Wein aus dem Quartier | Zu Besuch in der Weinerei

Den Ort an dem Wein produziert wird verbinden wahrscheinlich recht viele Menschen mit sonnigen Hängen entlang eines Flusses, übersäht mit tausenden Weinreben, die die Berge hinaufklettern. Darüber thronen Weingüter voller Fässer mit reifendem Wein die alljährlich zu Festen einladen. Dass dieses Szenario auch im urbanen Raum funktioniert, beweist die »Weinerei« auf der Wiesenstraße bereits seit einigen Jahren. Auch Holger Bär und Leon Fehlauer, Betreiber der Weinerei, hatten in den letzten Monaten mit den Auswirkungen der Schließung von Gastronomie und Ladenlokalen zu kämpfen – doch statt sich dem drohenden Schicksal zu fügen, etablierten sie kurzfristig ihren eigenen Wein-Lieferservice. Wolf und ich haben uns von den beiden auf ein Glas Wein einladen lassen und mit ihnen über die Geschichte der Weinerei, ihre momentane Situation und ihre Vorhaben gesprochen.

(v.l.) Holger Bär und Leon Fehlauer | Foto von Wolf Sondermann

Leon Fehlauer ist in Berlin Spandau aufgewachsen. Vor einigen Jahren verschlug es ihn jedoch nach Wuppertal Elberfeld, wo er seitdem als Fachkraft für Inklusion und Integration an einer Grundschule arbeitet. Holger Bär ist über die Stadtgrenzen für sein Tun bekannt. Der studierte und freischaffende Künstler baut, programmiert und malt mit Robotern im Stile des Neopointillismus. Ihre gemeinsame Vorliebe für nächtliche Gespräche am Küchentisch und die Zuneigung zu Wein brachte sie zusammen. Das Produkt dieser Gemeinsamkeiten ist eine enge Freundschaft und die Weinerei.

Als Holger und Leon vor rund fünf Jahren in zwei verschiedene Wohnungen im gleichen Haus einzogen, wussten sie von ihren zukünftigen Vorhaben allerdings noch nichts. Schnell lernten sie sich bei nächtlichen Gesprächen und verschiedensten Flaschen Wein kennen. Darunter auch Holgers selbst produzierten. Leon ließ sich von Holger anstecken und kreierte kurze Zeit später seinen eigenen Cidre im heimischen Schlafzimmer. Gemeinsam lernten sie mehr über die Produktion von Wein, wagten Fehler und lernten daraus – kreierten ihre eigenen Produkte. Rund ein Jahr nach ihrem Treffen eröffneten sie gemeinsam die Weinerei in der ehemaligen Galerie von Holger auf der Wiesenstraße. Hier erschaffen sie seitdem ihre ganz persönlichen Weine, ganz ohne Druck und mit Liebe zum Detail. Die Eröffnung ist inzwischen fast vier Jahre her.
Angefangen hat es mit einem 30l Fass Min2, einem Minzwein. Im vergangenen Jahr produzierten sie Wein aus insgesamt ca. einer Tonne Trauben. Trotz alledem betreiben sie die Weinerei nach wie vor als Hobby, auch wenn die Nachfrage der Wuppertaler*innen von Jahr zu Jahr steigt.

Ein Einblick in die neue Charge Min2 | Foto von Wolf Sondermann

Die Weinerei im ehemaligen Fabrikgebäude auf der Wiesenstraße ist aber weit mehr als ein Ort der herkömmlichen Weinproduktion. Sie ist Ort des Experimentierens, der Begegnung und des Austauschs. Leon und Holger machen in erster Linie Wein, weil sie wissen wollen welche Inhaltsstoffe zugegeben werden und wie der Kater am nächsten Tag vermieden werden kann, wenn die Nacht doch länger als geplant wurde. Tatsächlich enthalten die meisten Weine nämlich wesentlich mehr Inhaltsstoffe als vermutet. Ihnen ist es wichtig ehrliche Produkte herzustellen, die offen legen, woraus sie hergestellt werden. Dennoch ist ein guter Wein kein Produkt, das nach einer schlichten Anleitung produziert werden kann. Vielmehr formen Holger und Leon ihre Weine nach ihren eigenen Vorstellungen und debattieren gemeinsam über folgende Schritte – man könnte es wohl einen Designprozess nennen. Das Endprodukt ist allerdings nicht für die allgemeinen Verbraucher konzipiert, sondern vielmehr für den eigenen Gaumen. Das sie damit wohl auch den Geschmack vieler Anderer treffen, lässt sich an der Resonanz vieler wuppertaler Weinliebhaber*innen beobachten. Während des Gesprächs lassen sich Holger und Leon übrigens einen jüngst gefertigten Rotwein schmecken, aber welcher Wein heute schmeckt ist tagesabhängig bemerkt Leon.

Leon und Holger trauen sich in ihrem Tun über die Grenzen der konventionellen Weinproduktion hinaus. Mit ihren Klassikern, dem etablierten Minz- und Holunderwein wagten sie den ersten Schritt. Mit Orange-Weinen, das ist ein Weißwein, der wie Rotwein produziert wird, wagen sie den nächsten Schritt und in Zukunft wollen sie sich mit historisch produziertem Amphorenweinen noch weiter wagen. Ob der Wein dir persönlich letztendlich mundet, ist natürlich Geschmackssache. Aber Holger betont, dass gerade der Geschmackssinn für Weine und ihre verschiedensten Nuancen geschult werden kann. Nicht umsonst gibt es ganze Wörterbücher für die Fachbegriffe rund um Weinproduktion und -verkostung.

Wolf: „Gehe ich richtig in der Annahme, dass man sich über einen Wein einen ganzen Abend unterhalten kann?“

Leon: „Wohl eher ein Leben lang!“

Einblicke in einen der Weinkeller | Foto von Wolf Sondermann

Besonders berühmt wurde die Weinerei unter den Weinliebhaber*innen und Nachtschwärmer*innen in den letzten Jahren durch ihre Vielzahl von Veranstaltungen im Quartier. Die BARabende sorgten in der dunklen Jahreszeit für besinnliche Abende mit Brot und Wein bei Kerzenschein, während die zahlreichen Sommerfeste mit Grillaktionen und langen Gesprächen unter freiem Himmel lockten. Doch genau diese mussten im Zuge der anhaltenden Maßnahmen vorzeitig abgesagt werden. Das bedeutete nicht nur fehlende Anlässe des Zusammenkommens, sondern auch fehlende Finanzen für den anstehenden Erwerb neuer Trauben.

Gerade in diesem Jahr hatten Leon und Holger sich vorgenommen in die Weinproduktion zu investieren und sie aktiv auszubauen, denn in der Vergangenheit war der Wein bereits ausverkauft, bevor er überhaupt sein volles Potenzial entfaltete. Jetzt standen sie vor der noch viel gravierenderen Frage, wie sie die jährliche Fuhre frischer Trauben ohne die finanziellen Mittel der Veranstaltungen anschaffen sollten. Statt sich dem Schicksal zu fügen, nahmen sie die Situation als Chance wahr und etablierten ihren eigenen Lieferservice. Holger, selbst langjähriger Fahrradkurier im Tal, und Leon begeben sich mit dem Rad zu ihren Kund*innen und bringen den Wein zu ihnen, wenn sie schon nicht in die Weinerei kommen können. Ab einer Bestellung von sechs Flaschen lieferten die beiden durch das ganze Stadtgebiet. Sie betonen, dass gerade der Kontakt mit ihren Kund*innen und die daraus entstehenden Gespräche sie besonders begeisterte. Inzwischen betreten aber auch während des Interviews immer wieder Interessierte die Weinerei und erwerben ein paar Flaschen Wein.

Eine Weinrebe schmückt die Eingangstür der Weinerei | Foto von Wolf Sondermann

In Zukunft wollen die Betreiber der Weinerei die Weinproduktion im urbanen Raum weiter denken. Vor einem Jahr verteilten sie deswegen rund 200 Weinreben an Privathaushalte aus der ganzen Stadt. Nach einem baldigen Aufruf, haben die Besitzer*innen der Weinreben die Möglichkeit ihre geernteten Trauben zur Weinerei zu bringen und im Verhältnis zur geernteten Menge 1-2 Jahre später frisch produzierten Wein zu erhalten – 1kg Trauben entspricht einer Flasche Wein. Das zeigt sowohl exemplarisch auf, was solidarisch und experimentell möglich ist, und lässt die Wuppertaler*innen auf der anderen Seite Teil der Weinerei werden. In Zukunft können sie sich sogar vorstellen ihre Weinreben auf den Dächern der Talstadt anzubauen – quasi fliegende Weinberge.

Wie bereits erwähnt, ist die Weinerei ist ein Ort an dem Wein neu gedacht werden kann und seit ihrer Eröffnung ist die Weinerei eine wirklich lohnenswerte Anlaufstelle im Quartier. Über die Jahre verfeinerten Holger und Leon ihr Sortiment und haben inzwischen verschiedenste Weine für verschiedenste Geschmäcker im Angebot. Gerade die Veranstaltungen der Weinerei solltet ihr nicht verpassen, sobald diese wieder stattfinden können. Falls ihr mehr über die Weinerei erfahren wollt, oder über aktuelle Neuigkeiten Bescheid wissen wollt, dann schaut euch doch hier ihre Social-Media-Kanäle an (Facebook | Instagram).

PS: Man munkelt übrigens, dass die Weinerei bald ein Jahr älter wird und zu diesem Anlass etwas ganz besonderes plant!

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