Inside:Out | Ein queeres Zentrum in der Nordstadt

Die Geschehnisse der letzten Monate zeigen erneut, dass queeres Leben in Deutschland auch heute noch oftmals prekär ist. Immer noch müssen queere Menschen um ihre eigene Sicherheit fürchten, wenn sie sich in der Öffentlichkeit zeigen – selbst im Rahmen eigens organisierter Veranstaltungen. In einem solchen Klima braucht es selbstverwaltete Räume, in denen queere Menschen selbstverständlich und sicher sein können. In denen sie sich austauschen, organisieren und füreinander sorgen können. Mit der Eröffnung des „Inside:Out“ im August diesen Jahres, existiert solch ein Ort nun auch in Wuppertal. Genauer gesagt in der Hochstraße 60. Wir haben uns mit Christiane Freyer, Vorstandsmitglied des „Inside:Out – das queere Zentrum in Wuppertal e.V.“ getroffen, um mehr darüber zu erfahren.

Christiane Freyer hat eine Brille auf, trägt ein weinrotes Tshirt und eine blaue kurze Jeans. Sie steht vor einer bunten Wand und lächelt in die Kamera.
Christiane Freyer im Inside:Out | Foto von Wolf Sondermann

Christiane Freyer ist in Berlin geboren. Sie lebt allerdings seit über 20 Jahren in Wuppertal und arbeitet hauptberuflich als Laboringenieurin an der Bergischen Universität Wuppertal. Darüber hinaus engagiert sie sich in der queeren Szene Wuppertals. Seit 2008 ist sie im „Frauenzentrum Urania e.V.“ aktiv und inzwischen eine von drei Vorstandsvorsitzenden des „Inside:Out – das queere Zentrum in Wuppertal e.V.“.

An diesem Tag wagen wir uns über die Grenzen des Quartiers hinaus. Allerdings nicht weit – wir überqueren lediglich die Hochstraße und stehen vor dem ersten queeren Zentrum in Wuppertal: Inside:Out. Einst urige Eckkneipe, dann Brautmodengeschäft, seit ca. einem Monat queeres Zentrum. Hier treffen wir auf Christiane. Mit ihrer Berliner Schnauze heißt sie uns Willkommen und lädt uns auf ein Getränk an der hauseigenen Theke ein – wir kommen ins Gespräch.

Das Inside:Out ist ein Ort für queeres Leben. Falls dir der Begriff nicht geläufig ist: Queer [QUEER-LEXIKON] ist ein Wort, dessen einstige Bedeutung glücklicherweise nicht mehr gebräuchlich ist. Ursprünglich wurde es als abwertendes Wort für Menschen verwendet, die nicht heterosexuell leben/sind. Durch die diversen Kämpfe sozialer Bewegungen konnte das Wort jedoch wieder angeeignet und umgedeutet werden. Queer steht heute für eine Vielzahl von Realitäten. Es ist ein Sammelbegriff für eine Gruppe von Menschen, die ein breites Spektrum an Geschlechtsidentitäten und sexuellen Orientierungen verkörpern, und sich dadurch von heterosexuellen und cis-geschlechtlichen Normen [QUEER-LEXIKON] unterscheiden.

Ebenso vielfältig wie die Identitäten und Lebensrealitäten, die sich unter dem Begriff vereinen, ist auch das Inside:Out als ein vielschichtiger Raum der Möglichkeiten zu verstehen. In erster Linie fungiert er dabei als safer space (geschützterer Raum) für queere Menschen. Warum das notwendig ist? Weil queerfeindliche Diskriminierung die gesamte Gesellschaft durchzieht und die bloße Existenz manchmal zu einer sehr schwierigen Angelegenheit macht. Im Rahmen von safer spaces können queere Menschen existieren, ohne ihr Sein erklären zu müssen. Sie können sich mit anderen austauschen, einander beraten und gemeinsam organisieren. Das soll allerdings nicht implizieren, dass der Raum nur für Angehörige der queeren Szene zugänglich ist. Auch Menschen, die sich selbst nicht als queer verstehen, aber solidarisch zeigen, dürfen sich hier aufhalten. In diesem Sinne fungiert das Inside:Out auch als Raum des Lernens, des Engagements, der Organisation und der Vernetzung.

Wir besuchen das Inside:Out übrigens nur wenige Wochen nach der offiziellen Eröffnungsfeier. Dementsprechend sind sowohl die Räumlichkeiten, als auch die Angebote noch in der Findungsphase. Nachdem die Renovierungsarbeiten abgeschlossen sind, soll ein wöchentlicher offener Tag initiiert werden, an dem mensch sich hier ungezwungen begegnen kann. Darüber hinaus sollen längerfristig kulturelle Veranstaltungen umgesetzt werden. Bereits während der Renovierungsarbeiten ist das Inside:Out aber gut besucht. Die Räumlichkeiten, in denen auch das „Frauenzentrum Urania e.V.“ behaust ist, dient verschiedenen Vereinen als Tagungsraum.

Öffentliches queeres Leben findet in Wuppertal nämlich maßgeblich in diversen Vereinen statt. Bis vor ein paar Wochen fehlte es aber immer an Räumlichkeiten, die netzwerkübergreifend als Ort der Begegnung und des Austausches fungieren können. Geboren wurde die Idee hinter dem Inside:Out im Rahmen eines Runden Tisches mit diversen Akteur*innen der lokalen LGBTQIA+ Szene [QUEER-LEXIKON], der 2017 von der Stabsstelle Gleichstellung und Anti-Diskriminierung der Stadt Wuppertal initiiert wurde. Der Runde Tisch dient dem Austausch und der lokalen Vernetzung, ermöglicht aber auch Zusammenarbeit in Bezug auf Veranstaltungen wie dem Wuppertaler CSD und weiterführende Projekte. Im Zuge dieser Treffen wurde klar, dass es zwar vereinzelte Bereiche und Vereine für die LGBTQIA+ Community gibt, diese allerdings oftmals spezifischen Zwecken gewidmet sind. Es fehlte also ein Ort, an dem sich alle begegnen können. Angesichts leerer Taschen der Stadtverwaltung schien die Realisierung einer solchen Idee in weiter Ferne. Doch die Gruppen und Vereine schlossen sich zusammen und nutzten die Strukturen des „Bürgerbudgets“, um eine finanzielle Starthilfe für die Umsetzung ihrer Idee zu akquirieren. Ende 2019 wurde klar, dass das Konzept des „Inside:Out“ den 5. Platz belegte und somit 28.200 € für die Umsetzung des Projekts erhielt. Eine gebührende Summe, mit der sich arbeiten ließ. Bevor die Beteiligten dem Aktionismus verfallen konnten, kam jedoch das, was uns alle traf. Die anhaltende Pandemie ging natürlich nicht einfach an den bestehenden Plänen der Engagierten vorbei – sie durchkreuzte sie. Trotz der ungewissen Zukunft suchten sich die Beteiligten gemeinsam digitale Räume, um ihre Konzeption weiter auszuarbeiten. Aus einer Idee wurde ein Name geboren, eine Homepage eingerichtet, ein Verein gegründet und schlussendlich auch ein Zuhause gefunden. Seit August 2022 ist das Inside:Out damit nicht mehr bloß eine begehrte Idee – es ist Realität.

Das Bild zeigt Einblicke in das Inside:out. Im Hintergrund sitz Mosche an der Theke. Man sieht eine Couch, Pflanzen und dreieckige Wandpanele.
Einblicke in das Inside:Out | Foto von Wolf Sondermann

Dass es Räume geben muss, in denen queere Menschen sich begegnen können, ist selbstverständlich. Dass sie allerdings auch schützende Funktionen in sich tragen müssen, ist Produkt einer Gesellschaft, die ständige Gefährdung und Diskriminierung gegenüber Menschen hervorbringt, die nicht der Norm entsprechen. Christiane lädt deshalb dazu ein, Fragen zu stellen, um Verständnis zu ermöglichen. Nur, wenn sich große Teile der Gesellschaft mit queeren Menschen solidarisch zeigen und soziale Kämpfe miteinander verbunden werden, können Strukturen erwachsen, die menschliches Leben nicht mehr in ihre normierten Schubladen stecken – die Raum öffnen für all das Leben dazwischen und darüber hinaus. Christiane wünscht sich vor diesem Hintergrund vor allem, dass das Inside:Out als Ort verstanden wird, dessen Angebote auch außerhalb der queeren Szene wahrgenommen werden.

Das Inside:Out ist damit weit mehr als bloß ein weiterer Standort in Wuppertal. Es ist ein Raum, von dem aus wichtige Impulse gesendet werden, die bis in die Mitte der Gesellschaft gehört werden müssen. Denn letztendlich liegt es an uns allen zu lernen, aufeinander zuzugehen und gemeinsam eine Zukunft zu errichten, in der wir mit der Normierung, Gegenüberstellung und Unterdrückung brechen. Falls ihr selbst Teil des Inside:Out werden oder einfach nur mal vorbeischauen wollt, findet ihr alle Termine im Veranstaltungskalender auf der Homepage [INSIDE:OUT]. Wer handwerkliches Geschick mitbringt und bei den Renovierungsarbeiten helfen möchte, kann sich gerne via Email [MAIL INSIDE:OUT]melden. Darüber hinaus gibt es an jedem 1. und 3. Mittwoch des Monats von 18 – 20 Uhr die Möglichkeit des Kennenlernens und der Beteiligung vor Ort, ohne sich direkt zur weiteren Mitarbeit verpflichten zu müssen.

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