Feministischer Kampftag | Vor uns liegt ein langer Weg!
Jahr für Jahr ziehen tausende von Menschen weltweit durch ihre Heimatstädte, um am 8. März für die Rechte von FLINTA* und gegen patriarchale Strukturen zu kämpfen. Auch in Wuppertal war das in diesem Jahr erneut der Fall. Neben zahlreichen Veranstaltungen rief das frisch gegründete „Bündnis 08. März Wuppertal“ zur Teilnahme an der Tanz-Kampfdemo durch die Elberfelder Nordstadt ein und auf dem Laurentiusplatz fand die partizipative Ausstellung „queering the city“ statt. Auch wir waren vor Ort und wollen diesen Artikel nutzen, um den Tag Revue passieren zu lassen und um klarzustellen, warum wir patriarchale Strukturen und Heteronormativität auch in unseren Straßen bekämpfen müssen.
Am 8. März zogen auch in Wuppertal, anlässlich des feministischen Kampftages, zahlreiche Demonstrierende in einer unüberhörbaren Tanz-Kampfdemo durch die Elberfelder Nordstadt. Rund 300 Demonstrierende folgten dem Aufruf des „Bündnis 08. März Wuppertal“ und tanzten in euphorischer Stimmung hinter dem Lautsprecherwagen her, auf dem das Künstler*innenkollektiv PRUDE und die Künstlerin Pyya ein abwechslungsreiches Programm elektronischer Tanzmusik präsentierten. Diejenigen, die nicht auf der Straße tanzten, standen an ihren geöffneten Fenstern entlang der Demoroute und schauten auf die Straße. Manche wirkten irritiert und ratlos, andere winkten den Demonstrierenden zu. Technisch bedingte Musikpausen wurden mit lauten Sprechchören überbrückt. Durch die engen Altbaustraßen hallten Parolen wie: „However I dress, wherever I go: Yes means Yes and No Means No“ (Egal wie ich mich kleide, egal wohin ich gehe: Ja heißt Ja und Nein heißt Nein), „Alerta Alerta Queerfeminista!“ und „Macker raus!“. Am Schusterplatz angekommen, legte die Demonstration eine kleine Pause ein – es gab Tee, Kekse und Redebeiträge über die kurdische Frauenbewegung in Rojava, Kritik an der Umsetzung des Selbstbestimmungsgesetzes, das im November 2024 das bestehende „Transsexuellengesetz“ ablösen wird, und die Zwangsverheiratung von Mädchen. Die Stimmen aus dem Lautsprecherwagen dröhnten über den Platz, in den Redepausen wurde applaudiert. Inzwischen war es dunkel geworden und die Demo bewegte sich über die Karlstraße und Gathe zum AZ, wo der tanzende Demonstrationszug mit einem kleinen Feuerwerk begrüßt wurde. Der 08. März endete in Wuppertal mit einer Party im Autonomen Zentrum, bei der die Rapperin Ket und die DJs Shamey Oliver, Scheidi Klum und Maruhni für ausgelassene Stimmung sorgen.
Manche mögen sich fragen, ob eine solche Veranstaltung im 21. Jahrhundert, in dem alle Geschlechter formal gleichgestellt sind, noch notwendig ist. Die Antwort lautet: Ja, unbedingt! Denn auch heute noch werden FLINTA* (Akronym für Frauen, lesbische Personen, inter Personen, nicht-binäre Personen, trans* Personen, agender Personen und (*) andere) aufgrund ihrer Geschlechtsidentität diskriminiert und benachteiligt. Die Zahlen sprechen für sich, insofern sie überhaupt erhoben werden.
Statistisch gesehen wird alle vier Minuten ein Mann gegenüber seiner Partnerin gewalttätig und mehr als jeden dritten Tag tötet ein Mann in Deutschland seine Partnerin oder Ex-Partnerin. Häufig werden diese Tötungsdelikte nicht explizit als „Femizide“ bezeichnet – darunter versteht man die gezielte Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts oder bestimmter Vorstellungen von Weiblichkeit. Wenn Femizide nicht als solche benannt werden, bleibt der strukturelle Mechanismus hinter diesen Morden unsichtbar und sie erscheinen eher als individuelle Schicksalsschläge denn als Morde an Frauen. Gleichzeitig verdienen Frauen auch heute noch durchschnittlich 18% weniger Lohn und wenden durchschnittlich 43,8% mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit auf. Dies führt beispielsweise dazu, dass Frauen wesentlich geringere Altersvorsorgen aufbauen können und im Alter entweder existentiell von ihren Partner*innen abhängig sind oder von Grundsicherung leben müssen. Wie hoch diese Zahlen für Menschen außerhalb des binären Spektrums sind, ist schwer zu sagen, da entweder Daten fehlen oder die Dunkelziffern enorm hoch sind. Klar ist jedoch, dass der größte Teil der Menschen, die als FLINTA* erfasst werden können, im Laufe ihres Lebens (sexualisierte/körperliche) Gewalt durch die bestehenden patriarchalen Strukturen erfahren. Besonders gefährdet sind dabei Menschen, die zusätzlich anderen marginalisierten Gruppen angehören, wie z.B. Menschen mit Behinderungen, Schwarze Menschen oder von Armut betroffene FLINTA*. Derartige Verhältnisse sind nicht auf individuelles Fehlverhalten oder vermeintlich „natürliche Veranlagungen“ der Geschlechter und ihrer Positionen zurückzuführen. Sie sind vielmehr gesellschaftlich bedingt und seit Jahrhunderten in die Struktur unserer Gesellschaft eingeschrieben. Der 08. März ist daher besonders wichtig, um Jahr für Jahr erneut darauf aufmerksam zu machen, dass Gleichstellung der Geschlechter auf dem Papier nicht ausreicht und es unser aller Aktivismus bedarf, um diese Verhältnisse selbstbestimmt zu verändern. Ganz im Sinne des Demoslogans, der auch an diesem Abend vielstimmig durch die Straßen Wuppertals hallte: 8. März ist alle Tage – das ist eine Kampfansage!
Jenen Satz möchte das „Bündnis 08. März Wuppertal“ in Zukunft auch weiterhin Realität werden lassen. Denn entgegen der ursprünglichen Pläne gab das Bündnis am Ende der Demo vor dem AZ bekannt, auch über den 08. März hinaus weiterhin Veranstaltungen zu organisieren, im Rahmen derer FLINTA* sich vernetzen können, um sich gemeinsam gegen die unterdrückenden Strukturen zu organisieren. Einen ersten Anfang haben sie bereits mit Selbstverteidigungs- und DJ-Workshops, Vorträgen zu Polyamorie und Femiziden, einem queerfeministischem Brunch und einem Second-Hand-Event an zahlreichen Wuppertaler Orten wie etwa dem K49, Schmitz Katze oder dem AZ Gathe realisiert.
Aber das Patriarchat ist auch abseits von gewaltvollen menschlichen Interaktionen in unseren Alltagen präsent – nämlich in den urbanen Räumen, in denen wir uns bewegen. Das macht die partizipative Ausstellung des gleichnamigen Projekts „queering the city“ klar, die am 08. März von 11 bis 18 Uhr auf dem Laurentiusplatz besucht werden konnte. Das Projekt wird von Anna und Kira, zwei Public Interest Design Studierenden an der Bergischen Universität Wuppertal organisiert und durchgeführt. Zuvor hatten sie eine queer-feministische Stadtkarte von Wuppertal – „Stadtkaleidoskop“ [HOMEPAGE] – erarbeitet und veröffentlicht. In „queering the city“ setzen sich Anna und Kira jetzt mit den konkreten städtischen Strukturen und Räumen auseinander, in denen wir leben. Denn obwohl Wuppertal eine geschichtsträchtige Stadt ist, die von differenten Lebensrealitäten nur so strotzt, sind nicht alle Geschichten auch gleichermaßen repräsentiert. Das Stichwort lautete „heteronormative Stadtgestaltung“. Damit ist gemeint, dass die Stadtgestaltung auf einer binären Norm basiert, die immer schon annimmt, dass es nur zwei Geschlechter gäbe und diese auf sich bezogen sind. Samt des Rattenschwanzes des Patriarchats werden damit Perspektiven von queeren Personen und FLINTA* von vorneherein übergangenen und städtebauliche Realitäten erschaffen, die Lebensrealitäten ausschließen. Aber wie konkretisiert sich das genau?
Kira und Anna zeigten im Rahmen der Ausstellung dafür zahlreiche Beispiele: die Gestaltung öffentlicher Toiletten, Straßennamen, Angsträume und Straßenbeleuchtung, Erreichbarkeit von Versorgungsstrukturen, öffentlicher Nahverkehr, Aufenthaltsräume … . Die Liste ist lang. Grund für die diskriminierende und ausschließende Gestaltung öffentlicher Räume ist unter anderem auch, dass die Stadtplanung noch immer recht fest in den Händen weißer cis (Menschen die sich dem Geschlecht zugehörig fühlen, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde) Männer liegt und damit nur wenig Variation von Perspektiven abseits männlicher Blicke offenbart wird. Das Ziel von „queering the city“ ist daher einen ersten Schritt zu wagen und genderdiskriminierende Aspekte in der Stadtgestaltung von Wuppertal öffentlich aufzudecken. Nur wenn wir Sichtbarkeit für Probleme schaffen, können wir auch Räume zum Diskutieren und Verändern öffnen. Um dieses Vorhaben zu realisieren, sammelten Kira und Anna am 8. März konkrete Meinungen, Erfahrungen und Geschichten von Wuppertaler*innen. Die Ergebnisse dieser Erhebung sollen, zusammen mit weiteren recherchierten Einblicken, am 21. April um 11 Uhr und um 16 Uhr in einem jeweils ca. 1,5h langen Stadtspaziergang dargeboten werden und den Blick für heteronormative Stadtgestaltung schärfen. Ende des Jahres sind zudem Workshops geplant, die die Thematik nochmals umfassender behandeln.
Der 8. März steht in einer über hundertjährigen Tradition queer-feministischer Kämpfe, die weltweit antikapitalistisch, antifaschistisch und antipatriarchal agieren. Und obwohl Menschen die Verhältnisse im letzten Jahrhundert radikal verändert haben, ist der Horizont einer gerechten Gesellschaft noch weit entfernt und ständig bedroht. So machen die Aktivist*innen des Bündnisses auch auf den erstarkenden Rechtspopulismus und das klägliche Scheitern einer Brandmauer gegen Rechts aufmerksam, die in ihrem Kern eine Bedrohung für all jene darstellen, die heute für eine selbstbestimmte Zukunft eintreten. Gerade deshalb ist ein 8. März auch heute noch so wichtig. Es ist ein Tag, an dem wir Visionen von wünschenswerten Zukünften auf die Straße tragen und uns gleichzeitig darüber austauschen, wie weit der Weg noch ist und wofür wir unsere Kräfte bündeln müssen. Projekte wie „queering the city“ zeigen uns deutlich, wie tief das Patriarchat und die Heteronormativität in der Materialität unseres Alltags steckt und wie selbst die urbanen Strukturen, in denen wir uns täglich bewegen, von ihm geprägt sind. Lasst uns gemeinsam unsere Nachbarschaften von solchen Strukturen befreien und selbstbestimmte Wege des Zusammenlebens finden!
Falls ihr mehr über das „Bündnis 08. März Wuppertal“ und die geplanten Veranstaltungen erfahren wollt, findet ihr hier [INSTAGRAM] mehr Informationen. Mehr Informationen zum Projekt „queering the city“ findet ihr hier [WEBSITE] und hier [INSTAGRAM]. Auf der Homepage des Projekts kannst du auch alle Ausstellungsinhalte nachlesen und dich über die zukünftigen Veranstaltungen informieren.