattdessen gingen die Menschen im Quartier ihrem Alltag nach und schufen sich lebendige Rückzugsräume. Zeitgleich vergisst er aber nicht die Problematiken, die auch damals vorherrschten und durch einen roten Stempel auf seiner behördlichen Anmeldebestätigung institutionalisiert wurden. Die Zukunft des Quartiers speist sich deshalb aus der Sehnsucht nach seiner lebendigen Vergangenheit und schreibt zeitgleich notwendige Ergänzungen ein, die ein belebtes Quartier für alle denkbar werden lässt. In diesem Sinne wünscht sich Alfonso ein vielfältiges und durchmischtes Quartier und versteht sich selbst, wie auch die anderen Akteur*innen im Quartier als Architekt*innen ihrer eigenen Räume.
Jeder geteilte Raum lebt von seiner eigenen Geschichte bzw. von der Anzahl der geteilten Geschichten. Das Quartier Mirke ist daher nicht das Luisenviertel und das wird es auch niemals sein – Alfonso findet das gut so. Stattdessen schreibt er als Person und in seinem Ladenlokal seine ganz eigene Geschichte und trägt damit zu einem geteilten Narrativ bei. Seine Devise bleibt dabei weiterhin: geteilte Räume schaffen, gemeinsam Geschichten schreiben und dadurch solidarische Nachbarschaft ermöglichen. Falls ihr Alfonso selbst mal einen Besuch abstatten wollt oder eure Haare dringend eines neuen Schnitts bedürfen, findet ihr hier mehr Informationen über die Öffnungszeiten und das Ladenlokal [Homepage | Instagram]. Außerdem erfahrt ihr hier mehr über Alfonsos Kunst [Homepage].
Alfonso & Giacomo sind eine große Bereicherung für das Quartier. Schön dass ihr da seid!