Escape Center Out of the Box | in 60 Minuten in die berufliche Zukunft
Regelmäßigen Besucher*innen des Utopiastadt Campus dürfte es nicht entgangen sein, dass nach dem Solar Decathlon ein weiteres Gebäude umgeben von schwarzen Containern auf der schottrigen Fläche ein neues Zuhause gefunden hat. Dabei handelt es sich nicht um ein weiteres Anschauungsobjekt des zeitgenössischen energetischen Bauens, sondern um das Escape Center „Out of the Box“. Ein Projekt, das den Escape Room als Methode versteht, um Prozesse der Berufsorientierung anzustoßen. Joachim Beck, Initiator dieses einzigartigen Projekts, hat uns in einem ausführlichen Interview die Vision und die Entstehungsgeschichte seines Escape Centers nähergebracht.
Bevor ich selbst mit Freund*innen einen Escape Room besuchte, hielt ich dieses Konzept für eine absurde Art, Geld zu verdienen. Warum sollte ich über 150 Euro ausgeben, um mich für sechzig Minuten in einem Raum einsperren zu lassen, in dem ich wie ein Versuchsobjekt durch ein vorgefertigtes Labyrinth irre, bis ich den Ausgang finde? Warum sollte ich mich freiwillig Stress und Enge aussetzen, die ein solches Szenario bedingt? Doch als ich mich schließlich überreden ließ, diese Absurdität doch einzugehen, wurde ich überrascht. Das Szenario und die Gestaltung des Raumes hatten es tatsächlich geschafft, eine packende Atmosphäre zu konstruieren, in der ich aufging. Die sechzig Minuten vergingen wie von selbst und statt einer Raummiete zahlten wir dafür, gemeinsam ein Abenteuer erleben zu können. Das Stichwort dieses Erlebnisses ist Immersion: die Möglichkeit, in eine andere Realität einzutauchen und für kurze Zeit die künstliche Konstruktion zu vergessen. Auch Jo Beck machte diese Erfahrung. Vor fünf Jahren bekam er von seinen Kolleg*innen zum Geburtstag einen Besuch in einem Escape Room geschenkt. Eine Stunde später verließ er den Raum, in dem er sich mit seinen Kolleg*innen unter Zeitstress durch eine Abfolge von einem Rätsel arbeitete, überzeugt von der Erfahrung. Doch blieb nichts von diesem Erlebnis, außer die Erinnerung daran. Die Erfahrung eines Escape Rooms ist so flüchtig, wie die 60 Minuten, in denen man in ihnen eintaucht. In Jo wuchs jedoch die Idee, dass das Konzept des Escape Rooms zu deutlich mehr taugt.
Jo, eigentlich Joachim, Beck, hat Betriebswirtschaftslehre studiert und sich anschließend als Strategie- und Marketingberater für Unternehmen selbstständig gemacht. Seit Jahren entwickelt er mit seinem Team gemeinsam Methoden, mit Hilfe derer sie Unternehmen bei der Personalentwicklung und -organisation unterstützen. Doch Wissensvermittlung ist kein Phänomen, das außerhalb der Inhalte steht, die es zu transportieren versucht. In Zeiten, in denen digitale Endgeräte zu treuen Alltagsbegleitern geworden sind, verändern sich nicht nur die Möglichkeiten, wie wir auf Wissen zugreifen können, sondern auch unser Verhältnis zum Wissen. Auf dieser Beobachtung basierend hat Beck vor einigen Jahren das „Zentrum für lustvolles Lernen“ gegründet, um zukunftsgerichtete Methoden der Akquise und Weiterbildung von Personal zu entwickeln und zu erproben. Die Einsicht des Escape Rooms kam in diesem Klima wie gerufen.
Gemeinsam mit anderen begann er ein Konzept auszuarbeiten, das den Escape Room als Methode versteht. Die Idee siedelt sich in dem andauernden Klima an, in dem immer mehr Unternehmen vom Fachkräftemangel heimgesucht werden und sie, wenn überhaupt, nur mühevoll ihre Auszubildendenstellen besetzen können. Trockene und desillusionierte Berufsberatungen, die mir und vielen weiteren als Jugendliche eine berufliche Zukunft als Hutmacher*in (welch Ironie, dass ich Jahre später tatsächlich als solcher in der gleichnamigen Gastronomie arbeiten würde), Pferdepfleger*in oder Feuerwehrmann*frau eröffnen wollen, mindern dieses Problem nicht ab. Was es braucht, sind Momente, in denen Jugendliche und junge Erwachsene sich den Jobs praktisch und lebendig annähern, um authentisches Interesse wecken zu können. Der Escape Room als Methode soll dabei unterstützen, Jugendliche spielerisch an die Berufswelt heranzuführen und intrinsische Motivationen fördern. Mit und für Geschäftskund*innen entwickelte Beck und sein Team Konzepte für einzelne Escape Rooms, die die Besucher*innen auf niederschwellige Art und Weise an die Faszination für gewisse Handwerke und Thematiken heranführen. Die konkreten Ideen für die Gestaltung der Container erarbeiteten sie mit alteingesessenen Mitarbeiter*innen und Auszubildenden der Unternehmen gemeinsam. Einige sind dabei eher auf spezifische Berufe gemünzt, andere hingegen eher auf Unternehmensphilosophien. Nur fünf Jahre nach der ersten Idee und zahlreichen Prozessen eröffneten Jo und sein Team das Escape Center „Out of the Box“ 2024 auf dem Utopiastadt Campus, an dem bis dato sechs dieser Container von verschiedenen Unternehmen spielbar sind. Dass das Escape Center sich gerade hier ansiedelte, ist laut Jo Beck eine logische Konsequenz, denn eine solche Idee „gehöre einfach in ein solch inspirierendes Umfeld“. Die Eröffnung hat auf dem schottrigen Boden damit auch sechs weitere Realitäten eröffnet, in denen Besucher*innen von nun an aus Dschungeln flüchten, durch vergessene Archive stöbern, im Rumpf eines Schiffes über die Hohe See fahren, durch Raum und Zeit schweben oder die größte Silvesterparty Deutschlands vorbereiten.
Neben privaten Vermietungen und Teambuilding Workshops besuchen Woche für Woche Schüler*innen der 8.-12. Klasse kostenlos das Escape Center und setzen sich in 5 Stunden spielerisch mit den Möglichkeiten der eigenen beruflichen Zukunft auseinander. Im Rahmen der Besuche durchlaufen alle Schüler*innen zwei Escape Rooms, wobei die anfallenden Wartezeiten mit eigenentwickelten Spielen zur Berufsorientierung überbrückt werden. Um die Hürde der Bewerbung für eine spezifische Ausbildung zu übergehen, können die Schüler*innen sich, nach der Beendigung ein Escape Room, vor Ort mithilfe eines niederschwelligen Online-Fragebogen direkt bei den Unternehmen bewerben. Jo und sein Team haben darüber hinaus eine ganze Unterrichtseinheit zum Thema Berufsorientierung erarbeitet, das Lehrer*innen bei der Vorbereitung auf den Besuch unterstützen soll. Ein umfangreiches Konzept, das vor kurzem auch von dem amtierenden Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, Kai-Josef Laumann, besucht und gewürdigt wurde. Seit einigen Wochen haben auch bereits weitere Kommunen sich bei Beck gemeldet, die das Konzept gerne auch in ihren Städten umsetzen wollen.
Bevor das Modell in weitere Städte expandiert, sollen vorerst aber zwei weitere Container ausgebaut werden, die bereits vor Ort platziert wurden. Eine detailverliebte Arbeit, die viele individuelle Lösungen und Improvisationen bedarf, um ein überdimensioniertes Transportbehältnis in eine immersive Welt zu verwandeln. „Wir haben eine Menge Lehrgeld bezahlt“ betont Beck und macht darauf aufmerksam, dass jeder individuelle Ausbau von Fehlern und Experimenten begleitet wurde, aus denen das Team lernte. Unterstützt wird er dabei von Azubis der einzelnen Unternehmen ebenso, wie von der künstlerischen Leitung, SupaKnut Heimann, auch bekannt als Mitbegründer von SupaGolf, und zwei hauptberuflichen Bühnenbildner*innen.
„Out-of-the-Box-Denken“ heißt den Rahmen des Konventionellen zu überschreiten und scheinbar Unmögliches auf kreative Art und Weise möglich zu machen. Berufsorientierung als spaßiges Vorhaben zu entwerfen und Realität werden zu lassen, ist das materialisierte Ergebnis eines solchen Denkprozesses. Das Escape Center mit selbigen Namen scheint damit den Zahn der Zeit getroffen zu haben. Falls du dich davon selbst überzeugen möchtest, findest du hier weitere Informationen zum Escape Center „Out of the Box“ [Homepage | Instagram | Facebook].
Fotos von Judith Kolodziej (@siebterfebrurar)