Fanprojekt Wuppertal | Fankultur gestalten

Für die einen ist Fußball bloß ein einfacher Zeitvertreib, für andere ist es ein integraler Bestandteil ihres Lebens. Während viele Fans Fußball als reines Hobby betrachten, ist es für andere eine Leidenschaft, die ihre Identität prägt – In diesem Spannungsfeld befinden sich auch Ultras und Hooligans. Wie in jeder sozialen Gruppe werden dabei innerhalb der Fanszenen gesellschaftliche Probleme deutlich. Doch statt diesen Problemen präventiv und auf Augenhöhe zu begegnen, wird in den Medien häufig über die Szene geschimpft und spekuliert. Das Fanprojekt Wuppertal geht seit fast 20 Jahren einen anderen Weg. Seit 2018 ist es nun im Quartier beheimatet und fungiert als Anlaufstelle für junge Fans, Ultras und Hooligans der WSV Fangemeinde, die von den Mitarbeiter*innen des Projekts in ihrer Freizeit als auch in schwierigen Lebenslagen und an Spieltagen begleitet werden. Wir haben uns mit Lara Schmitz, Nico Klinkert und Lukas Koch in den Räumlichkeiten des Fanprojekts Wuppertal getroffen, um mehr über ihre Arbeit zu erfahren.

Lara Schmitz hat den Masterstudiengang „Kindheit, Jugend und Soziale Dienste“ absolviert, arbeitet seit drei Jahren im Fanprojekt Wuppertal und leitet das Team seit 2023. Nico Klinkert ist bereits seit zehn Jahren in der Fansozialarbeit aktiv und hat in dieser Zeit Soziale Arbeit studiert. In seinem Arbeitsalltag widmet er sich vor allem der Begleitung von Spieltagen sowie dem offenen Treff. Lukas Koch studiert aktuell auch Soziale Arbeit und unterstützt das Fanprojekt Wuppertal im Rahmen einer Teilzeitstelle. Er ist Organisator des offenen Treffs und leitet Workshops zu Themen wie Flucht, Migration und Antisemitismus.

Fußball begeistert und verbindet. Das müssen sich selbst eingeschworene Fußball-Desinteressierte, wie ich einer bin, eingestehen. Während einige sich gerne mit ihren Freund*innen sonntags vor den Fernseher setzen, um ihren Lieblingsverein zu unterstützen und mitzufiebern, leben andere für die kollektive Erfahrung des Stadionbesuchs und verbinden sie mit der Zelebrierung von eingeübten Ritualen und einem Zugehörigkeitsgefühl. Das Stadion ist an Spieltagen weit mehr als nur ein Zeitvertreib. Es ist ein Ort, an dem die eigene Identität konstruiert wird, sowie ein Ort der sozialen Begegnung und Interaktion – und das auch für junge Menschen der Fangemeinschaft des WSV.

Das Fanprojekt wurde bereits 2006 gegründet und steht in der Tradition einer Bewegung, die heute 71 eigenständige Fanprojekte von (ehemals) führenden Fußballvereinen verzeichnet. Anlass für die Gründung dieser deutschlandweiten Bewegung war der Todesfall des 16-jährigen Bremers Adrian Maleika, der am 17. Oktober 1982 im Zuge eines Spiels zwischen dem Hamburger SV und dem SV Werder Bremen durch einen Steinwurf getötet wurde. Der Todesfall führte nicht nur zu einer weitläufigen Debatte über Gewalt in der Fußball-Fanszene und zog Repressionen gegen Hooligan-Gruppierungen nach sich, sondern machte auch darauf aufmerksam, dass es präventive Angebote braucht, um der Gewaltspirale des extremen Fußballfanatismus zu entkommen. Die Grundlage der Arbeit des Fanprojekt Wuppertal bildet das „Nationale Konzept Sport und Sicherheit“ (NKSS), das 1993 verabschiedet wurde und Empfehlungen zur Fanbetreuung im Rahmen der sozialen Arbeit, zur Stadionordnung und zur Zusammenarbeit der beteiligten Gruppen festhält. Seit 2018 wird das Projekt durch das „Wichernhaus Wuppertal“ getragen und befindet sich in den Wiesenwerken, die sich zur damaligen Zeit noch im Eigentum der Stadt Wuppertal befanden. Finanziert wird die Arbeit des Fanprojekts Wuppertal durch die Stadt Wuppertal, das Jobcenter Wuppertal, das Land Nordrhein-Westfalen sowie den Deutschen Fußballbund (DFB).

Im Zentrum der Arbeit von Nico, Lara und Lukas steht der Aufbau von belastbaren Beziehungen und Vertrauensverhältnissen, um die Jugendlichen und jungen Erwachsenen der Fanszene zu unterstützen und der Radikalisierung der Szene somit langfristig entgegenzuwirken. Die Ansätze, die sie dafür wählen, sind ebenso vielfältig wie die Biografien der jungen Menschen, mit denen sie alltäglich zusammenarbeiten. Hauptaufgabe des Fanprojekts Wuppertal ist die Gestaltung einer positiven Fankultur des WSV durch die aktive Begleitung der Spiele. Lara, Lukas und Nico begleiten die Jugendlichen und jungen Erwachsenen bei Heim- und Auswärtsspielen, organisieren aber auch gemeinsame konsumfreie Anreisen und holen die jungen Menschen da ab, wo sie sich ohnehin bewegen – im Stadion. Vor Ort fungieren sie im und um den Ort des Geschehens als neutrale Ansprechpersonen für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen und zugleich als professionelle Schnittstelle zwischen Sicherheitskräften und Fans, berichtet Nico. Doch dabei endet die Arbeit nicht. Außerhalb der aktiven Spielgeschehnisse dienen die Räumlichkeiten des Fanprojekts Wuppertal in den Wiesenwerken als Anlaufstelle für die Jugendlichen, die dort ein offenes Ohr und Unterstützung bei alltäglichen Problemen finden. Im Rahmen des wöchentlichen offenen Treffs wird z. B. gemeinsam gekocht, Graffiti gesprüht oder gekickert. Darüber hinaus organisieren Lukas, Nico und Lara gemeinsame Aktionen wie Wanderungen oder Besuche im örtlichen Freibad. Somit agiert das Fanprojekt Wuppertal wie ein Jugendzentrum im klassischen Sinne, dessen Angebot jedoch nicht auf Jugendliche eines spezifischen Stadtteils beschränkt bleibt, sondern sich über die junge Fangemeinschaft des WSV erstreckt.

Ein weiterer essentieller Bestandteil der Arbeit des Fanprojekt Wuppertal ist die präventive Antidiskriminierungsarbeit, die vor allem im Rahmen von Workshops an Schulen und gemeinsamen Veranstaltungen durchgeführt wird, wie Lukas berichtet. So bietet das Fanprojekt z.B. gemeinsam mit Menschen mit Fluchterfahrung Workshops zu Flucht und Integration an, in deren Rahmen sie Schulklassen von eigenen Fluchterfahrungen berichten und zeitgleich Debatten über gelungene Integration anstoßen. Darüberhinaus führt das Fanprojekt auch Workshops zu Antisemitismus durch, in dem sie als ausgebildete Zweitzeug*innen methodisch die Biografien von Shoah-Überlebenden vermitteln und somit lebendig halten. In der Vergangenheit hat das Fanprojekt Wuppertal sich zudem im Rahmen einer Filmvorführung mit anschließender Podiumsdiskussion im Rex mit dem Thema Inklusion und Fußball auseinandergesetzt und so dazu beigetragen, dass im Stadion am Zoo an einigen Plätzen der Zaun abgesenkt wird, um Rollstuhlfahrer*innen einen freien Blick auf das Spielgeschehen zu ermöglichen, wie Lara berichtet. 

Derart wichtiges Engagement bedarf sichere Räume, die sich ihrer langfristigen Beständigkeit bewusst sein können. Seitdem die Montag Stiftung Urbane Räume das Gebäude übernommen hat und es fortwährend in die Wiesenwerke verwandelt, hat sich laut Lara, Nico und Lukas auch der Kontakt zu den anderen Mieter*innen intensiviert. Bereits vor der Übernahme existierten nachbarschaftliche Kooperationen mit den anderen Mieter*innen, sodass das Fanprojekt die Bühne des TalTonTheaters anlässlich der Fußball-Kulturtage für die Inszenierung eines Theaterstücks über Fußball in Wuppertal und Syrien nutzen konnte. Auch gelegentliche Ausflüge in die benachbarte Boulderhalle außerhalb der regulären Öffnungszeiten sind dadurch möglich. Mit der Übernahme durch die Wiesenwerke wurde laut Lara das Nachbarschaftsgefühl, z. B. durch das Involvieren der Mieter*innen in die Namensgebung des Projekts und die Sicherheit der langfristigen Beständigkeit der Mietverhältnisse, noch einmal intensiviert. Damit wurde klar: Das Fanprojekt Wuppertal wird auch fortwährend Teil des Quartiers bleiben und damit eine von vielen wichtigen Arbeiten und Engagements in einem so vielfältigen Quartier wie dem unseren realisieren.

Das Fanprojekt Wuppertal verbindet die Leidenschaft junger Fußballfans mit dem Engagement für eine offene und vielfältige Gesellschaft. Es bietet Jugendlichen und jungen Erwachsenen durch vertraute Beziehungen einen Raum, in dem sie ihre Begeisterung für den Sport mit sozialen Werten wie Respekt, Toleranz und Solidarität verbinden können, während sie gleichzeitig Unterstützung bei der Bewältigung alltäglicher Herausforderungen erhalten. Wenn auch du mehr über das Angebot des Fanprojekts Wuppertal erfahren möchtest, findest du sowohl hier [Instagram] als auch hier [Homepage] weitere Informationen zum Projekt. Auf eine lebendige Fankultur, die der Stigmatisierung mit gelebter Vielfältigkeit und Enthusiasmus für den Fußball begegnet!

Fotos von Judith Kolodziej (@siebterfebrurar)

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