Utopiastadt Workout | die ehrenamtliche Sanierung des historischen Bahnhofsgebäudes
Wer in den letzten Wochen an Utopiastadt vorbeilief, dem dürfte aufgefallen sein, dass sie hinter einer schwarzen Plane verschwunden ist. Das ist keine Referenz zu den Werken des verstorbenen Künstlers Christo, sondern das Erreichen eines weiteren Bauabschnitts. Einem historischen Gebäude wie dem ehemaligen Mirker Bahnhof neues Leben einzuhauchen, dauert das seine Zeit – bedarf aber auch Menschen, die diese aufbringen. Alex und Niklas sind zwei der vielen Menschen, die ihre Zeit der Sanierung des historischen Bahnhofsgebäudes widmen, in dem Utopiastadt vor circa 10 Jahren ein neues Zuhause fand. Als hauptamtliche und ehrenamtliche Mitarbeiter organisieren und leiten sie die wöchentlichen Workouts, im Rahmen derer Ehrenamtler*innen sich an der Sanierung des Hauses ausprobieren können. Hier wird Woche für Woche gelernt, gewerkelt, saniert, gepflegt, gelacht und debattiert. Wir haben uns als leidenschaftliche Utopisten, anlässlich der Einrüstung des Gebäudes, mit den beiden auf einen Kaffee getroffen um mehr über das Workout, anstehende Bauschritte und ihre Motivation dahinter zu erfahren.
Alexander Netterdon (Alex) ist Student der Medizintechnik und seit geraumer Zeit Teil Utopiastadts. Bevor er in der Sanierung aktiv wurde, arbeitete er lange im Hutmacher. Inzwischen ist er seit 1 1/2 Jahren hauseigener Polier. In dieser Rolle fungiert er als Bindeglied zwischen den ehrenamtlichen Helfer*innen der Sanierung, den Architekt*innen und den Fachbetrieben, die an der Sanierung beteiligt sind. Niklas Brandau – zuweilen auch als Häuptling bekannt – ist eigentlich Landwirt, arbeitete aber in den letzten Jahren als Sozialarbeiter bevor er hauptberuflich Utopist wurde. Seitdem kümmert er sich um die Koordination der Utopiastadt Campus Raumstation und organisiert ehrenamtlich gemeinsam mit Alex die wöchentlichen Utopiastadt Workouts.
Aber was genau ist eigentlich dieses Workout und warum verbringen Utopist*innen ihre Freizeit mit ehrenamtlicher Arbeit? Als das Projekt Utopiastadt vor circa 10 Jahren ein Zuhause im ehemaligen Mirker Bahnhof fand, hatte das Gebäude bereits den Glanz seiner Erbauung im vorletzten Jahrhundert verloren. Stetig wechselnde Nutzungen, lange Episoden des Leerstandes und die Einflüsse der Naturkräfte setzten dem Gebäude nach und nach zu. Dem wollten die Utopist*innen entgegenwirken und hielten über die letzten Jahre monatliche Veranstaltungen ab, im Rahmen derer sie das Bahnhofsgebäude in Schuss hielten. Währenddessen beantragten sie Fördermittel zur Instandsetzung und Sanierung des denkmalgeschützten Gebäudes. Nach langen Jahren des Bestreitens der bürokratischen Wandelgänge der verwalteten Welt wurde die Finanzierung vor knapp zweieinhalb Jahren bewilligt. Dem Startschuss für die Sanierung stand nun nichts mehr im Wege. Bis auf ein paar Monate Planung und knapp 400.000 € – der 10 prozentige Eigenanteil der Finanzierung, den die Utopist*innen erbringen mussten. Doch statt unter dieser horrenden Summe zusammenzubrechen, arbeiten die Utopist*innen einen Anteil des Betrags mit ihren Ehrenamtsstunden in der Sanierung ab. Für diesen Zweck wurde das Utopiastadt Workout ins Leben gerufen, dass jeden Samstag stattfindet und die Energie der ehrenamtlich Helfenden auf die Sanierung richtet.
Mit 70 % stellt die Aufarbeitung der historischer Elemente den größten Anteil des Eigenanteils der Sanierung dar. Das entspricht ca. 80 historischen Fenstern, Türen und vergleichbaren Bauteile in verschiedenen Größen, die von ihrem Lack befreit, abgeschliffen und neu lackiert werden müssen. Damit die Ehrenamtler*innen, ob mit oder ohne Expertise, dazu befähigt werden, haben Alex und Niklas gemeinsam mit Fachbetriebler*innen Anleitungen zur Fenstersanierung erstellt. Aber auch vor Ort werden sie bei der Umsetzung unterstützt. Im Rahmen der Workouts bietet sich für Helfer*innen die Möglichkeit, sich an und in verschiedenen handwerklichen Tätigkeiten oder der Nutzung von Maschinen auszuprobieren und ihr Repertoire zu erweitern. Dabei steht ganz besonders das Gemeinschaftsgefüge der Ehrenamtler*innen im Fokus der Samstage. Bei der Gruppe der aktiven Helfer*innen handelt es sich nicht um eine homogene und geschlossene. Hier wird ein niederschwelliger Zugang und Begegnung auf Augenhöhe großgeschrieben, denn alle profitieren von der Vielfalt der Menschen, die den Bahnhof mit sanieren – sowohl in Bezug auf den Baufortschritt als auch in Bezug auf das Zwischenmenschliche. Neue Ehrenamtler*innen werden herzlichst und ehrlich begrüßt, kommen im Prozess der Sanierung in Kontakt und lernen so mit- und voneinander. Nach getaner Arbeit setzt man sich gerne bei einem Getränk der Wahl zusammen, schmeißt den Grill an, lernt sich kennen und spricht über Alltägliches – solch ein Zusammenkommen kann sich auch schonmal bis in die späten Abendstunden ziehen. Inzwischen hat sich daher ein immer größer werdender Kreis an Ehrenamtler*innen gebildet, der die Sanierung mal schneller und mal langsamer vorantreibt. Genauso vielfältig wie die Menschen, die sich hier engagieren, sind übrigens die Tätigkeiten, die im Rahmen der Workouts umgesetzt werden. Manchmal werden Dächer abgerissen, mal Löcher gebuddelt und mal seelenruhig Fenster abgeschliffen.
Die anhaltende Pandemie hat den Prozess des Workouts maßgeblich beeinflusst. So wurde es in den letzten Monaten vermieden, öffentlich zum Workout einzuladen, um Gruppenbildung und engen Kontakt zu vermeiden. Kleingruppen von Ehrenamtler*innen haben die Sanierung jedoch unter Einhaltung von Hygienemaßnahmen vorangebracht. Seitdem die Testmöglichkeiten in Wuppertal ausgebaut wurden und auch das Testzentrum in Utopiastadt eröffnete, bekommen die Ehrenamtler*innen kurzfristig und kostenfrei die Möglichkeit sich vor Beginn des Workouts testen zu lassen. Im Zuge dieser Maßnahmen gab es über den gesamten bisherigen Verlauf der Pandemie keine einzige Infektion unter den Beteiligten. Das ist selbstverständlich kein Freifahrtsschein für größere Menschenansammlungen oder ersetzt das Tragen einer Maske, verspricht jedoch ein wenig mehr Sicherheit bei der Arbeit in Kleingruppen. Seit Anbeginn der Sanierung konnte durch die ehrenamtliche Hilfe der gesamte Westflügel entkernt werden. Dieser Gebäudeabschnitt behauste die ehemalige Bahnhofsvorsteherwohnung und den gesamten ehemaligen Wartesaal 1. Klasse. Wochenende für Wochenende wurde hier Mobiliar umgeräumt, Putz abgeschlagen, Schutt verräumt, historische Bauelemente abgesichert, Betonschichten vom Steinwerk und technische Gebäudeausstattung entfernt.
Alex und Niklas packen zwar gerne an, haben jedoch keine fachliche Ausbildung in diesem Bereich. Darin gleichen sie vielen der ehrenamtlichen Helfer*innen, die zu großen Teilen als lernbereite Laien zum Workout stoßen. Aber wie sind die zwei überhaupt an diesen Punkt geraten? Wenn man Utopist*innen nach Alex fragt, wird man wohl die Antwort bekommen er sei Vollblututopist seit Tag eins. Als er vor knapp 8 Jahren begann im Hutmacher zu arbeiten, konnte er sich nur schwer ausmalen, dass er heute in seiner Rolle als Polier mit großen Schritten die Sanierung des Bahnhofsgebäudes voranbringen würde. Dass es hierzu kam, schreibt er vor allem seinem Herzblut und seiner Beharrlichkeit zu, mit der er sich in den letzten Jahren im Projekt engagierte. Neben fachlichem Know-how lernte er laut eigener Aussage vor allem das strukturierte Arbeiten in anhaltenden Prozessen und Verantwortung zu übernehmen. Dabei muss man bemerken, dass die hauptsächlich ehrenamtlich getragenen Strukturen Utopiastadts zwar Raum für stetige Neuerfindung eröffnen, zu weilen aber auch recht hemmend und zehrend wirken können. Das liegt nicht zuletzt an den Kapazitäten der einzelnen Akteur*innen, die durch Lohnarbeit und Freizeit natürlich eingeschränkt sind. Trotz alledem haben Alex wie auch Niklas diesen Prozess lieben gelernt, schätzen die niederschwellige Möglichkeit der Partizipation bzw. das Recht auf Mitsprache und versuchen sie stetig aufrechtzuerhalten. Übrigens ist auch Niklas bereits seit geraumer Zeit Utopist. Neben der ehrenamtlichen Sanierung und dem Management der Campusflächen ist er außerdem „Häuptling“ des Utopiastadt Gartens und setzt sich darüber hinaus mit Ernährung im utopischen Kontext auseinander. Der Schlüssel zum Erfolg der beiden ist laut eigenen Aussage übrigens die alltägliche Geduld und Verstetigung ihrer Aufgabenbereiche.
Trotz der großen Fortschritte, ist die ehrenamtliche Sanierung durch die Pandemie in Verzug gekommen. Gerade deswegen ist die Unterstützung durch neue Freiwillige und zukünftige Utopist*innen notwendiger den je. Falls du also Lust hast auch mal handwerklich auszuprobieren oder in einem alternativen Rahmen neue Menschen kennenzulernen, dann meldet dich gerne via Mail bei Alex [a.netterdon@verein.utopiastadt.eu] und Niklas [n.brandau@verein.utopiastadt.eu] oder komm einfach spontan an einem Samstag ab 11 Uhr im Rahmen des Workouts vorbei. Dabei spielt es keine Rolle, ob du einen professionellen Handwerksberuf ausübt, manchmal in der heimischen Garage werkelst oder noch nie einen Hammer in der Hand hattest. „Expertise ist kein Muss!“, betont Alex. Jede*r wird hier angeleitet und bekommt die Möglichkeit Neues zu lernen. Die Utopist*innen sind für jede Hilfe dankbar und revanchieren sich mit tollen Gesprächen, kostenfreier Verpflegung und der Möglichkeit neue Menschen kennenzulernen. Falls es dir nicht möglich ist an den wöchentlichen Samstagen zu erscheinen, kannst du mit den beiden aber auch individuelle Termine absprechen. Wenn du mehr über Utopiastadt oder die Sanierung erfahren wollt, schau gerne hier [Link Utopiastadt] auf der Homepage Utopiastadts oder auf den dazugehörigen Social Media Kanälen [Facebook | Instagram] vorbei. Des Weiteren findest du hier [Link Bahnhofssanierung] eine stetig aktualisierte Bildergalerie mit Updates zum Baufortschritt am Hauptgebäude und der angrenzenden Gepäckabfertigung.