Stadtentwicklungssalon | Schöner Wohnen für alle? | ein Nachbericht
Das Forum:Mirke lud am 29.11.2017 zum 3. und somit letzten Stadtentwicklungssalon diesen Jahres nach Utopiastadt ein. Rund 60 Stadtentwicklungsinteressierte kamen der Einladung nach, um bei einer Tasse Tee oder einem Bärtig Bräu, der Podiumsdiskussion zum Thema »Schöner Wohnen für alle?« zu lauschen. Im Nachhinein blieb Platz für private Gespräche zum Thema Gentrifizierung und Strategien der Degentrifizierung, neue Bekanntschaften und den aufschlussreichen Austausch von Erfahrungen. So wurde das Thema des Abends unter folgendem Titel zusammengefasst:
»Schöner Wohnen für alle? Wie kann Quartiersentwicklung ohne ohne Verdrängung funktionieren?«
Auf der Bühne nahmen vier namenhafte Sachverständige aus Wuppertal und Umgebung platz, die sich in den vergangenen Jahren mit dem Thema Stadtentwicklung, und Prozesse des Miteinanders in der Stadt auseinandersetzten. Gemeinsam gaben sie einen Einblick in die mögliche Zukunft Wuppertals, explizit auf das Thema Gentrifizierung und dessen Folgen auf das Stadtbild.
Doch zunächst begrüßte Gaby Schulten, unter anderem Organisationsmitglied des Forum:Mirke, alle BesucherInnen der Veranstaltung und leitete somit in den Abend ein. Sie gewährte ebenso einen kleinen Einblick auf die Zukunft des Veranstaltungsformats »Stadtentwicklungssalon« im Jahre 2018.
Anette Hager, Journalistin und Moderatorin der Veranstaltung leitete in die Fragestellung des Abends ein und begrüßte folgende Teilnehmer auf dem Podium:
- Stephan A. Vollmer, Geschäftsführer der Alfred Vollmer Immobilien, Mitglied des Gutachterauschusses der Stadt Wuppertal und Mitglied der Arbeitsgruppe zur Erstellung des Mietpreisspiegels in Wuppertal
- Sven Macdonald, Geschäftsführer des Büros für Quartiersentwicklung Wuppertal und Mitglied im Beirat des NRW-Förderprogramms „Initiative ergreifen“
- Martin Krämer, Aktivist bei Netzwerk Recht auf Stadt Ruhr, arbeitet u.a. für das Netzwerk Mieten & Wohnen
- Christian Hampe, studierter Kommunikationsdesigner, Geschäftsführer der Utopiastadt gGmbH und Mitbegründer des Statement Magazins »clownfisch«
Gemeinsam debattierten sie an diesem Abend über die Erscheinungsformen und mögliche Merkmale einer schleichenden Gentrifizierung in deutschen Städten, inwiefern Wuppertal und Umland bereits von diesen Prozessen betroffen ist, und den Maßnahmen, die man bereits vor einem „Prenzlauer-Berg-Syndrom“ einleiten kann, ohne einen Großteil der eigentlichen Bevölkerung zu verdrängen.
»Da hängt ein Zettel an der Fassade eines Gründerzeithauses in Köln, auf dem steht: „Sowas mietet man bei uns für 7 Euro, aber euer Dom ist auch ganz schön!“« so zitiert Annette Hager.
Was ist Gentrifizierung überhaupt? Und wie lässt sich Gentrifizierung ausmachen? Da trennen sich die Gemüter. Ist Gentrifizierung wirklich noch die allgemeine Verdrängung einer bestimmten Bevölkerungsschicht aus einem Quartier der Stadt? Oder fängt Gentrifizierung bereits dort an, wo Viertel aufgewertet werden, ohne Acht auf Verlust von QuartiersbewohnerInnen zu legen?
Seit rund 200 Jahren findet der allgemeine Lauf auf den städtischen Raum statt. Menschen zentrieren ihren Lebensmittelpunkt auf den urbanen Raum. Aber wie lange kann dieser ständige Ansturm auf städtischen Raum noch möglich sein? Die größte Frage dabei ist, wer in solchen selbstgelenkten Prozessen auf der Strecke bleibt und wie man diesen entgegenwirken kann.
Im Grunde genommen ist Wuppertal in den vergangenen Jahren von dem Problem der Gentrifizierung größtenteils verschont geblieben. So sind die Mieten im Tal in den letzten 10 Jahren nur um circa 10% gestiegen. Das klingt zwar nicht wenig, doch im Vergleich zu anderen deutschen Städten, die teilweise bei 25-30% liegen, entspricht Wuppertals Mietspiegelsteigung der Norm deutscher Städte. Doch ist es nicht vielleicht gerade jetzt an der Zeit einer möglichen stärkeren Steigerung entgegenzuwirken bevor es zu spät ist?
Genau deswegen ist es wichtig, dass wir alle uns mit dem Thema auseinandersetzen und uns der Gefahr bewusst werden, dass städtischer Wohnraum knapper wird. Über Gentrifizierung muss gesprochen werden, bevor es zu spät ist und Stadtteile in eintöniger Homogenität ersticken. Sensibilisieren, aufklären und Informationen bereitstellen. Das Thema darf auch zukünftig nicht unter den Tisch gefegt werden.
Eine Stadt und im kleineren ein Quartier, wie das Mirker Quartier, lebt von seiner Diversität. Hier treffen Jung und Alt, gut betucht und weniger gut betucht aufeinander – und gerade das macht solch ein buntes und weltoffenes Quartier aus. Ein Quartier voller kultureller Angebote, spielender Kinder auf den wenigen Plätzen im Quartier. Wie können wir solche Strukturen in Zukunft beibehalten?
»Gentrifizierung ist nicht das Bärte wachsen lassen, die Eröffnung veganer Cafés, das hippe Schallplatten kaufen und das morgendliche, gemeinschaftliche Pilates. Das alles sind Auswirkungen von Verknappung und somit der Exklusivierung von städtischem Wohnraum.« So Martin Krämer.
Dafür gibt es keinerlei Generallösungen. Doch gerade Wuppertal bietet auf Grund seines momentanen Wohnungsleerstandes und der finanziellen Lage einen Raum, in dem utopische Quartiersentwicklung ohne Verdrängung gelebt werden kann. Aufwertung des Lebensgefühls des Quartiers – von Allen, für Alle.
Das Potential des Wuppertaler Leerstandes, der vielen ehemaligen Fabrikhallen und leerstehenden Gründerzeitbauten muss zukünftig konzipierter genutzt werden. Altbauten müssen mit Hilfe von staatlicher Subventionierung renoviert werden können, ohne den Mietspiegel horrend in die Höhe schießen zu lassen. Das fordert Zusammenarbeit zwischen MieterInnen, EigentümerInnen, der Stadt Wuppertal und gar dem gesamten Bund. Etwas unternehmen bevor Wuppertal einem der Berliner Innenstadtviertel gleicht.
Christian Hampe schlägt die Ausarbeitung von allgemeinwohlorientierten Mieterverbünden vor. Ein Mieterverbund, der sich auf der einen Seite für menschenfreundliche Wohnverhältnisse einsetzt, aber auch ebenso Mieterverhältnisse stärkt. Ein Anlaufpunkt für BewohnerInnen dieser Stadt – Ein Ort des Austausches und Zusammenschlusses. Denn nur funktionierende Nachbarschaften können gemeinsam gegen Verdrängungsprozesse vorgehen. Doch auch Investoren, Stadtverwaltung und der Bund spielen hierbei eine große Rolle, sagt Martin Krämer. Nur mit Hilfe der effektiven, finanziellen Nutzung von Investitionen und öffentlichen Geldern, kann sozialer Wohnungsbau und Renovierung von Leerstand, mit dem Ziel einer Bereitstellung von kostengünstigem Wohnraum, ermöglicht werden.
»Wir haben das Privileg zu wissen was am Prenzlauer Berg passiert ist, unsere Aufgabe liegt darin, dieses Wissen zu nutzen und damit Gentrifizierung entgegenzuwirken« so Martin Krämer.
Im Anschluss an die Podiumsdiskussion, gab es die Möglichkeit es sich auch als BesucherIn der Veranstaltung auf dem Podium bequem zu machen und Fragen zu stellen. Dabei wurde klar, dass es der Stadt Wuppertal nach wie vor an finanziellen Mitteln fehlt, um degentrifizierende Prozesse aktiv einzuleiten. Außerdem lag es den BesucherInnen der Veranstaltung am Herzen, nicht nur Wohnraum für Familien finanzieren zu können, sondern gerade auch Bedürftigen, Neu-Ankommenden bzw. Angekommenen und auch alten Menschen ein Recht auf menschengerechten Wohnraum einzuhandeln.
Gentrifizierung – ein Thema über das wir in den kommenden Jahren, gar Jahrzehnten wahrscheinlich und hoffentlich noch viele Worte verlieren werden. Diese Veranstaltung galt als erster Aufschlag und somit als Leuchtturm für kommende Versammlungen, Podiumsdiskussionen und Ähnliches. Wir sollten es uns allen zum Ziel machen, über mögliche Alternativen der herkömmlichen Verdrängungs-Stadtentwicklung nachzudenken und wenn möglich in die öffentliche Debatte zu bringen. Wem gehört die Stadt?
Bei gemütlich-warmen Schein des winterlich-anmutenden Weihnachtsbaums im Hutmacher, gab es im Anschluss an die Veranstaltung Zeit für private Gespräche bei einem Getränk nach Wahl. NachbarInnen tauschten sich über bisherige Erfahrungen aus und schlossen neue Bekanntschaften. Bei einem sind wir uns allerdings alle einig: Gentrifizierung muss so gut es geht vermieden werden. Die Stadt gehört uns Allen, und wird erst durch uns Alle zu dem was sie ist. Stadt muss bunt und laut bleiben!
Fotografische Impressionen von Wolf Sondermann, Text von Max-Mosche Kohlstadt.