allesfreunde | Modedesign trifft leerstehendes Ladenlokal

Wer regelmäßig durch das Quartier läuft, dem*der dürfte nicht entgangen sein, dass leerstehende Ladenlokale die Straßen säumen. Verbarrikadierte Schaufenster lassen nur schemenhafte Blicke in Zeiten zu, in denen der Einzelhandel noch nicht vom Onlinegeschäft verdrängt wurde. Während einige sich bloß über den Leerstand aufregen oder in Nostalgie schwelgen, entdecken andere die ungenutzten Räume wieder, erwecken sie Stück für Stück aus ihrem kollektiven Dornröschenschlaf und verwandeln die Straßenzüge des Quartiers erneut in lebendige Orte. Letzteres machte auch Jacques, Gründer des Modelabels „allesfreunde“, der Ende Juni sein Studio am Höchsten 8 eröffnete. Wir haben ihm einen Besuch abgestattet, um mehr über sein Vorhaben und sein Tun zu erfahren.

Jacques lebt im Quartier und ist Gründer des Labels „allesfreunde“. Wenn er nicht gerade neue Mode Design oder sich mit Künstler*innen vernetzt, studiert der 28-jährige Soziale Arbeit in Wuppertal und Arbeit in der Kinder- und Jugendhilfe in Velbert.

Angefangen hat alles damals mit einer Briefmarkensammlung, die Jacques von seinem Großvater geschenkt bekam – über Jahrzehnte liebevoll zusammengesammelte Briefmarken sorgsam in Heften einsortiert. Erst wollte Jacques die Sammlung verkaufen, doch als der Händler ihm lediglich ein paar Euro für die Ordner zahlen wollte, entschied sich Jacques anders. Inspiriert von den originellen Motiven der Briefmarken entschied er sich dazu, zumindest ein paar von ihnen ein neues Leben zu schenken. Schnell wählte er einige besondere Motive aus, die den Wettlauf ins All zwischen der USA und der UDSSR thematisierten, druckte diese mit der Hilfe seines damaligen Nachbars, der zufälligerweise Betreiber einer Textildruckerei ist, auf Pullover und verkaufte sie gemeinsam mit einem Schulfreund unter dem Label „Stilgott“. Laut Jacques eine logische Konsequenz, denn schon mit zwölf war ihm klar, dass er später einmal mit Kleidung arbeiten möchte. Aus persönlichen Gründen löste sich das Label jedoch nach wenigen Jahren wieder auf. Wie es kommen musste, merkte Jacques 2022 im Laufe seines Studiums, dass es ihm an Möglichkeiten des kreativen Ausdrucks fehlte. Diese Begierde führte dazu, dass er wenig später sein Projekt „allesfreunde“, unter dem er bereits zahlreiche Fotos von seiner Familie und seinen Freund*innen mit Einwegkameras machte, Anfang 2023 zu einem Modelabel umzustrukturieren. 

Die Grundlage seiner Kleidung produziert Jacques bisher nicht selbst – dazu ist seine Marge noch zu klein. Doch er achtet darauf, dass möglichst viele Kleidungsstücke, die er bedruckt, nachhaltig produziert und unter fairen Bedingungen hergestellt wurden, die den Näher*innen Arbeits- und Lebensumstände garantieren, die tatsächlich auch lebenswert sind. Darüberhinaus druckt er nur kleine Kollektionen, um ein nachhaltiges Vorgehen zu garantieren, das entgegen den üblichen Trends in der Modebranche nicht der Überproduktion und der damit einhergehenden Wegwerfattitüde verfällt. Je nach Druckverfahren und Größe der Kollektionen bedruckt Jacques die Kleidung entweder in seiner eigenen kleinen Werkstatt im Quartier oder lässt sie von seinem ehemaligen Nachbarn, der eine Siebdruckerei in Gevelsberg betreibt, bedrucken. Langfristig möchte er sich die Praxis des Siebdrucks jedoch selbst beibringen und all seine Kleidung lokal in Wuppertal produzieren. Theoretisch hat Jacques damit die Möglichkeit jedes Motiv auf seine Kleidung zu drucken. Warum aber wählt er explizit seine Designs aus? Einen großen Teil seiner Inspiration zieht Jacques laut eigener Aussage aus der Zusammenarbeit mit Künstler*innen und Kreativen, die im Verlaufe der Zusammenarbeit zu Freund*innen wurden. So arbeitet er bereits mit Tristan, alias pilzaddicted, dem jüngsten Pilzsachverständiger Sachsens, Jonny Mahoro, einem jungen Musiker aus Bonn und Ava, einer Tätowieren aus Hilden zusammen. In jeder dieser Kollaborationen entwickelt er gemeinsam mit Menschen Designs und verwirklichte sie auf dem textilen Medium. Die ersten Kontakte zu den Künstler*innen entstehen dabei zumeist durch Social Media, vertiefen sich jedoch im Prozess der Zusammenarbeit und führten z.B. dazu, dass Ava bei der Eröffnung des allesfreunde-Studios live tätowierte und Jacques das Logo seines Labels unter die Haut stach. 

Dass wir Jacques an diesem Tag in seinem Studio am Höchsten besuchen konnten ist wohlgemerkt kein Luxus. Jacques wohnt in der Bandstraße, nur wenigen Straßen entfernt, und hat bis Ende letzten Jahres das kleine Arbeitszimmer in seiner Wohnung genutzt, um allesfreunde zu realisieren. Doch der Platz wurde knapper und so fasste er den Entschluss, den nächsten Schritt zu wagen. Jacques lief durch das Quartier, klopfte an Scheiben und sprach die Besitzer*innen der leerstehenden Ladenlokale an, bis er am Höchsten 8 fündig wurde. Aufgrund des vernachlässigten Zustands des Ladenlokals investierte er seit November 2023 zahlreiche Stunden zwischen seinem Studium, Job und Privatleben, um den Räumlichkeiten einen neuen Glanz zu verleihen – und das wohlgemerkt mit zwei linken Händen, die er laut eigener Aussage besitzt. Ende Juni 2024 war es dann endlich so weit und das Studios wurde mit einer Eröffnungsfeier eingeweiht. Seitdem öffnet Jacques das Studio nach individueller Vereinbarung oder expliziter Ankündigung. Doch der Raum soll ohnehin nicht einfach bloß dem Verkauf dienen. Langfristig soll das Studio auch durch andere Menschen belebt werden, indem Interessierte dort z.B. kleine DJ-Sessions oder Workshops stattfinden lassen. Jacques ist daher stetig auf der Suche nach Aktiven, die Lust haben das Studio für ihre Zwecke zu nutzen.

Für Jacques ist die Eröffnung seines Studios ein weiterer Schritt in eine Richtung, in der er der Verwirklichung seiner Leidenschaft näher kommt: Menschen begegnen und Kleidung produzieren. Doch als wir das Studio verlassen, wird eine weitere Veränderung deutlich, die mit der Eröffnung des Studios einherging. Ich bin den Höchsten schon viele Male rauf und wieder runter gelaufen. Doch erst jetzt bemerke ich, dass der Blick aus dem Schaufenster des Studios eine Perspektive eröffnet, die für mich vorher nicht existierte. Die arbeitsintensive Erweckung des Ladenlokals aus seinem Dornröschenschlaf hat demnach nicht nur den Raum in einen lebenswerteren verwandelt, sondern auch den Blick auf die direkte Nachbar*innenschaft, die das Studio umgibt.

Lasst uns ein Beispiel an Jacques Aktionismus nehmen und in den verschlossenen und bisher ungeliebten Orten des Quartiers neue Räume und Perspektiven entdecken. Falls auch ihr neue Blickwinkel braucht, auf der Suche nach Kleidung made in Wuppertal seid oder einer Location für eure Veranstaltung sucht, solltet ihr Jacques unbedingt einen Besuch abstatten. Weitere Informationen und Impressionen von allesfreunde findet ihr entweder hier [Instagram] oder hier [Homepage].

Fotos von Judith Kolodziej (@siebterfebruar)

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