Hinterhof-Flohmarkt im Quartier | Nachbarschaft lebendig werden lassen
Am vergangenen Sonntag, dem 08. September 2024, fand die zweite Ausgabe des Hinterhof-Flohmarkts im Mirker Quartier statt. Zahlreiche Besucher*innen und Nachbar*innen schlenderten bei angenehm spätsommerlichen Temperaturen durch die Straßenzüge des Quartiers und entdeckten, angetrieben von der Suche nach Kuriositäten und neuen Lieblingsstücken, 71 Orte im Viertel auf eine ganz besondere Weise. Auch wir waren dabei und haben unsere Eindrücke für euch festgehalten.
Ein leichter Luftzug zieht durch die Straßen. Kinder sitzen auf der steinernen Fensterbank eines ehemaligen Ladenlokals und verkaufen altes Spielzeug. Menschen stehen auf dem Bürgersteig, essen Pommes und unterhalten sich. In einem Hinterhof thront ein steinerner Elefant, dessen Preis verhandelbar ist. Nur wenige hundert Meter weiter bietet ein Kind selbstgebastelte Kastanienfiguren und alte Bücher an. An der Hausfassade hängt ein handgeschriebener Zettel, auf dem „Olek“ den Flohmarkt ankündigt. „Top-Adresse“. Gelbe Postboxen voller Bücher säumen eine backsteinerne Wand. Musik schallt durch die Straße und wird von lautem Lachen unterbrochen. Kinderkleidung, neben Spielsachen, neben Büchern. Zwei bunte Teppiche mitten auf einem fast vergessenen Platz. Stöbernde Gesichter zwischen Vintage-Kleidung für ein paar Euro. Bei den Nachbarn gibt es selbstgebackenen Kuchen und gezuckerten Çay. „Smash“. Über die Freifläche dröhnt elektronische Musik. Klebrige Finger von geschmolzenem Zitroneneis. Ein hechelnder Hund kühlt sich im Schatten ab. Zwei Menschen zeigen sich lachend ihre Flohmarktfunde.
Der vergangene Sonntag war all dies und noch viel mehr: Ein Sammelsurium von Eindrücken, die uns sonst selten so lebendig offenbart werden. Denn wie bereits im letzten Jahr nutzte der Flohmarkt nicht einfach einen öffentlichen Platz als Austragungsort, sondern lud die Bewohner*innen des Viertels dazu ein, ihre privaten Hinterhöfe, Flure und Gärten als Begegnungsräume zu öffnen. Dieses Erfolgsrezept, das Florian Fuchs sich 2023 von Karo, Katha und Cathy aus dem Brill entlieh und gemeinsam mit dem Kommunikationsdesigner Jacob Economou sowie weiteren Beteiligten im Mirker Quartier umsetzte, funktionierte auch in diesem Jahr. Innerhalb weniger Wochen meldeten sich über 70 Orte, an denen Anwohner*innen ihre Verkaufsstände eröffneten – 30 mehr als im Vorjahr. Der Flohmarkt zog erneut in das Viertel ein und verlagerte die sozialen Interaktionen in die Vielfalt privater Räume. Das reduzierte nicht nur den Organisationsaufwand, sondern belebt vor allem ein Phänomen, das heute oft nur noch als Hülle seiner selbst existiert – Nachbarschaft.
Das lebendige Miteinander auf dem Flohmarkt erinnert an Zeiten, in denen Nachbarschaft eine gelebte Beziehung war – geprägt von räumlicher Nähe und gegenseitiger Solidarität. Menschen teilten ihre Lebensräume, lernten sich kennen und unterstützten sich in der Überwindung der Hürden des alltäglichen Lebens. Doch im Laufe der Jahrzehnte hat sich dieses Konzept verändert. Aufgrund diverser Entwicklungen sind wir heute weniger stark an unsere Umgebung gebunden und Nachbarschaft ist daher oft nur noch ein zufälliges Merkmal unseres Wohnortes. Der Flohmarkt bietet jedoch einen niederschwelligen Anlass, uns wieder auf unsere Nachbar*innen einzulassen, uns zu organisieren und die geteilte Verantwortung für unseren gemeinsamen Raum wahrzunehmen. Uns eint der Raum, den wir beleben. Gemeinsam können wir uns die Frage stellen, wie wir mit unseren Räumen umgehen wollen und wie sie unseren Zielen dienlich gemacht werden können. Auch wenn die Antworten auf diese Fragen individueller Erörterung bedürfen, so ist doch klar, dass der Prozess des Suchens nach einer kollektiven Antwort Momente schafft, die unsere Beziehungen, unser Dasein und unser Selbstverständnis verändern. Was sich nach großem Gerede anhören mag, zeigt sich durch den Flohmarkt bereits ganz konkret in seinen Anfängen. Einfache Aktionen, wie das gemeinsame Stöbern, das Teilen von Essen oder das Gastgeber*innensein verwandeln unser Quartier und unsere Perspektiven darauf. Sie offenbaren uns, dass das Mirker Quartier weit mehr ist als die Ansammlung seiner steinernen Straßen und Häuser.
Natürlich hoffen wir auch im nächsten Jahr auf eine weitere erfolgreiche Ausgabe des Hinterhof-Flohmarkts. Doch die Erfahrungen des vergangenen Wochenendes sollten uns dazu inspirieren, unsere Räume und Beziehungen auch im Alltag zu teilen. Bleiben wir in Kontakt, helfen wir einander und machen wir Nachbarschaft zu einer gelebten Praxis – nicht nur einmal im Jahr, sondern jeden Tag.
Fotos von Judith Kolodziej (@siebterfebruar)