Wenn das ich sich selbst als du bezeichnet | eine Ausstellung
Wer in den vergangenen zwei Wochen den ehemaligen Wartesaal 3. Klasse des historischen Bahnhof Mirke – heute Utopiastadt – betrat, reagierte wohl etwas perplex. Vollgestopfte blaue Müllsäcke, leere Flaschen die wild herum stehen, Kinderbilder eines rothaarigen Jungen und Dokumente zieren die Wände, Kuscheltiere die neben einem Fotobuch auf einem Tisch verteilt liegen. Ein wenig skurril und abstoßend, zu gleich jedoch anziehend und intim. Der Raum erweckt Neugier und Scham. Die Besucher*innen tauchen in das Leben eines Anderen ein und erfahren unweigerlich Dinge die man normalerweise nicht so schnell über einen Menschen erfährt. Was hier vielleicht klingt wie ein voyeuristischer Detektivfall, ist ein Auszug aus dem Leben des Künstlers Fabian Nette. In seiner neuen Ausstellung „Wenn das Ich sich selbst als Du benennt“ präsentiert Nette der Zuschauerschaft einen Auszug aus seiner Kindheit. Das Besondere daran? Er selbst hat keine persönliche Erinnerung an den dargestellten Zeitraum seiner eigenen Kindheit.
Doch vorerst mehr zu Fabian Nette. Der zweiundzwanzigjährige Wunschwuppertaler lebt seit knapp 3 Jahren in Wuppertal. Seine Leidenschaft für die Kunst und die Philosophie, sowie das Studium an der „Bergischen Universität Wuppertal“ zog den jungen Mann in die Talstadt. Seit seiner Ankunft im Tal belebt er die Wuppertaler Kunstszene auf eine besondere Art und Weise. Sein Medium ist vielseitig. Mal verwirklicht er seine Ideen durch plastische Skulpturen, mal durch Lichtinstallationen und ein anderes mal durch die Fotografie. Nettes Arbeiten sind vielseitig und aussagekräftig – jedoch nicht immer auf den ersten Blick. Er selbst bezeichnet sich in einem Interview als „verlorener Wanderer zwischen Kunst und Philosophie“ und das bemerkt man insbesondere in seiner neusten Ausstellung im utopischen Wartesaal 3.
„Die Person trägt zwar meinen Namen, ist aber jemand anderes.“ so Fabian Nette in einem persönlichen Interview.
Kurz vor seinem letzten Umzug findet Fabian einen Ordner seines Großvaters, der die Idee für seine neuste Arbeit anstößt. Darin befinden sich Protokolle seines Großvaters, die er über Fabian und dessen Begegnungen mit seiner Mutter anfertigte. Fabian Nette wuchs ab dem 3. Lebensjahr bei seinen Großeltern auf. Der Zeitraum der in diesem Ordner protokolliert wurde beschreibt wie es dazu kam, dass er bei seinen Großeltern erwachsen wurde. Angetrieben durch die eigene Neugier wühlt er sich wie ein Detektiv durch die eigene Kindheit und beschließt letztendlich dieses Medium künstlerisch aufzuarbeiten. Für Viele wirkt dies unvorstellbar intim und persönlich. Für Fabian Nette jedoch ist die künstlerische Ausarbeitung seines Fundes eine Art der Darstellung der Realität, an die er sich selbst nicht erinnert. Es ist ein Teil seiner selbst, an das er sich selbst nicht erinnert. Doch dabei geht es ihm nicht primär um die Darstellung seines Schicksals. Vielmehr um das Aufzeigen der Subjektivität von Wahrnehmungen und Erinnerungen. Nette selbst berichtet in einem persönlichen Interview, dass er zwar alle Beteiligten kennt, sich selbst jedoch auf Grund von fehlenden Erinnerungen kaum mit seinem „Vergangenheits–ich“, liebevoll auch „F.“ gennant, identifizieren kann. In diesem Detektivfall dreht sich alles um F. aber nicht um Fabian. Zwischen Protokollen der Sitzungen mit dem Jugendamt, persönlichen Protokollen von Fabians Großvater, exemplarischen Kinderbildern und Interviews, die Fabian Nette nach dem Fund mit seiner Mutter hielt, erschafft der Raum eine Art Beklemmung und reißt einen gleichzeitig in den Bann der Geschichte. Durch die Reihenfolge der Ausstellung beginnen die Besucher*innen an dem Punkt an dem auch Fabian den Ordner aufschlug – am Ende. Durch die Neugier gesteuert bewegt man sich so zeitlich rückwärts und kommt der Ursache für Fabians damalige Situation auf die Spur.
Doch woher kommt der Name für die Ausstellung? Fabian Nette berichtet, dass der Titel der Ausstellung durch ein Exzerpt aus dem Protokoll des Jugendamtes entspringt. Dort steht, dass Fabian, obwohl er seinen Namen kennt, sich selbst immer nur als „du“ referiert. Diese Eigenartigkeit beschreibt Nettes Gefühl als er sich die Dokumente zum ersten mal zu Gemüte führt. Er abstrahiert sich selbst und es scheint als würde er sich selbst gegenüber sitzen und sein eigenes Leben erleben. Auf Grund der nicht Vorhandenen Erinnerung an den Zeitraum der in der Ausstellung thematisiert wird, sind Nettes „Erinnerungen“ durch die subjektive Wahrnehmung vieler Anderer geprägt. Ob es die seiner Mutter, die seiner Großeltern, die der Lebenspartner*innen seiner Mutter oder die der Sozialarbeiter*innen sind. Sie wirken dadurch, dass sie in Text verarbeitet lesbar sind. Dadurch ist es Fabian Nette nicht möglich eine eigene Meinung zu haben, weil er, obwohl er Teil des Ganzen ist, keine subjektive Position vertritt.
Für diese Ausstellung erhält Fabian Nette auch negative Rückmeldungen. Kein Wunder. Die Ausstellung polarisiert, basiert auf einem undankbaren und zeitintensiven Medium und auch über den realisierten Kunstbegriff lässt sich streiten. Ist das wirklich Kunst? Na was ist schon Kunst. Fabian Nette arbeitet einen Abschnitt seines Lebens dokumentarisch auf, stellt ihn in künstlerischer Inszenierung und dessen Kontext in den öffentlichen Raum und überlässt den Betrachter*innen die Wertung. Es ist Arbeit sich durch die kleingedruckten Protokolle zu lesen, den Faden bei den verstrickten Vorfällen nicht zu verlieren, den Scham bei solch privaten Inhalten hinten anzustellen und sich dessen hinzugeben. Letzten Endes erschafft auch jede*r der Besucher*innen eine subjektive Wahrnehmung der Abläufe, wie Fabian Nette es auch tut – er oder sie wird zum Betrachter*in und Urteiler*in der Vorfälle die knapp 20 Jahre zurückliegen.
Falls du die Ausstellung verpasst hast, wird es vielleicht in Zukunft die Möglichkeit haben, diese in abgeänderter Form erneut zu betrachten. Ob, wann und wo das Ganze dann stattfindet ist laut Nettes eigener Aussage noch nicht ganz klar.