Team LOCAL+ | Einblick in den SDE 21/22

Der »Solar Decathlon 21/22« offenbart eine Vielzahl von Lösungen für eine nachhaltige Zukunft des Baugewerbes, die nicht nur theoretisch aufgezeigt, sondern ganz praktisch erlebbar gemacht werden. Die schiere Fülle dieser Ideen kann überwältigend sein und materialisiert sich in 16 innovativen und real gewordenen Konzepten auf den Flächen des Utopiastadt Campus. Wir haben uns exemplarische eines der Projekte herausgesucht und mal einen Blick hinter die Kulissen gewagt. Unsere Wahl fiel dabei auf den Demonstrator und das Konzept des Teams LOCAL+ der Fachhochschule Aachen [LINK LOCAL+], die den 5. Platz im Gesamtranking des Wettbewerbs belegten. Wir haben uns mit dem Team verabredet, um mehr über die Ergebnisse des dreijährigen Planungs- und Umsetzungsprozesses zu erfahren.

Ein Teil des Teams LOCAL+ vor dem eigenen Demonstrator | Foto von Wolf Sondermann

Das Team LOCAL+ besteht, neben Franz und Inci, die uns durch das Haus führten, aus weiteren 22 Studierenden des Fachbereichs Architektur der FH Aachen. Unterstützt wurden sie im Verlauf der Planung durch das »Solar Institute Jülich« der FH Aachen und einer Vielzahl an wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen und Professor*innen. Geleitet wurde das Projekt von Prof. Jörg Wollenweber.

Im Rahmen der Wettbewerbsteilnahme gingen sie der Aufgabe nach, die Baulücke in der Bandstraße zu schließen und zeitgleich einen Lösungsansatz für soziale Problematiken zu erarbeiten. Denn in Deutschland herrscht nicht nur Wohnraumknappheit, zusätzlich bewohnen aufgrund des demografischen Wandels viel zu wenig Menschen viel zu viel Wohnraum und das hat entscheidende Folgen für unsere Umwelt – wir verbrauchen zu viel Energie pro Kopf. Eine Lösung für diesen derzeitigen Zustand entlehnen die Studierenden bereits gelebten und somit bewährten Konzepten. Viele junge Menschen kennen dieses Konzept als WG, doch die Studierenden bringen einen entscheidenden Twist ein, der mithilfe des aufgebauten Demonstrators verdeutlicht wird.

Baulücke in der Bandstraße | Foto von Wolf Sondermann

Im Erdgeschoss befindet sich der geteilte Lebensraum. In einer realen Situation würden hier wahrscheinlich die Bewohner*innen sitzen, sich unterhalten, gemeinsam kochen, zusammen essen und ihre gemeinsame Freizeit verbringen. Im darüber liegenden barrierefreien 1. OG befinden sich die privaten Räume – wobei es in der realen Umsetzung des Projekts drei weitere baugleiche Etagen geben würde. Als wir den 65qm großen Raum betreten, stellen wir fest, dass dort keine einzige Wand im Raum verbaut ist. Stattdessen stehen im Raum drei hölzerne, sogenannte „Cubes“. In jedem von ihnen befindet sich auf 4qm ein Bett, das zur Couch umgestellt werden kann, Staumöglichkeiten, zwei Fenster und ebenso viele Türen. Die Innen- und Außenwände sind als Pegboards gestaltet. Das heißt, in den äußeren Teilen der Wände sind in regelmäßigen Abständen Löcher angebracht, in die verschiedenen Module gesteckt werden können. Das ermöglicht die Anwendung eines modularen Systems, wodurch Möbel kurzfristig umgesteckt und somit umfunktioniert werden können. Der innenliegende Schreibtisch kann damit z.B. ohne großen Aufwand außerhalb des Cubes befestigt werden. Die hölzernen Würfel stehen auf Rollen und können dadurch durch den Raum verschoben werden. Das Konzept basiert grundlegend auf dem Gedanken, dass Wohnraum über viele Stunden am Tag eigentlich nicht genutzt wird und damit brach liegt. In einer herkömmlichen WG symbolisiert dieses Brachliegen die geschlossene Zimmertür. Durch die verschiebbaren Cubes wird die symbolisierte geschlossene Zimmertür auf den eigentlichen Cube reduziert, der im Raum verschoben werden kann, obwohl er geschlossen bleibt. Ist dein*e Mitbewohner*in also nicht zu Hause, kann sein*ihr Cube einfach in die Ecke gestellt werden und eröffnet somit mehr Raum für die übrigen Mitbewohner*innen. Letztendlich sind die Cubes aber mehr als hölzerne verschiebbare Zimmer. Sie sind außerdem mit technischen Komponenten ausgestattet, die z. B. die Luftzirkulation im Cube garantieren. Wie das funktioniert? Im inneren der verschiebbaren Räume befinden sich CO₂ Sensoren, die ab einer gewissen Grenzüberschreitung des Wertes ein geräuschloses Ventilatorsystem anschalten und damit für Luftzirkulation im Cube sorgen. Darüber hinaus können die Cubes aber auch an die Fenster der Außenwände gestellt werden – und so wird der hölzerne Raum, zum Cube mit Ausblick. Dem Team war es in der Konzeption aber auch wichtig, dass das Haus nicht für einen spezifischen Zweck gebaut wird, den es in 20 Jahren vielleicht gar nicht mehr erfüllen muss. Braucht es in 20 Jahren noch Wohnraum an dieser Stelle oder evtl. eher Büroraum? Dadurch, dass der Raum, in dem die Cubes stehen, nur von den Außenwänden getragen wird, wäre es zukünftig auch denkbar, den Raum ganz ohne Cube zu nutzen, oder aber Cubes zu konstruieren, die den benötigen Bedürfnissen entsprechen. Um das Konzept zu vervollständigen, befindet sich im 1. OG außerdem noch ein Badezimmer, in dem sich neben einem Waschbecken und einer Toilette auch eine Dusche mit Wärmerückgewinnung befindet.

Das Haus ist in einer Holz-Modul-Bauweise aufgebaut. Die 10 Module können in der Werkhalle aufgebaut werden und müssen anschließend vor Ort nur noch miteinander verbunden werden. Das gesamte Gebäude besteht daher zu 70 % aus Holz und eine großer Teil der restlichen 30 % aus Lehm. Letzterer wird in den Decken in Form von Platten verbaut. Die Wände sind zusätzlich mit Schilf und Jurte gedämmt. Das sorgt für ein sehr angenehmes Raumklima, dass auch bei 30 Grad wirklich ertragbare Temperaturen im Innenraum ermöglicht. Hierbei lässt sich sofort erkennen, dass das Team auf nachhaltige Rohstoffe setzt. Eine weitere Besonderheit stellt aber auch die Verbindung der Baumaterialien dar. Alle verwendeten Materialien sind so im Haus verbaut, dass sie so leicht wie möglich wieder voneinander trennbar sind. Statt Materialien also miteinander zu verkleben, wurden sie verschraubt, genagelt, gequetscht oder halten sich an Ort und Stelle durch ihr Eigengewicht. Das erleichtert nicht nur den Rückbau, sondern ermöglicht auch eine lückenlose Trennung der Materialien, falls das Haus einmal nicht mehr sein soll. Am Ende verbleibt neben der verbauten Technik nur ein Haufen Erde und wiederverwendbares Holz.

Zeitgenössisches und innovatives Bauen impliziert heute fast immer auch die Digitalisierung von Wohnraum – Team LOCAL+ macht da keine Ausnahme, denn das gesamte Haus ist mit einem Smart-Home-System ausgestattet. Das ermöglicht natürlich eine Vielzahl an Spielereien, die nicht wirklich notwendig sind, setzt aber auch die Basis dafür, Daten auszulesen und diese im Sinne der Nachhaltigkeit für zukünftige Handlungen mit einzubeziehen. Das Haus kann z. B. auf die Wettervorhersage zugreifen und selbst berechnen, wann es welche Stromquelle und Wasserquelle anzapfen soll, um möglichst nachhaltig und kostengünstig zu agieren. Überschüssige Energie kann dann kostengünstig eingekauft und in den hauseigenen Batterien gespeichert werden. Auf dem Dach sind außerdem sogenannte PVT-Zellen (Photo-Voltaik-Thermal-Zellen) verbaut. Diese besondere Art der Solarzellen erlaubt es, zeitgleich Strom und Wärmeenergie zu erzeugen. Im Fokus einer realen Umsetzung des Konzepts sollen zudem die benachbarten Häuser technisch modernisiert werden, um als gemeinsame Stromproduzentin wirksam zu werden. Die überschüssige Energie, die im Sommer produziert wird, soll laut Konzept in Wasserstoff umgewandelt werden und somit im Garten langfristig speicherbar gemacht werden. Dieser Teil des Konzepts konnte aber aus Sicherheitsgründen nicht im Demonstrator nachgebaut werden. Neben den PVT Zellen ist im Haus zusätzlich ein Eisspeicher verbaut, der es ermöglicht, Kälte bzw. Wärme zu speichern. In dem Eisspeicher befinden sich 2150 längliche Behältnisse, in denen sich ein Anti-Frost-Mittel befindet. Darum herum fließt eine Glukosol-Wasser-Mischung, die mit einer Pumpe in die PVT Anlagen und in die Schläuche in den Decken gepumpt werden und somit zur Erwärmung bzw. Kühlung der Räume beitragen kann.

Letztendlich wäre es wahrscheinlich Wunschdenken gewesen, wenn nicht irgendetwas beim ersten Aufbau des Demonstrators auf dem Wettbewerbsgelände schiefgelaufen wäre. Aber Team LOCAL+ hat es besonders hart getroffen. Die Module gerieten während des Transports in ein schweres Unwetter, wodurch die Abdeckung einzelner Module des Erdgeschosses aufriss und einen Wasserschaden verursachten. Deswegen musste das Team in den zwei Wochen des Aufbaus nicht nur das Haus zusammensetzen, sondern außerdem das gesamte Erdgeschoss sanieren. Sprich die gesamte Decke, die Wände und der Boden musste neu erarbeitet werden. Der Wasserschaden zeigte aber auch, wie gut die Bauweise des Teams funktionierte. Denn erstens können natürliche Baumaterialien das Wasser besser aushalten als synthetische und zweitens trennte das Wasser die verbauten Materialien so gut, dass am Ende nur ein Haufen Erde übrig blieb, der wieder in den natürlichen Kreislauf zurückfließen kann.

Mit der Präsentation des Demonstrators auf dem SDE 21/22 stellen die Studierenden aber nicht nur ein innovatives Konzept dar. Sie ermöglichen außerdem Einblicke in einen Prozess, der im Oktober 2019 begann und nun hier vorerst endet. In diesem Prozess wurde der Studienverlauf so angepasst, dass die Studierenden das Projekt im Rahmen ihres Studiums konzipieren und umsetzen konnten. Alle Studierenden haben in den letzten drei Jahren ihre Bachelorarbeit über verschiedene Teilaspekte des Konzepts geschrieben und damit auch rein wissenschaftlich eine enorme Basis erschaffen, auf die sich das Konzept stützt. Viele von ihnen werden auch ihr Masterstudium dem Projekt beenden. Der Demonstrator materialisiert daher nicht bloß Ideen, sondern bringt Forschung und Praxis hautnah aneinander. Und das wohlgemerkt unter pandemischen Bedingungen, die ein Zusammentreffen in Persona lange Zeit verunmöglichten. Dass dieses Zusammenkommen inzwischen wieder möglich ist, schafft auf dem Campus eine ganz besondere Atmosphäre. Auch wenn alle Teams in erster Linie damit beschäftigt waren, ihre eigenen Häuser zu errichten, herrschte keine Atmosphäre der Konkurrenz zwischen den einzelnen Teams. Stattdessen halfen sich die Teams nicht nur mit Restmaterialien und Werkzeugen aus, sondern auch mit Arbeitszeit. Die Abendstunden wurden außerdem zum gemeinsamen Feiern und Austausch genutzt. Während der gesamten Zeit haben die Studierenden allerdings nur wenig von dem Quartier mitbekommen. Die zweiwöchige Bauphase und anschließende Präsentationsphase nimmt die Studierenden so ein, dass sie selbst nur zwischen Unterkunft und Wettbewerbsgelände hin und her pendeln. Die meisten Einblicke erhielten die Studierenden damit tatsächlich in den Monaten der Planung, Konzeption und Ausarbeitung des Projekts. 

Der Demonstrator von außen | Foto von Wolf Sondermann

Aber mit dem baldigen Ende des SDE wird noch nicht das Ende des Hauses von Team LOCAL+ eingeleitet. Stattdessen wird der Demonstrator gemeinsam mit sieben weiteren drei Jahre auf dem Campus stehen bleiben und im Rahmen des Living Lab NRW [Link SDE] auf Herz und Nieren geprüft. Vielleicht findet das Konzept somit letztendlich auch seinen Platz in der Baulücke in der Bandstraße. Bis zum 26. Juni besteht noch die Möglichkeit das Haus von Team LOCAL+ und den anderen Teams zu besuchen. Hier findet ihr weitere Informationen über das Team [Link LOCAL+] und hier über den SDE [LINK SDE].

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