Mobilstationen im Quartier – Eine urbane Vision
Das Auto ist bereits seit Jahrzehnten ein heiß umkämpftes Gut. Die einen haben und brauchen es, die anderen haben oder wollen es nicht. Einer, der eher selten hervorgebrachten Punkte in dieser Debatte, ist die Frage nach Raum: Wem gehört eigentlich die Stadt? Und wer hat das Recht, sie zuzuparken? Zahlreiche zivilgesellschaftliche Stadtmacher*innen liefern bereits seit Jahren die Antwort: die Stadt gehört uns allen gemeinsam. Und trotzdem wird sie weiter von Einzelnen zugeparkt. Das Projekt »Mobilstationen im Quartier« (MiQ) widmet sich dieser Thematik aus einer praktischen Perspektive. Parkdruck zu nehmen und urbanen Raum in die kollektive Hand zu übergeben bedarf einer Reorganisation des urbanen Raumes und somit auch einer Reorganisation der Mobilität. Mobilstationen schaffen die reale Möglichkeit dieser Verbindung und lassen einen Blick in eine Zukunft erhaschen, in der Straßen wieder Lebensräume darstellen. Wir haben uns mit den Projektmitarbeitenden Uwe Peter und Paulina Saurer zusammengesetzt, um mehr über das Konzept und die Utopie hinter den Mobilstationen zu erfahren.
Uwe Peter ist Ölberger durch und durch. Er ist seit Jahrzehnten auf dem Ölberg verwurzelt und ist als Organisator des Ölbergfests und der Fahrradmesse „Bergische Velo“ bekannt. Seit dem Projektbeginn im letzten Jahr ist er für die Quartierskommunikation bei der Neuen Effizienz zuständig. Paulina Saurer arbeitet als Managerin für Mobilität bei der Neuen Effizienz. Mit ihrem akademischen Hintergrund in den Bereichen Stadt-, Wirtschaftsgeographie und integrativer Stadtentwicklung bereichert sie das Projekt um Wissen über nachhaltige Mobilitätskonzepte in urbanen Quartieren. Neben »Neue Effizienz« sind außerdem der »Unternehmer/innen für die Nordstadt e.V.«, das »Wuppertal Institut« und die »Bergische Universität Wuppertal« in die Umsetzung involviert.
»Ein dichtes Netz von Mobilstationen reduziert die Notwendigkeit des eigenen Autos und schafft somit mehr Platz und mehr Lebensqualität in den Quartieren.«
Paulina Saurer, Managerin für Moblität »Neue Effizienz«
Aber was hat es überhaupt mit diesen Mobilstationen auf sich und warum brauchen wir mehr davon im urbanen Raum? Dass Autos einen Großteil ihrer Lebenszeit lediglich im abgestellten Zustand verweilen, ist inzwischen kein Geheimnis mehr. Doch diese Einsicht eröffnet die Möglichkeit, Autos kollektiv zu nutzen, um die generelle Anzahl der Autos zu reduzieren. Das Konzept der Mobilstationen setzt genau an diesem Punkt an. In diesem Sinne fungieren Mobilstationen als Knotenpunkte für Verkehrsangebote. Im Rahmen der Stationen werden Begegnungspunkte geschaffen, an denen diverse Modi der Fortbewegung ein gemeinsames Zuhause finden. Sie ermöglichen so das barrierefreie und zeitnahe Umsteigen von einer Art der Fortbewegung zu einer anderen. Praktisch treffen hier z.B. Taxi- und Carsharingangebote auf Fahrradgaragen, Fahrradsharing und öffentlichen Nahverkehr. Damit verfolgt das Konzept der Mobilstation eine Utopie der geteilten Mobilität. Sie verbindet die Forderung nach der kollektiven Nutzbarmachung von urbanem Raum mit dem Bedürfnis nach der Nutzung des Autos. Durch die geteilte Nutzung entsteht somit die Möglichkeit, das private Auto aufzugeben, mehr kollektiven Raum zu schaffen und gleichzeitig das Auto mit seinen Vorteilen nicht vollends zu verbannen. Das Resultat des Konzepts kommt allerdings erst zum Vorschein, wenn eine Mobilstation zu vielen Mobilstationen wird. Nur ein weites und vor allem dichtes Netz von Mobilstationen ermöglicht den praktischen Blick in eine Zukunft, in der der private PKW nicht mehr notwendig scheint. Die zwei Mobilstationen, die auf Basis von zivilgesellschaftlichem Engagement auf dem Ölberg eingerichtet wurden, fungieren demnach als Türöffner.
Doch an diesem Punkt enden die Möglichkeiten einer Mobilstation nicht. Sie muss nicht bloß Verkehrsknotenpunkt sein, sondern kann ihren teilenden und verbindenden Wirkungsbereich auch erweitern. Dafür bedarf es z.B. eines Quartierhubs. Ein Quartiershub ist als Erweiterung einer Mobilstation zu denken. Er ergänzt die Mobilstation als zentralen Ort der Mobilität, mit Angeboten die sich dem guten Leben im urbanen Quartier widmen. So wäre etwa eine Mobilstation denkbar, die um Regiomaten in denen regionales Essen erworben/abgeholt werden kann, Paketstationen, Reparaturwerkstätten oder Gastronomieangebote erweitert werden könnte.
»Das eigene Auto abzuschaffen ist der erste und schwierigste Schritt. Danach beginnt die Suche nach alternativen Möglichkeiten der Fortbewegung.«
Uwe Peter, zuständig für Quartierskommunikation bei »Neue Effizienz«
Da Mobilität immer kontextspezifisch und personenabhängig zu betrachten ist, wurden zwei Online-Quartierskonferenzen veranstaltet, im Rahmen derer das Konzept den Bewohner*innen des Ölbergs und der Mirke vorgestellt und anschließend debattiert wurde. Dabei wurde deutlich, dass der Wunsch nach einer Vielfalt von Mobilitätsangeboten grundsätzlich vorhanden ist, obwohl sich viele der Wuppertaler*innen weiterhin an die Idee des eigenen Autos klammern. Der Gedanke der notwendigen Veränderung ist also allgegenwärtig – sei es aus klimatischen oder räumlichen Gründen. Ansonsten droht ein langfristiges Abebben der Lebensqualität in den urbanen Quartieren. In dieser Frage der Mobilität unter gegenwärtigen Bedingungen mischt sich zukunftsgerichtete Einsichtigkeit mit gegenwartsverhafteter Notwendigkeit. Hier trifft demnach der zukunftsgerichtete Wunsch auf die gegenwärtige Alternativlosigkeit. Mobilitätswende gerne – aber wie? Es gilt daher die Notwendigkeit des privaten Autos durch das Angebot an realen Alternativen aufzulösen – z.B. durch Mobilstationen. Bei den Veranstaltungen wurde weiterhin deutlich, dass sich die Quartiersbewohner*innen Möglichkeiten der Organisation von privatem Car-/Lastenradsharing wünschen. Demnach könnten PKW-Inhaber*innen ihr eigenes Auto „teilen“, indem sie es im Rahmen einer irgendwie gearteten Plattform zeitweise zur Verfügung stellen. Eine solche Lösung würde auch Anwohner*innen in prekären finanziellen Situationen die Nutzung ermöglichen und einigen Autoinhaber*innen einen Stellplatz garantieren. Denn Carsharing ist in den meisten Fällen nicht teurer als der Unterhalt für ein privates Auto, doch für viele Wuppertaler*innen ist auch die Aufwendung finanzieller Mittel für herkömmliches Carsharing bloße Utopie. Darin zeigt sich auch das Bedürfnis nach nachbarschaftlichem Zusammenleben, als solidarische Art und Weise des Zusammenseins. Eine Mobilstation könnte in diesem Sinne als solidarisches Mittel fungieren, das Mobilität als kollektives Gut verständlich macht. Schlussendlich bleibt jedoch zu vermerken, dass die versöhnlichen Ergebnisse der Quartierskonferenz nicht grundlegend die Meinung aller Bewohner*innen widerspiegeln. Auf der Straße wird die Frage nach der Notwendigkeit des privaten PKWs oftmals noch mit der Unmöglichkeit der Abschaffung entgegnet. Das zeigt zum einen, dass die Utopie der Mobilstationen noch nicht für alle greifbar ist, zum anderen macht es aber deutlich, dass das bürgerschaftliche Engagement in Wuppertal im Bereich der Stadtentwicklung oftmals an einen spezifischen Habitus gebunden ist.
Das Projekt »Mobilstationen im Quartier« belässt es letztendlich nicht bei der Eröffnung eines Diskursraumes – denn eine dritte Mobilstation in der Nordstadt wird Realität. In den kommenden Monaten soll vorerst eine Einigung bzgl. des konkreten Standpunkts getroffen werden. Anschließend wird eine ortsspezifische Nachbarschaftskonferenz veranstaltet, um direkte Anwohner*innen zusammenzuführen und gemeinsam mit Ihnen unter Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse und konkreten Bedarfen eine Mobilistation zu errichten. Nach der Genehmigung und Abstimmung mit der Stadt soll bereits Ende 2022 eine weitere Mobilstation in der Nordstadt errichtet werden. Ein Quartiershub wird allerdings nicht während der Projektlaufzeit realisiert werden können. Es ist jedoch Ziel, ein Konzept für die Erweiterung von Mobilstationen zu erarbeiten, um die konkrete Realisierung in Wuppertal oder anderen Kommunen in den Raum des Möglichen zu verschieben.
Letztendlich gilt das Motto: Verkehrswende ja bitte. Aber dafür bedarf es Alternativen, die die Bedürfnisse der Nutzer*innen und Bewohner*innen erfüllen können. Mit dem Projekt »Mobilstationen im Quartier« schaffen die Projektorganisator*innen eine vielversprechende Antwort auf den Anschein der Alternativlosigkeit und rücken die Utopie der geteilten Mobilität in greifbare Nähe. Wenn du mehr über das Projekt erfahren möchtest, findest du auf der folgenden Homepage weitere Informationen (https://mobilstationen-im-quartier.de/).