Ehrenamtliches Engagement | Ein Segen für die utopische Kulturlandschaft im Wuppertal | Trassenjam 2019

Wuselig war es in den letzten Wochen auf den Flächen des Utopiastadt Campus. Die Geräusche eines Baggers übertönen das Meeresrauschen der Autobahn, Bauzäune werden von links nach rechts getragen, die Sandfläche wächst immer weiter und weiter und am Ende der Fläche thront eine 16m lange Bühne. Menschen in grell leuchtenden Warnwesten mit der Aufschrift „Utopist im Einsatz“ laufen mit Funkgeräten am Gürtel umher. Auch wenn Utopiastadt und der umliegende Campus niemals still steht, stellt dieser Zeitraum einen Ausnahmezustand dar. Das kann nur eines heißen: die utopische Festivalsaison zieht in das Quartier Mirke ein. In den vergangenen Jahren machte sich Utopiastadt, im Rahmen der eigens organisierten Tagesfestivals, bereits über die Stadtgrenzen bekannt. Auch dieses Jahr können der Trassenrave, sowie der Trassenjam als voller Erfolg verschrieben werden.

Torpedo Sound Patrol“ mit Trassenjam Gründervater Alexander Netterdon (Mitte), auch bekannt als Beisitzer des Vorstandes des Utopiastadt e.V. und langjähriger Hutmacher | Foto von Wolf Sondermann

Fünf Jahre Trassenrave und vier Jahre Trassenjam feierten die Utopist*innen Anfang Juli – jeweils 4000 Besucher*innen taten es ihnen gleich. Auch diesen Jahr ließen sich wieder Größen der beiden Genres die utopischen Großveranstaltungen nicht entgehen. Mit DJ*anes wie Titia oder Ian Pooley reihte sich der 5. Trassenrave in eine Reihe von Großveranstaltungen mit zuverlässigem Line Up ein. Und auch der Trassenjam stand mit Acts wie zum Beispiel Jah Works, der 2018 den Soundclash in Japan gewann, und Ex-Gentleman-Backgroundsängerin Treesha den bisherigen Veranstaltungen kein Deut nach. Doch dieser Artikel soll die Großveranstaltungen nicht mit Namen und Zahlen schmücken. Der Erfolg der utopischen Veranstaltungsformate gibt ihnen recht. Vielmehr soll dies eine Ode an das Ehrenamt und Engagement sein, welches diese Festivals samt ihrer Stimmung und dessen Rahmenprogramm erst ermöglichen.

Rund 4000 Besucher*innen treffen beim Trassenjam 2019 aufeinander | Foto von Wolf Sondermann

Utopiastadt ist vieles – vor allem ein Vorzeigeprojekt, dass über die Stadtgrenzen bekannt ist. Bewohner*innen aus dem Quartier schätzen Utopiastadt jedoch vor allem für das kulturelle Angebot, dass sich am ehemaligen Bahnhof Mirke etablierte. Mit Veranstaltungsformaten wie der „Only Hut“ Reihe und den jährlichen Teegesellschaften wurde schnell klar: auf die Qualität der Veranstaltungen kann man sich verlassen. Und das trotz einer Türpolitik, die keinen festen Eintritt fordert und Veranstaltungen die durch reines ehrenamtliches Engagement ermöglicht werden. Getreu dem Motto „Only Hut“, schwimmt Utopiastadt seit Jahren gegen die Strömung der Konzertindustrie – das Boot in der Brandung. Den Besucher*innen des Konzerts wird selbst überlassen, in welchem Maße sie Kunst und Kultur würdigen. Der Hut geht herum und landet am Ende des Abends in seiner ganzen Gestalt in den Taschen der Künstler*innen auf der Bühne. Erfreulich ist es, dass auf der einen Seite die Künstler*innen dabei nie mit unwürdigen Gagen den Weg nach Hause antreten, und auf der anderen Seite auch Menschen mit geringem finanziellen Einkommen die Kulturlandschaft genießen können. Ein Konzept, dass die Freude an der Musik und der Schaffung einer Bühne vor den Zwang des kapitalistischen Geldverdienens stellt.

Lana, Gründungs- und Vorstandsmitglied des Vereins „Hand in Hand – Kontaktpersonen für Geflüchtete e.V.“, sammelt Pfand für den guten Zweck auf dem Trassenjam 2019 | Foto von Wolf Sondermann

Auch wenn den Künstler*innen bei den Großveranstaltungen eine feste Gage gezahlt wird, zieht sich das Konzept sowohl durch den Trassenjam als auch durch den Trassenrave. Besucher*innen zahlen keinen Eintritt, bekommen jedoch die Möglichkeit Supporter zu werden. Für 5 Euro bekommt man bei beiden Großveranstaltungen ein Festivalbändchen sowie weitere Kleinigkeiten, wie einen Schnaps aufs Haus oder ein Wassereis. Damit wird klar, dass dieses Konzept und dessen Finanzierung von der freiwilligen Unterstützung der Besucher*innen lebt. Viele Veranstaltungen würden diesen Schritt nicht wagen – doch in Utopiastadt ist eben alles etwas anders. Mit Mut zur Lücke, ist dieses Konzept bis dato noch nie gescheitert.

Doch die Realisierung dieses waghalsigen Konzepts funktioniert nur durch das ehrenamtliche Engagement der vielen Utopist*innen. Statt selbst zu feiern, ermöglichen die Utopist*innen den Besucher*innen selbst zu feiern. Monate lange Planung, die Erstellung von Sicherheitskonzepten, infrastrukturelle Planung, Kalkulation von Finanzen und das Booking der Künstler*innen sind nur ein kleiner Aspekt der Vorbereitung. Bereits eine Woche vor den Großveranstaltungen treffen sich die Utopist*innen nach Möglichkeit um ihre Utopien in die Tat umzusetzen. In diesem Jahr waren es rund 100 Helfer*innen, die bei der Vorbereitung sowie bei der Umsetzung der Festivaltage tatkräftig zur Seite standen und ihre Kraft unentgeltlich dem guten Zweck zur Verfügung stellten. Die Utopist*innen selbst sind dabei im Laufe der Jahre immer professioneller geworden. Während am Anfang noch rund 2000 Menschen auf dem Trassenjam tanzten, wächst die Zahl 2019 auf über 4000 Besucher*innen. Das impliziert neben größer werdenden Aufgaben auch steigende Ansprüche und Professionalität.

Andi, ehrenamtlicher Radverleiher und leidenschaftlicher Reggaehörer

Johannes Schmidt, Campusentwickler und Veranstalter des Trassenjams und Trassenraves äußert sich im Rahmen eines Rückblicks auf den Trassenrave wie folgt dazu: „Ich bin unfassbar stolz auf 100 EhrenamtlerInnen, die mittlerweile eine richtig professionelle, eingespielte Festival-Crew geworden sind und so eine Veranstaltung möglich machen! Und wir sprechen hier nicht mehr über Only Hut Konzerte mit bis zu einigen hundert Gästen, sondern über richtig amtliche Festival-Tage. So ein grandioses Team hinter mir zu wissen macht mich wirklich glücklich und lässt Utopia ein bisschen weniger wie eine Utopie wirken“. Und dieses Team leistet eine Arbeit die sich von Jahr zu Jahr wieder und wieder durch den freudigen Besuch der Musikbegeisterten auszahlt. Auf den Flächen wird das Leben gefeiert. Egal ob in Liegestühlen mit Sand zwischen den Zehen, jubelnd in der Mitte der Tanzfläche, im Zirkuszelt den Schatten genießend oder in der Außengastronomie des Hutmachers. Hier trifft Jede*r auf Jede*n – ungezwungen und ehrlich.

Utopiastadt schafft es durch diese Großveranstaltungen, wie auch durch die „Only Hut“ Reihe Kultur zu einem allgemeinen Gut werden zu lassen. Ein Gut das niemanden verwehrt bleiben sollte der in der Talstadt lebt oder sie besucht. Gedankt wird dies durch Künstler*innen die von ihrer Arbeit leben können, einzigartige Abende für Besucher*innen und ein Gruppengefüge der Utopist*innen das familiärer nicht sein könnte. Auf viele weitere Veranstaltungen mit Utopiecharakter!

Utopistin im Einsatz – Janina, Praktikantin in Utopiastadt auf dem Trassenrave 2019 | Foto von Wolf Sondermann

Der Trassenjam 2019 wurde mit Hilfe des Mirker Quartiersfonds der Städtebauförderung NRW, initiiert durch das Forum:Mirke, finanziert.

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