Geschlossene Gesellschaft | Im Interview mit Fotografin Caroline Schreer
Geschlossene Gesellschaft. Feierabend. Stühle hoch. Licht aus. Tür zu.
So oder so ähnlich erging es vielen der Wuppertaler Gastronom*innen. Im Rahmen der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie und der damit einhergehenden notwendigen physischen Distanzierung verschlossen alle Gastronom*innen im Stadtgebiet spätestens ab dem 18. April ihre Türen. Das bedeutet nicht nur keine Möglichkeit mehr ein Getränk im Lieblingslokal zu sich zu nehmen, sondern auch bedrohte Existenzen der Gastronom*innen und deren Angestellten. Die Wuppertaler Fotografin Caroline Schreer thematisiert die Lage der Gastronom*inne in ihrer Reihe „Geschlossene Gesellschaft“ und verpasst damit der Krise ein Gesicht das nicht überblickt werden kann. Wir haben uns mit ihr getroffen um mehr über die Reihe, ihre Erfahrungen und Motivation zu sprechen.
Caroline Schreer ist freie Fotografin. Die ursprüngliche Rheinländerin trieb es Ende der 1990er Jahre im Rahmen ihres Kunststudiums in die Talstadt und inzwischen will sie hier nicht mehr weg. Seit ein paar Jahren arbeitet sie in ihrem Gemeinschaftsstudio in der Mirker Straße (Studios Mirke).
Die Beginne der physischen Distanzierung versetzten viele Wuppertaler*innen in einen Moment der Unbeholfenheit. Das resultierte in fast menschenleeren Straßenzügen, einer leeren Nordbahntrasse und abgeflatterten Spielplätzen. Nachdem der erste Schock überwunden wurde, traf auch Caroline sich wieder mit ihrer engsten Freundin. Aufgrund der Schließung der eigenen Lieblingsbar schlenderten sie gemeinsam mit einem Kioskbier durch die Elberfelder Nordstadt. Dabei kam Caroline die Frage in den Sinn, wie es eigentlich hinter den Türen ihrer Lieblingslokale aussieht? Wie geht es den Menschen die anderen sonst unvergessliche Abende voller Beisammensein und Genuss bereiten? Wie sehen diese Orte ohne Leben aus, dass sie füllt? Caroline entschied sich dazu diese Fragen im Rahmen der Reihe „Geschlossene Gesellschaft“ anzugehen und künstlerisch aufzuarbeiten. Gedacht, gemacht, fragte sie bei verschiedenen Wuppertaler Gastronom*innen an und stieß auf offene Türen. Zehn Tage später das Ergebnis: 8 Porträts aus verschiedenen Wuppertaler Lokalitäten, die für sich sprechen.
Als Caroline die Arbeit zum Projekt „Geschlossene Gesellschaft“ aufnahm, waren die Lockerungen bereits wieder in greifbarer Nähe. Trotz alledem entschied sie sich dazu, dass Projekt umzusetzen um eine Momentaufnahme in der Krise zu erschaffen. Damit einher ging auch die Angst davor, die Gastronom*innen in einer Situation zu ertappen, in der sie nicht gesehen werden wollen. Doch Carolines Befürchtungen wurden nicht bestätigt. Die porträtierten Gastronom*innen freuten sich viel mehr darüber, dass ihnen durch die Arbeit ein Gesicht gegeben und damit auch Gehör verschafft wird. Dadurch entsteht ein nahbares Bild, dass die Schicksale und Situationen der Gastronom*innen thematisiert bzw. abbildet ohne diese vorzuführen.
Die Wuppertaler Fotografin denkt ihre Arbeiten, die im Rahmen des Projekts „Geschlossene Gesellschaft“ entstanden sind, als eine Reihe. Sie wirkt damit weniger als Repräsentation von Einzelschicksalen, sondern vielmehr als Präsentation von vielen Schicksalen, die sich in einer gemeinsam nicht selbstverschuldeten Krise wiederfinden. Das schafft Raum für notwendige Vernetzung und Solidarität die insbesondere in den Krisenzeiten unerlässlich scheint. Letztendlich stehen eben alle Gastronom*innen vor denselben existenziellen Fragen und Hürden. Obwohl alle sich räumlich voneinander distanzieren, wird der Wunsch nach Gemeinschaft und einem nicht-physischen Zusammenrücken immer größer.
Aber auch für Caroline bürgen die neuen Umstände in gewisser Weise ein Potential in sich. Die magere Auftragslage in Kombination mit den besonderen Umständen führte dazu, dass sie ihre Kreativität und ihren fotografischen Blick in neuartige freie Projekte fließen lässt. Platz für ihre eigene Ästhetik, ihr Bauchgefühl und die Liebe zur Begegnung machen die Reihe auch zu einem ganz persönlichen Ausdruck ihres Tuns. „Geschlossene Gesellschaft“ ist persönlich und politisch zu gleich, regt zum Nachdenken an und schafft eine Nähe zwischen Betrachter*in und Subjekt des Bildes, der man sich nicht entziehen kann.
Doch die bereits durchgeführten Lockerungen scheinen die Notwendigkeit und Wichtigkeit von Carolines Arbeit zurückzustellen. In der Lebensrealität der Wuppertaler Gastronom*innen aber wäre es wohl naiv anzunehmen, dass die herrschenden Lockerungen die entstandenen Probleme der Gastronom*innen verschwinden lassen würde. Viele der Wuppertaler Gastronom*innen finden sich jetzt in einer Situation wieder in der sie ihre Läden zwar unter Auflagen öffnen dürfen, die Wirtschaftlichkeit unter gegebenen Maßnahmen jedoch enorm leidet. Das suggeriert nach außen hin zwar ein normal-anmutendes Bild, viele der Gastronom*innen aber sind nach wie vor in ihrer Existenz bedroht.
Ob Caroline die Arbeiten in naher Zukunft ausstellen wird, steht wohl noch in den Sternen. Klar ist aber, dass die Reihe ein Zeitdokument darstellt, das in den kommenden Jahren an Wirksamkeit gewinnen wird. Falls du mehr über Caroline Schreer oder ihre Arbeiten erfahren möchtest, dann schau hier auf ihrer Homepage, oder auf ihren Social Media Kanälen vorbei (Facebook | Instagram).
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