Schule gegen Rassismus | Ein Einblick in das Engagement der Hermann-von-Helmholtz-Realschule
Rassismus ist kein abstraktes Problem, sondern eine alltägliche Realität, die viele Menschen in unserer Gesellschaft unmittelbar betrifft. Besonders Schulen – Orte, an denen junge Menschen eine intensive und prägende Zeit ihres Lebens verbringen – stehen vor der Aufgabe, sich aktiv gegen Diskriminierung einzusetzen und ein Umfeld zu schaffen, in dem Vielfalt und gegenseitiger Respekt gelebt werden. Die Hermann-von-Helmholtz-Realschule (HvH) wurde im Juni 2024 mit der Auszeichnung „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ für ihr langjähriges Engagement gewürdigt. Doch die Schulgemeinschaft sieht den Titel nicht als Ziel, sondern als weiteren Schritt in einem fortwährenden Prozess der Sensibilisierung. Doch was bedeutet diese Auszeichnung wirklich? Und wie schafft es die HvH, ihre antirassistische Haltung in Projekte und Strukturen einzubetten? Diesen Fragen sind wir gemeinsam mit Akteur*innen der Schule und ihres Umfeldes nachgegangen.
Nur wer die Augen vor der Wirklichkeit verschließt und nicht aktiv betroffen ist, kann behaupten, dass Rassismus lediglich von Einzelpersonen ausgeht. Rechtsextreme Parteien finden heute wieder Einzug in den Bundestag, rassistische Narrative verkommen zu bloßen Meinungen, und Politiken schüren Abneigung gegen solche, die lange Fluchtrouten auf sich nehmen. Dass Rassismus nie weg war, sondern die Strukturen westlicher Gesellschaften prägt, ist eine schmerzliche Wahrheit. Was für nicht-betroffene Personen abstrakt erscheinen mag, eröffnet sich im Alltag migrantisierter Kinder und Jugendlicher an jeder Ecke: auf dem Schulhof, in Lehrplänen, in Unterrichtsmaterialien oder in Form erschwerter Bildungswege. Umso wichtiger ist es, dass sich Schulen antirassistisch aufstellen und diese Strukturen reflektieren. Die bundesweite Initiative „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ [Homepage] hat sich zum Ziel gesetzt, Schulen im gesamten Bundesgebiet bei diesem Vorhaben zu unterstützen. Die teilnehmenden Schulen verpflichten sich mit der Auszeichnung, gegen jede Form von Diskriminierung, Mobbing und Gewalt aktiv vorzugehen und regelmäßig Projekte zu realisieren, die die antirassistische Antidiskriminierungsarbeit an der Schule stärken. Eben jene Auszeichnung wurde im Juni 2024 auch der Schulgemeinschaft der Hermann-von-Helmholtz-Realschule überreicht. Als „Ort der Vielfalt, an dem Lernen, Kreativität und Gemeinschaft gelebt werden“, versteht sich die HvH als Schule, die kontinuierlich an sich arbeitet. Der Titel ist eine Anerkennung, die zugleich verpflichtet.
Jana Kortwig, Schulsozialarbeiterin der HvH, macht deutlich, dass das Engagement gegen Rassismus innerhalb bestehender Strukturen eine nie endende Aufgabe darstellt, die der kontinuierlichen Arbeit bedarf. In diesem Sinne versteht sich die HvH nicht im wahrsten Sinne des Wortes als „Schule ohne Rassismus“, sondern vielmehr als „Schule gegen Rassismus“. Trotz des Fakts, dass die Schulgemeinschaft den Titel nun schwarz auf weiß an der Fassade des Schulgebäudes montiert hat, ist es fortlaufendes Ziel „noch achtsamer und sensibler zu werden“, um „einen Ort zu schaffen, an dem Schüler*innen sich unabhängig ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe oder Religion sicher und wohlfühlen können“, so Kortwig. Der Schulleiter Florian Jung versteht die Auszeichnung daher eher als „Mahnung“, die den Willen des Engagements manifestiert und daran erinnert, sich stetig gegen Unrecht auszusprechen. Die Verleihung ist daher eher Ausdruck der Wertschätzung dessen, was die Schulgemeinschaft bereits seit Jahren lebt.
Um die Auszeichnung verliehen zu bekommen, hat die Schulgemeinschaft einen langwierigen und arbeitsintensiven Prozess durchlaufen, der sicherstellen soll, dass sie nicht bloß als leeres Aushängeschild fungiert. Über 70 % der Schüler*innen, Lehrer*innen und weiteren Angestellten mussten sich dazu verpflichten, sich aktiv gegen Rassismus einzusetzen und ein*eine Pate*Patin musste ernannt werden, der*die die Ziele der Schulgemeinschaft auch außerhalb der Schule repräsentiert. Jene Rolle hat Ben Wichert inne, der als Künstler, Tänzer und Schauspieler den „Urban Art Complex“ [Homepage] betreibt und bereits seit drei Jahren als Projektpartner der HvH tätig ist. Zudem verpflichtet sich die Schule, mindestens jährlich Projekte zur Antidiskriminierungsarbeit zu realisieren. Ideen dafür können von allen Angehörigen der Schule – also Schüler*innen, Beschäftigten und Eltern – eingebracht werden. Eine sorgfältige Abstimmung durch die Schüler*innenvertretung und die Lehrer*innenkonferenz stellt sicher, dass Projekte Rückhalt und Unterstützung in der gesamten Schulgemeinschaft finden. Umgesetzt werden die Projekte anschließend gemeinsam von allen Interessierten in ehrenamtlichen Projektgruppen.
Mithilfe dieses Vorgehens wurden in den letzten Jahren zahlreiche Projekte realisiert. Neben regelmäßigen Workshops zu Sprachsensibilität, an denen sowohl Schüler*innen als auch Lehrkräfte teilnehmen, zählt dazu auch eine Kooperation mit Ben Wichert unter dem Titel „stART connect“. In diesem Projekt hat Wichert Schüler*innen der HvH dabei begleitet, sich auf künstlerischem Wege mit den eigenen Lebensrealitäten auseinanderzusetzen. Abseits herkömmlicher schulischer Methoden wurden die Schüler*innen ermutigt, sich durch die Produktion von Musik, Rap, Tanz und Schauspiel mit ihren Gefühlen und Handlungen zu konfrontieren und diese zu reflektieren. Die Ergebnisse des Projekts wurden anschließend vor den Mitschüler*innen präsentiert und haben laut Wichert dazu beigetragen, das Miteinander der Schüler*innen zu stärken, traditionelle Rollenvorstellungen zu hinterfragen und Selbstwirksamkeit, gegenseitigen Respekt und Empathie zu fördern. Ein weiteres Projekt trägt den Namen „Helping Friends“ und erwuchs aus der katastrophalen Situation nach dem verheerenden Erdbeben Anfang 2023 in Syrien und der Türkei. Da viele Angehörige der Schüler*innen der HvH selbst in den betroffenen Regionen leben, erschütterte das Erdbeben den Schulalltag und führte zu einer weitläufigen Sammelaktion und Benefizveranstaltung. Eltern, Lehrer*innen, Schüler*innen und Quartiersbewohner*innen sammelten Decken, Winterjacken, Spielsachen und monetäre Spenden und schufen einen Raum, um sich mit den individuellen Auswirkungen des Erdbebens auszutauschen. Die Schulsprecherin Amira Hafida Bechari beschreibt dieses gemeinsame Engagement und den Zusammenhalt als „sehr emotionale Erfahrung“, die die Schulgemeinschaft zusammenschweißte. Durch den Prozess der Auszeichnung entstanden zudem weitere Kooperationsangebote mit außerschulischen Bildungseinrichtungen, etwa mit der Alten Synagoge. So besuchten einige Schüler*innen gemeinsam mit Emre Erol und Hauke Heß, Schülervertretungslehrer der HvH, die Gedenkveranstaltung am 9. November auf dem jüdischen Friedhof. Diese interkulturelle Begegnung blieb allen Beteiligten – unter Berücksichtigung der diversen Religionszugehörigkeiten vieler Schüler*innen – als „intensives und bereicherndes Erlebnis“ in Erinnerung.
Die Schulgemeinschaft möchte das Engagement gegen Rassismus und andere Diskriminierungsformen jedoch nicht nur in Projekten vorantreiben, sondern darüber hinaus strukturell in den Schulalltag integrieren. Vor diesem Hintergrund hat Jana Kortwig mit Unterstützung der „Initiative Awareness“ das erste schüler*innengetragene Awareness-Team im deutschen Schulkontext initiiert. In Zukunft sollen zwanzig Schüler*innen ausgebildet werden, um z.B. in der Pause die Aufsicht zu unterstützen und als Ansprechpersonen für Mitschüler*innen zu fungieren. Darüber hinaus wurden auf Kollegiumsebene Arbeitskreise organisiert, die sich über den Umgang mit diskriminierendem Verhalten und passende pädagogische Konsequenzen austauschen. Denn wie Florian Jung betont, bieten herkömmliche Werkzeuge der Schulordnung, wie Tadel oder Schulverweise, selten nachhaltige Lösungen, die dazu beitragen, dass Schüler*innen auch ein Verständnis für ihr Fehlverhalten entwickeln. Stattdessen werden an der HvH Werkzeuge entwickelt, die angepasst an die Konstellationen der Schüler*innenschaft und das pädagogische Selbstverständnis, den Schutz vor diskriminierendem Verhalten ebenso ermöglichen wie die Reflexion diskriminierender Handlungen. Eines jener präventiven Werkzeuge sind Kompetenztrainings, in denen Schüler*innen sich im Klassenkontext kreativ und präventiv mit den eigenen Gefühlen, Handlungen und Haltungen auseinandersetzen. Aber auch in der Gestaltung der Unterrichtsstunden spielt die Auseinandersetzung mit Rassismus eine Rolle. Emre Erol, selbst Lehrer für Erdkunde und Geschichte, berichtet davon, dass Schüler*innen der 5. und 6. Klasse sich im Rahmen des Fachs „Soziales Lernen“ aktiv mit Rassismus und antirassistischer Haltung auseinandersetzen und das Engagement rund um die Auszeichnung die lehrende Perspektive auf den Unterricht beeinflusst.
Die Schulsprecherin Amira Hafida Bechari hat gemeinsam mit Mitschüler*innen und der Unterstützung des Medienprojekts für die Verleihung einen Film erarbeitet, in dem Schüler*innen der HvH die Möglichkeit geboten wurde, ihre persönlichen Geschichten und Erfahrungen mit Rassismus zu thematisieren [YouTube]. Sowohl der Dreh, als auch der Schnitt des Films fand außerhalb der Schulzeit statt und das Projekt symbolisiert damit einen Umstand, dem jegliches Engagement innerhalb der Schule unterliegt. Denn wie Emre Erol und Florian Jung berichten, sind die größten Hindernisse in Bezug auf die Realisierung von Projekten fehlende Ressourcen. Abseits des Schulalltags mangelt es immer zu an Finanzierungen und Zeit. So werden Lehrer*innen und Schüler*innen nach Möglichkeit für Projekte freigestellt, der Fokus einer Schule liegt aber schlussendlich immer auf dem Unterricht und der Vermittlung von vorgegebenen Inhalten und Fähigkeiten. Die meisten Projekte werden daher ehrenamtlich von Schüler*innen und Lehrer*innen außerhalb der Unterrichtszeiten realisiert. Ein Zeichen dafür, dass noch viel zu tun ist und zugleich ein Lob an die Strukturen der HvH, die es schaffen, dass Lehrer*innen und Schüler*innen sich über das Minimum hinaus im Kontext der Schule engagieren.
Rassismus ist und bleibt kein Phänomen, das innerhalb einer einzelnen Schule aus der Welt geschafft werden kann. Doch das ist für die Schulsprecherin Amira Hafida Bechari kein Anlass dafür, das Ziel nicht trotzdem zu verfolgen: Gemeinsam mit ihren Mitschüler*innen und ihren Lehrer*innen will sie ihre Schule in einen Raum verwandeln, in dem sich alle ohne Angst und Scham bewegen und bilden können. Im Hinblick auf die gesellschaftlichen Strukturen, die Rassismus auch heute noch zu einer alltäglichen Wirklichkeit machen, braucht diese Utopie eine engagierte Schulgemeinschaft, die stetig gemeinsam gegen diskriminierende Prozesse ankämpft. Wir sollten uns davon inspirieren lassen und quartierübergreifende Bündnisse, wie die „Solidarische Mirke“ ausbauen, um uns konsequent dem herrschenden Rassismus an jeder erdenklichen Ecke entgegenzustellen. Falls ihr mehr über die Hermann-von-Helmholtz-Realschule erfahren wollt, findet ihr hier [Homepage] oder hier [Instagram] weitere Informationen.
Foto von Judith Kolodziej (@siebterfebruar)
Wort von Max-Mosche Kohlstadt (@dermosche)