Adventsbummel im Quartier | Eine Aktion, die das Quartier belebt
Das Mirker Quartier ist von einer Geschichte gezeichnet, in der Arbeit und Wohnen lange Zeit räumlich gleichbedeutend waren. Durch den Strukturwandel und den Auszug der Industrie ist dieses Verhältnis heute jedoch nur schwer denkbar. Zurück blieb das Quartier, wie wir es kennen, als „reines“ Wohnquartier. Doch seit mehreren Jahren ziehen in immer mehr Ladenlokalen und ehemaligen Hinterhofwerkstätten neue Ideen und Geschäfte ein und beleben damit auch unser Quartier. Die Aktion „Adventsbummel“, die am 30. November 2024 stattfand, sollte den Wuppertaler*innen die Vielschichtigkeit jener Räume näherbringen. Darunter auch die Projekte „Patina“ von Hanna Hüttepohl und „Sesam“ von Jens Oliver Robbers. Wir haben uns mit den beiden getroffen, um mehr über den „Adventsbummel“ zu erfahren. Welche Idee steckt hinter der Aktion? Was motiviert die Initiator*innen? Und wie gelingt es ihnen, Arbeit und Soziales miteinander zu verbinden? Diese und andere Fragen standen im Mittelpunkt unseres Gesprächs. Judy hat die Veranstaltung außerdem mit einigen ihrer Freund*innen fotografisch begleitet.
Hanna Hüttepohl ist gebürtige Wuppertalerin und studierte Kommunikationsdesignerin. Als Inhaberin des Ladenlokals „Patina“ lebt und arbeitet sie seit fast 10 Jahren im Mirker Quartier. Jens Oliver Robbers ist studierter Kommunikationsdesigner und Gründer des Kreativ- und Designstudios „Robbers & Guns“. Seit dem Frühjahr 2024 arbeitet er im Quartier und hat im November das Ladenlokal „Sesam“ in der Friedrichstraße eröffnet, in dem Dinge verkauft werden, die aus der Mitwirkung von Robbers & Guns hervorgegangen sind.
Rhythmisches Webstuhlrattern, stumpfe Hammerschläge auf Leder und Holz, Plätschern und Zischen eingefärbter Textilien und wuselige Gespräche in Tante-Emma-Läden säumten einst die Straßen und Hinterhöfe des Quartiers. Die zahlreichen Ladenlokale und Werkstätten sind ein Erbe der alten Zeit – der Leerstand vieler davon ist ein Ausdruck ihrer Vergänglichkeit. Die Trennung von Wohn- und Arbeitsort im Zuge der Entwicklung der Industrialisierung hat dazu geführt, dass wir heute oftmals größere Distanzen überbrücken müssen, um zu unseren Arbeitsorten zu gelangen. Sie hat auch dazu geführt, dass unser Quartier heute vermeintlich frei von industriellem Lärm, Luftverschmutzung und Verkehrsbelastung ist. Durch den Auszug der Arbeit ist in gewisser Weise die Stille eingezogen. Doch auch heute existieren im Quartier Menschen, die Arbeit und Wohnen miteinander verbinden und vielfältige Mehrwerte für unser Viertel schaffen.
Im Rahmen der Aktion „Adventsbummel“ haben sich einige von Ihnen organisiert, um einen Anlass des Zusammenkommens zu kreieren und Aufmerksamkeit für lokale Produktionen zu gewinnen. „Von der Hochstraße bis zur Mirke“ wurde am 30. November 2024 bei winterlichem Sonnenschein von 12 bis 18 Uhr durch das Quartier gebummelt. Vor und in den Ladenlokalen versammelten sich Menschen, kamen ins Gespräch, widmeten sich ihrer Kreativität, tranken und berieten sich über etwaige Einkäufe. Dabei legte die Veranstaltung vor allem die vielen Facetten der lokalen Manufaktur- und Ladenlokalszene dar: Von lokalen Bier-, Wein- und Kaffeeproduzent*innen, über Vintage-Möbel und Dekorationen, bis hin zu fairer Kleidung, Tattoos und Illustrationen.
Dass das Konzept hinter dem Adventsbummel aufgehen würde, ließ sich bereits Ende 2023 vermuten, nachdem die Inhaber*innen von „Patina“, „Talbohne“, „Weinerei“ und „Monsieur Unique“ sich in bilateralen Gesprächen darauf einigten, zur selben Zeit zu öffnen. Die Kund*innen wurden an diesem Tag von Laden zu Laden verwiesen – wie Hanna berichtet, eine gängige Praxis. Doch da viele der Manufakturen und Ladenlokale im Quartier nebenberuflich geführt werden, sind variierende Öffnungszeiten oftmals Hürden. An den Erfolg der Miniaturausgabe anschließend, trafen sich die Beteiligten in einer offenen Runde im März 2024 erneut. Im Rahmen eines organischen und hierarchiefreien Prozesses kamen dabei weitere Manufaktur- und Ladenbesitzer*innen aus dem Quartier hinzu und so wurde die Gruppe in diesem Jahr um die Inhaber*innen von „allesfreunde“, „Out of the Box“, „Höchstens 10“, „Klaudia Anosike“, „Kreuzueber“, „Robbers & Guns: Sesam“ erweitert. Die Gruppenstruktur fungierte dabei nicht bloß als Organisationsplattform, sondern zugleich auch als Austragungsort von alltäglichen Gesprächen, in denen man sich über Probleme als Manufaktur- und Ladenbesitzer*innen austauscht und solidarisch unterstützt. In Bezug auf den Adventsbummel brachten alle Akteur*innen ihre einzelnen Interessen und Fähigkeiten in die Gruppe ein und halfen somit bei der Organisation. Jens und Hanna betonen jedoch, dass sich die Organisationsgruppe keinesfalls als geschlossene verstehe und die Partizipation von weiteren Organisationen, Laden- und Manufakturinhaber*innen, Vereinen etc. im Quartier bei einer weiteren Ausgabe in jedem Fall erwünscht sei.
Bei der Ausgabe 2024 stand konzeptionell neben der Gelegenheit zu Bummeln auch die Gelegenheit, das Quartier kennenzulernen, im Vordergrund. Denn zum einen ist das Mirker Quartier neben einigen wenigen Ausnahmen vor allem als Wohnort bekannt, und zum anderen, wie Hanna und Jens berichten, bewegen wir uns alle immerzu in den persönlichen Dunstkreisen. Der „bergischen Knurrigkeit und Scheu“, wie Jens sie nennt, steht dabei der Etablierung eines offenen Miteinanders im Weg. Der „Adventsbummel“ sollte in diesem Sinne eine Möglichkeit bieten, aus eben jenen Kreisen auszubrechen und der Scheu vor dem Nichtbekannten mit offenen Türen zu entgegnen. Damit auch tatsächlich Anreize bestehen, diese Hürde zu überwinden, implementierten die Beteiligten an diesem Tag ein Gewinnspiel. Um teilzunehmen, mussten sich die Besucher*innen in 6 der 10 teilnehmenden Ladenlokale und Manufakturen einen Stempel abholen, der auf dem Veranstaltungsflyer, designt von „Robbers & Guns“, verewigt wurde. Diese Win-Win-Aktion bringt nicht nur neue potentielle Kund*innen in die Lokale, sondern ermutigt Besucher*innen auch, sich in Räume zu trauen, die sie ansonsten eher nicht betreten würden. Wie Hanna und Jens berichten, war es vielen der Organisator*innen darüber hinaus wichtig, Angebote zu schaffen, die es Menschen ermöglichen, Teil des Adventsbummels zu werden, ohne Opfer eines Kaufzwangs zu werden. Einige der Lokale haben deswegen spendenbasierte, kreative und informative Aktionen angeboten: So konnten z. B. bei „Patina“ Kerzen designt, bei „Sesam“ Seelentiere prophezeit und bei der „Weinerei“ Führungen durch den Weinkeller erlebt werden. Die Spenden wurden dem Tierschutz zuteil. Die Ausgabe 2024 endete mit einem gemeinsamen Ausklingen in der „Weinerei“ auf der Wiesenstraße. Erbsensuppe und Glühwein erwärmten die kalten Hände und boten Anlass, ausgelassen ins Gespräch zu kommen und sich über die Erlebnisse des Tages auszutauschen. Für all diejenigen, die ihre Füße noch spürten, legte der Wuppertaler DJ Mighty Maus eine musikalische Einlage dar.
Im Kern widerspricht der Adventsbummel in seiner Konzeption dem, was wir unter „Konkurrenz“ verstehen. Denn gängige Vorstellungen würden uns davon abraten, potentielle Kund*innen an andere Geschäfte zu verweisen, doch wie Hanna aus der Praxis berichtet, führt eine derartige Praxis zu gänzlich unterschiedlichen Ergebnissen. Die praktische Solidarität, die im Quartier unter Ladenlokal- und Manufakturinhaber*innen gelebt wird, ist dabei Ausdruck dessen, was Jens in dem simplen Satz zusammenfasst: „Wir sollten füreinander da sein“. Wie sich dieses Füreinander konkret ausgestaltet, ist dabei nicht vorgegeben. Sicher ist, dass wir alle Teil dessen sind und davon profitieren. Denn wenn wir in Zukunft in einem belebten Quartier leben möchten, so sind nicht nur die lokalen Laden- und Manufakturinhaber*innen abhängig von uns, sondern auch wir von ihnen. Auf viele weitere alternative Bummelgelegenheiten!
Bei einer nächsten Ausgabe erhoffen sich Hanna und Jens, dass noch weitere Manufaktur- und Ladenbesitzer*innen aus dem Quartier mitmachen. Falls du Lust hast, melde dich in einer der teilnehmenden Manufakturen und Lokale.
Foto von Judith Kolodziej (@siebterfebruar)
Wort von Max-Mosche Kohlstadt (@dermosche)