Queering the City | Geschlechtergerechte Stadtgestaltung auf dem Podium
Städtische Räume sind Orte, die wir tagtäglich durchqueren – doch unterscheiden sich die Arten und Weisen, wie wir das tun können. Denn geschlechtliche, sexuelle und soziale Zuschreibungen beeinflussen stark, wie sicher und frei sich Menschen in einer Stadt bewegen können. Das liegt daran, dass die herkömmliche Stadtgestaltung einer heteronormativen und patriarchalen Norm folgt: Öffentliche Räume werden dabei so konzipiert, dass sie vor allem den Bedürfnissen von cis-männlichen, heterosexuellen und oft nicht-behinderten Menschen gerecht werden. Für FLINTA-Personen (Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nicht-binäre, trans und agender Personen) und queere Menschen bedeutet das, dass ihre Lebensrealitäten vernachlässigt und sie somit in der Nutzung des Stadtraums einschränkt werden. Kira Sandrock und Anna Nill haben 2023 das Projekt „Queering the City“ ins Leben gerufen, um diese Strukturen zu hinterfragen und eine geschlechtergerechte Stadtgestaltung zu fördern. In vielfältigen Veranstaltungsformaten zeigen sie auf, wie tief heteronormative und patriarchale Strukturen in die Gestaltung unserer Städte eingeschrieben sind. In diesem Kontext fand am 07. November 2024 eine Podiumsdiskussion im LOCH statt, bei der Expert*innen die Problematik heteronormativer und patriarchaler Stadtgestaltung vertieften und gemeinsam Perspektiven für eine gerechtere und inklusivere Stadtplanung entwickelten. Wir haben die Grenzen des Quartiers verlassen, um diesen Perspektiven Gehör zu verschaffen.
Kira Sandrock und Anna Nill haben das Projekt „Queering the City“ 2023 im Rahmen ihres Masterstudiums „Public Interest Design“ an der Bergischen Universität Wuppertal ins Leben gerufen. Nachdem sie im Sommer 2023 eine queer-feministische Stadtkarte von Wuppertal unter dem Titel „Stadtkaleidoskop“ [LINK] erarbeiteten, setzen sie sich seitdem mit geschlechtergerechter Stadtgestaltung und konkreten städtischen Strukturen und Räumen auseinander. Neben einer partizipativen Ausstellung auf dem Laurentiusplatz anlässlich des feministischen Kampftages am 08. März 2024 [LINK], veranstalten sie fortlaufend Stadtspaziergänge [LINK], die die Auswirkungen heteronormativer und patriarchaler Stadtgestaltung darstellen, sowie die Diskussionsrunde am 07. November 2024 im LOCH.
Urbane Räume sind Orte der Begegnung und Bewegung. Doch wie wir städtische Räume erleben und wie wir in ihnen behandelt werden, ist maßgeblich durch gesellschaftliche Prozesse und Dynamiken bestimmt, die nicht nur unser Verhalten und unsere Wahrnehmung beeinflussen, sondern auch die uns umgebenden baulichen Strukturen. Die gegenwärtige Perspektive auf urbane Räume und deren Planung ist auch heute oft durch z.B. heteronormative und patriarchale Strukturen geprägt, die bestimmte soziale Normen und Lebensweisen als universell und selbstverständlich darstellen. Dieser vorherrschende Blick, der insbesondere cis-männliche, nicht-behinderte, weiße und heterosexuelle Perspektiven privilegiert, erscheint dabei als „unsichtbar“ oder „objektiv“ und wird kaum hinterfragt. So wird die Stadt häufig für eine sehr bestimmte Bevölkerungsgruppe gestaltet, während Menschen, die von dieser Norm abweichen, in ihrer Nutzung des urbanen Raums eingeschränkt oder gar ganz davon ausgeschlossen werden. Die Konsequenzen dieser einseitigen Stadtplanung sind vielfältig und ziehen oftmals gewaltvolle Resultate mit sich. So erfahren primär FLINTA-Personen und queere Menschen, die abseits der Norm existieren, häufiger Diskriminierung und Barrieren – sei es durch mangelhafte Infrastruktur oder fehlende Sicherheitsprävention. Es ist daher umso wichtiger, städtische Räume auch aus Perspektiven jenseits heteronormativer und patriarchaler Horizonte zu betrachten und eine Stadtgestaltung zu praktizieren, die sich tatsächlich an den vielfältigen Bedürfnissen und Lebensrealitäten der Bewohner*innen orientiert. Die Frage lautet daher: Wie können wir unserer Städte so gestalten, dass die diversen Bedürfnisse aller Stadtnutzer*innen berücksichtigt werden, um Räume zu gestalten, die zugänglich, sicher und lebenswert sind?
Ein zentraler Ansatzpunkt liegt in einer geschlechtergerechten Stadtgestaltung – ein Ansatz der in Wuppertal breitere Verwendung finden sollte. Der Überzeugung sind auch Anna und Kira, die am 07. November 2024 im Rahmen ihres Projekts „queering the city“ eine Diskussionsrunde und Ausstellung im LOCH initiierten. Auf dem Podium wurden sie von Expert*innen rund um das Thema geschlechtergerechte Stadtgestaltung und der Stadtverwaltung begleitet: Jana Eckelt ist Architektin, Expertin für feministische Stadtplanung und engagiert sich in Landau für Gleichstellungsthemen. Konstantin Michaelis arbeitet in Bielefeld in der Antidiskriminierungsarbeit mit Schwerpunkt auf Queerfeindlichkeit und Rassismus und vernetzt sich dafür bundesweit mit Selbstorganisationen. Saskia Kretschmer ist Soziologin und promoviert derzeit zu geschlechtsspezifischer Wahrnehmung des öffentlichen Raumes. Sie war im Rahmen des Projekts „Kooperation Sicherheit am Döppersberg“ an der Gestaltung des Bahnhofvorplatzes beteiligt. Anouchka Strunden ist freiberufliche Urbanistin und Kulturmanagerin und setzt sich in Workshops für intersektionale Stadtperspektiven ein. Sie ist Mitherausgeberin des Magazins „Die Stadtführer*in“. Tobias Ringel studierte Geografie und arbeitet seit fünf Jahren bei der Stadtverwaltung Wuppertal im Ressort Stadtentwicklung und Städtebau. Seit 2022 koordiniert er dort das Projekt „InnenBandStadt“.
Im Rahmen der Podiumsdiskussion zur geschlechtergerechten Stadtgestaltung wurden exemplarisch Herausforderungen und Lösungsansätze für die Gestaltung von inklusiven und sicheren öffentlichen Räumen diskutiert. Ein wichtiges Argument betraf dabei die Sicherheit im öffentlichen Raum: Die Teilnehmer*innen betonten, dass Sicherheitsgefühle stark davon abhängen, wie gut ein Ort beleuchtet ist, ob Fluchtwege vorhanden sind und wie viele Menschen als potenzielle Hilfe vor Ort sind. Saskia Kretschmer hob darüberhinaus auch hervor, dass eine wirksame Stadtgestaltung verschiedene Maßnahmen kombinieren muss, da Sicherheitsbedürfnisse nur dann erfüllt werden können, wenn sowohl bauliche als auch soziale Aspekte bedacht werden – ein sicherer, aber menschenleerer Ort bietet wenig Schutz. Daher braucht es auch eine gelingende Nutzungsdurchmischung und Diversifizierung urbaner Räume. Ein weiterer Schwerpunkt lag auf der (Un-)Sichtbarkeit marginalisierter Gruppen im öffentlichen Raum. Konstantin Michaelis erläuterte, dass die Unsichtbarmachung nicht-normativer Lebensweisen zur Diskriminierung beiträgt und dass es wichtig ist, verschiedene Lebensrealitäten sichtbar zu machen, damit z.B. Fördergelder für queere Anliegen beantragt und politische Forderungen gestellt werden können. Gleichzeitig bietet die Unsichtbarkeit manchmal auch Schutz, etwa für queere Menschen, die in bestimmten Räumen ungeoutet bleiben möchten. Eine geschlechtergerechte Stadtgestaltung muss daher eine Balance finden, die Sichtbarkeit schafft, ohne den notwendigen Schutz im Status Quo zu gefährden. Als weiterer zentraler Aspekt wurde die öffentliche Toiletteninfrastruktur als Maßnahme geschlechtergerechter Stadtplanung diskutiert. Hier betonte Jana Eckelt, dass FLINTA-Personen besonders unter der Knappheit und schlechten Ausstattung öffentlicher Toiletten leiden. Da es oft zu wenige Sitztoiletten gibt, die viele FLINTA-Personen bevorzugen, und diese selten kostenfrei oder ausreichend hygienisch sind, meiden Betroffene den Toilettengang im öffentlichen Raum. Das führt laut Eckelt dazu, dass FLINTA-Personen teilweise weniger Flüssigkeit zu sich nehmen, um Toilettengänge zu vermeiden, was wiederum gesundheitliche Risiken birgt. Zudem wird der spezifische Bedarf von menstruierenden Personen bei der Planung öffentlicher Toiletten noch immer kaum berücksichtigt.
Geschlechtergerechte Stadtgestaltung ist schlussendlich aber nicht bloß eine Frage der Inhalte – sie ist zudem eine Frage der Realisierung. Denn wie Anouchka Strunden anhand einiger historischer Beispiele aufzeigt, sind die ersten feministischen Konzepte und Ideen geschlechtergerechter Stadtgestaltung bereits vor über 100 Jahren entwickelt worden. Es mangelt daher nicht an fehlendem Wissen, sondern am Willen, dieses Realität werden zu lassen. Tobias Ringel betont, dass sich immer mehr Kommunen, wie auch Wuppertal, Mühe geben, Bürger*innen durch Beteiligungsverfahren in die Stadtgestaltung einzubeziehen, doch die weiteren Podiumsteilnehmer*innen sind sich einig, dass gerade marginalisierte Stimmen dabei zumeist ungehört bleiben. Das liegt laut der Expertisen vor allem an dem passiven Modus der Bürgerbeteiligung, in dem Bürger*innen dazu eingeladen werden, an der Stadtgestaltung teilzuhaben, die Stadtverwaltung es jedoch versäumt, proaktiv marginalisierte Gruppen einzubeziehen. Um geschlechtergerechte Stadtgestaltung Wirklichkeit werden zu lassen, muss die Stadtverwaltung sich aktiv darum kümmern, diverse Perspektiven und Anliegen zu versammeln.
Um sich der Realisierung einer geschlechtergerechten Stadtgestaltung anzunähern haben Kira und Anna sich im Rahmen eines Workshops zwei Wochen vor der Podiumsdiskussion mit Teilnehmer*innen mit konkreten Anliegen in Wuppertal beschäftigt. Gemeinsam haben sie mit einer macht- und diskriminierungskritischen Perspektive die Stadt erkundet, Barrieren identifiziert und in Kleingruppen kreative Lösungsideen entwickelt, wie diese Hindernisse abgebaut werden können. Darunter z.B. das Projekt von Jana, die gemeinsam mit weiteren Teilnehmer*innen die Idee eines Awarenessteams entwickelt hat, das dem Sachverhalt entgegnen soll, dass FLINTA-Personen im öffentlichen Raum besonders nachts Opfer von Gewalt werden und viele Räume mit Angst und Gefahr assoziiert werden. Ein Awarenessteam könnte z.B. am Wuppertaler Hautbahnhof als feste Ansprechstruktur fungieren, um Übergriffe zu verhindern und ein Gefühl der Sicherheit zu verankern. Da diese Idee jedoch mit erheblichen Kosten und Personalaufwand verbunden ist, haben die Teilnehmer*innen zudem die Idee entwickelt, dass am Hauptbahnhof ein Ort markiert werden könnte, an dem sich FLINTA-Personen nachts bei der Durchreise gemeinsam versammeln können, um einen sichereren Raum zu gestalten. Diese und viele weitere Projektideen sind an diesem Abend im Rahmen einer Ausstellung im LOCH einsehbar.
Anna, Kira und die anderen Workshopteilnehmer*innen sind sich jedoch einig, dass es auch das proaktive Engagement der Stadtverwaltung braucht, um Wuppertal geschlechtergerechter zu gestalten. Daher haben sie gemeinsam ein Konzeptpapier entwickelt, das unter den Punkten Aufklärung und Diskursförderung, Teilhabe und politische Partizipation, Sicherheit und Sicherheitsgefühl, Sichtbarkeit und Anerkennung, Freizeitangebote und soziale Inklusion, Sanitäranlagen, Care-Arbeit, Mobilität, Gesundheit und Wohlbefinden und Empowerment und Selbstbestimmung eine geschlechtergerechte Vision für Wuppertal eröffnet [Queering the City]. An diesem Abend wird das Konzeptpapier durch Kira und Anna symbolisch an Martina Völker, die stellvertretende Stabstellenleitung des Teams „Gleichstellung und Antidiskriminierung“ der Stadt Wuppertal, übergeben. Jetzt liegt es auch an der Stadtverwaltung, weitere Schritte zu initiieren.
An diesem Abend wird erneut deutlich, dass der Weg vor uns noch ein langer ist. Doch die Stadtgesellschaft kann sich glücklich schätzen, dass es Menschen wie Anna und Kira gibt, die stetig daran arbeiten, einen Fuß vor den anderen zu setzen und für ihre Überzeugungen konsequent einzustehen. Die Veranstaltung macht darüber hinaus immer wieder deutlich, dass neben Geschlecht und Sexualität viele weitere Differenzkategorien existieren, die unser Erleben von Stadt beeinflussen. Alte Menschen erleben andere Barrieren als junge Menschen, migrantisierte Menschen erleben Orte anders als Menschen ohne Migrationszuschreibung. Um diese Differenzen anzuerkennen, müssen wir die Perspektiven von Betroffenen intersektional analysieren und strukturell verstärken. Nur so können wir ein Wuppertal schaffen, dass keine Lebensrealität mehr ausschließt. Bis wir in einem solchen Wuppertal leben können, müssen viele weitere dieser Veranstaltungen folgen. Doch ein erster Stein ist gelegt.
Foto von Judith Kolodziej (@siebterfebruar)
Wort von Max-Mosche Kohlstadt (@dermosche)